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BFH Beschluss vom 15.12.2004 - I B 115/04 (veröffentlicht am 16.03.2005)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Verlust der wirtschaftlichen Identität i.S. des § 8 Abs. 4 KStG 1999/2002 bei fehlendem zeitlichen Zusammenhang zwischen Zuführung neuen Betriebsvermögens und Veräußerung der Geschäftsanteile

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Verlust der wirtschaftlichen Identität einer GmbH gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999/2002 setzt voraus, dass zwischen der Übertragung der Gesellschaftsanteile und der Zuführung neuen Betriebsvermögens ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht (Bestätigung des Senatsurteils vom 26. Mai 2004 I R 112/03, BFHE 206, 533, BStBl II 2004, 1085). Es ist ernstlich zweifelhaft, dass dieser Zusammenhang gegeben ist, wenn zwischen der schädlichen Anteilsveräußerung i.S. des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999/2002 und der Fortführung des Unternehmens nach Zuführung neuen Betriebsvermögens mehr als drei Jahre liegen (Abweichung vom BMF-Schreiben vom 16. April 1999, BStBl I 1999, 455 Tz. 12 und 33).

2. Einstweiliger Rechtsschutz mit dem Ziel der vorläufigen Berücksichtigung eines höheren Verlustvortrags kann nur durch Anfechtung und Aussetzung der Vollziehung des vorangehenden Verlustfeststellungsbescheides, nicht aber des Folgebescheides erreicht werden.

 

Normenkette

KStG 1999 § 8 Abs. 4 S. 2; GewStG 1999 § 10a S. 4; FGO § 69 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG des Saarlandes (Beschluss vom 24.05.2004; Aktenzeichen 1 V 88/04; EFG 2004, 1398)

 

Tatbestand

I. Mit notariellem Vertrag vom 14. August 1998 veräußerte der alleinige Gesellschafter der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), einer GmbH, die ihm gehörenden Geschäftsanteile an eine andere GmbH (GmbH II). Am 21. Dezember 2001 schlossen die Antragstellerin und eine weitere GmbH (GmbH III), deren Stammkapital die GmbH II hielt, einen Verschmelzungsvertrag, wonach die GmbH III auf die Antragstellerin verschmolzen und unter geänderter Firma fortgeführt wurde. Alsdann beschloss die Antragstellerin eine Erhöhung ihres Stammkapitals von bislang 50 000 DM auf 200 000 €; die neue Stammeinlage wurde ebenfalls von der GmbH II übernommen.

In den Jahren ab 1995 hatte die Antragstellerin folgende Betriebsergebnisse erzielt (Jahresüberschüsse/-verluste): 1995 11 474 DM, 1996 ./. 1 177 DM, 1997 ./. 1 519 DM, 1998 ./. 243 638 DM, 1999 ./. 163 086 DM, 2000 ./. 78 633 DM, 2001 65 666 DM und 2002 202 861 DM. Hiernach hatte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt ―FA-) die jeweils verbleibenden Verlustabzüge zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2000 und zum 31. Dezember 2001 sowie die vortragsfähigen Gewerbeverluste auf den 31. Dezember 2000 und den 31. Dezember 2001 festgestellt. Bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 2001 und 2002 (Streitjahre) wich das FA von den Steuererklärungen insoweit ab, als es die Verrechnung der Jahresüberschüsse mit Verlustvorträgen unter Hinweis auf § 8 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1999/ 2002) und das dazu ergangene Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 16. April 1999 (BStBl I 1999, 455 Tz. 12 und 33) nicht anerkannte. Dementsprechend änderte das FA die Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2001 sowie des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den 31. Dezember 2001 jeweils auf null und setzte die Körperschafsteuer und Gewerbesteuermessbeträge 2001 und 2002 ohne Abzug der Verluste fest. Dagegen legte die Antragstellerin Einsprüche ein, die erfolglos blieben. Über die anschließende Klage ist noch nicht entschieden.

Dem nach zuvoriger Ablehnung durch das FA beim Finanzgericht (FG) gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) der angefochtenen Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide wurde stattgegeben. Der Beschluss des FG des Saarlandes vom 24. Mai 2004 1 V 88/04 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2004, 1398 veröffentlicht.

Das FA hat gegen diesen Beschluss Beschwerde erhoben, die vom FG zugelassen worden war. Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist nur teilweise begründet. Sie führt für das Streitjahr 2002 zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Ablehnung des AdV-Antrages, der insoweit nicht statthaft war. Im Übrigen war die AdV zu gewähren; das FG hat sie jedenfalls im Ergebnis zu Recht gewährt.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll ―u.a. und soweit hier einschlägig― erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ist für die AdV nicht erforderlich (vgl. Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; seitdem ständige Rechtsprechung).

2. So verhält es sich im Streitfall im Hinblick auf das Streitjahr 2001. Der Antragstellerin ist der Verlustabzug nach summarischer Prüfung insoweit uneingeschränkt zu gewähren.

a) Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999/2002, für die Ermittlung des Gewerbeertrages i.V.m. § 10a Satz 4 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) 1999/2002, ist Voraussetzung für den Abzug von Verlusten nach § 10d EStG und für die Kürzung des Gewerbeertrages um Fehlbeträge bei einer Körperschaft, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. Nach dem Regelbeispiel in § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999/2002 fehlt einer Kapitalgesellschaft die wirtschaftliche Identität, wenn ―erstens― bezogen auf das gezeichnete Kapital mehr als die Hälfte der Geschäftsanteile übertragen werden, ―zweitens― überwiegend neues Betriebsvermögen zugeführt und ―drittens― der Geschäftsbetrieb mit diesem neuen Betriebsvermögen fortgeführt oder wieder aufgenommen wird.

b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall im Einzelnen und für sich gesehen erfüllt. Allerdings sind die Anteile an der Antragstellerin bereits im Jahre 1998 in dem abzugsschädlichen Umfang übertragen worden, während ihr überwiegend neues Betriebsvermögen erst im Streitjahr 2001 im Zuge der Verschmelzung mit der GmbH III und der anschließenden Kapitalerhöhung zugeführt wurde. Nach Ansicht des FA scheidet ein Abzug der bei der Antragstellerin aufgelaufenen Bilanzverluste gleichwohl nach Maßgabe des § 8 Abs. 4 KStG 1999/2002 aus, und zwar auch insoweit, als die Verluste in dem Zeitraum zwischen der Anteilsveräußerung und der Zuführung neuen Betriebsvermögens entstanden sind.

Dem ist schon deswegen nicht zuzustimmen, weil es nach summarischer Prüfung an dem im Rahmen des § 8 Abs. 4 KStG 1999/2002 erforderlichen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Übertragung der Geschäftsanteile einerseits und der Fortführung des Betriebs mit veränderter Zielsetzung und verändertem Betriebsvermögen andererseits fehlt. Zwar sind in § 8 Abs. 4 Satz 1 und 2 KStG 1999/2002 insoweit keine tatbestandlichen Vorgaben enthalten. Auch regelt das Gesetz keinen bestimmten Zeitrahmen für die schädlichen Veränderungen. Gleichwohl ist ein gewisser zeitlicher Zusammenhang vonnöten (vgl. Senatsurteil vom 26. Mai 2004 I R 112/03, BFHE 206, 533, BStBl II 2004, 1085, m.w.N.; insoweit auch BMF-Schreiben in BStBl I 1999, 455 Tz. 12, dort Satz 1). Die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft kann nicht deswegen verloren gehen, weil nach einer Anteilsveräußerung irgendwann und ohne einen dazu bestehenden Zusammenhang eine Veränderung im Betriebsvermögen der Körperschaft eintritt. Andernfalls wäre nicht verständlich, weshalb die Zuführung neuen Betriebsvermögens unschädlich bleibt, wenn sie allein der Sanierung des verlustverursachenden Geschäftsbetriebs dient, vorausgesetzt, die Körperschaft führt den Betrieb in einem nach dem Gesamtbild der Verhältnisse vergleichbaren Umfang in den folgenden fünf Jahren fort. Nach Ansicht der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben in BStBl I 1999, 455 Tz. 12, dort Satz 2; s. auch Dötsch in Dötsch/Eversberg/Jost/ Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 4 KStG n.F. Rz. 96) ist diese Fünf-Jahres-Grenze für den Ausnahmefall der Sanierung auch für den zeitlichen Zusammenhang im Rahmen der schädlichen Veränderungen gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999/2002 maßgebend. Im Schrifttum wird demgegenüber ein enger zeitlicher Rahmen verlangt, der jedenfalls nicht über den Ablauf eines Jahres hinausgeht (z.B. B. Lang in Ernst & Young, Körperschaftsteuergesetz, § 8 Rz. 1277 f., 1280.2 f.; Frotscher in Frotscher/ Maas, Körperschaftsteuergesetz, Umwandlungssteuergesetz, § 8 KStG Rz. 187; derselbe, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 2002, 10, 15 Fn. 29; siehe auch Simon in Heckschen/Simon, Umwandlungsrecht, 2003, § 13 Rz. 35). Der Streitfall gibt dem Senat im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes keine Veranlassung, diese Kontroverse abschließend zu entscheiden. Da das Gesetz eine entsprechende tatbestandliche Vorgabe vermissen lässt und die tatsächlichen Gegebenheiten des Streitfalles keinen gestalterischen und sachlichen Zusammenhang zwischen der Anteilsübertragung im Jahre 1998 und der Zuführung neuen Betriebsvermögens im Jahre 2001 erkennen lassen, ist vorläufig davon auszugehen, dass bei einer über einen Zeitraum von rd. 3 1/2 Jahren gestreckten Tatbestandserfüllung weder dem typisierenden Regelbeispiel des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG 1999/2002 noch der Generalklausel des § 8 Abs. 4 Satz 1 KStG 1999/2002 genügt wird. Die Frage, ob bei einer unterstellten zeitlichen Erstreckung des Verlusts der wirtschaftlichen Identität die Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale auf den Zeitpunkt des zunächst verwirklichten Tatbestandsmerkmals zurückwirkt oder ob auf den Erfüllungszeitpunkt sämtlicher Tatbestandsmerkmale abzustellen ist (vgl. dazu auch Simon in Heckschen/Simon, a.a.O., § 13 Rz. 136 ff.; Frey/Holzmeier, GmbH-Rundschau 2004, 1477, 1479, m.w.N.), kann in Anbetracht dessen dahinstehen.

3. Im Hinblick auf das Streitjahr 2002 ist der AdV-Antrag demgegenüber unzulässig.

Die ―hier nicht streitgegenständlichen― Feststellungen des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2001 und des verbleibenden Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2001 wurden nach Aktenlage jeweils auf Null geändert. Als solche sind sie Grundlagenbescheide für die darauf aufbauenden Steuerbescheide als Folgebescheide, vorliegend der Bescheide über die Körperschaftsteuer und über den Gewerbesteuermessbetrag 2002 (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juli 1999 VIII R 12/98, BFHE 189, 148, BStBl II 1999, 731). Einstweiliger Rechtsschutz mit dem Ziel der vorläufigen Berücksichtigung eines höheren Verlustvortrags kann folglich allein durch Anfechtung und AdV der Feststellungsbescheide erreicht werden (vgl. § 42 FGO i.V.m. § 351 Abs. 2 der Abgabenordnung; Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 69 Rz. 55 "Verlustabzug"; Gosch in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 FGO Rz. 72.1, jeweils m.w.N.). Der Antrag auf AdV der Folgebescheide war insoweit nicht statthaft (vgl. § 69 Abs. 2 Satz 4 FGO).

Da die Vorinstanz in diesem Punkt im Ergebnis eine abweichende Auffassung vertreten hat, waren ihr Beschluss hinsichtlich des Streitjahres 2002 aufzuheben und die beantragte AdV abzulehnen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1328736

BFH/NV 2005, 794

BStBl II 2005, 528

BFHE 2005, 53

BFHE 209, 53

DB 2005, 644

DStR 2005, 517

DStRE 2005, 551

HFR 2005, 446

WPg 2005, 628

FR 2005, 487

Inf 2005, 289

SteuerBriefe 2005, 518

GStB 2005, 23

NWB 2005, 930

BBK 2005, 298

NZG 2005, 445

StuB 2005, 324

KÖSDI 2005, 14587

GmbHR 2005, 563

BeSt 2005, 18

Konzern 2005, 250

SJ 2005, 12

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