Merkblatt: Internationales Verständigungs- und Schiedsverfahren

Die Finanzverwaltung hat am 27.8.2021 eine Neufassung des Merkblatts zu internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen veröffentlicht. Das neue Merkblatt tritt an die Stelle des Vorgängerschreibens vom 9.10.2018.

Orientierungshilfe für die effektive Anwendung von Streitbeilegungsverfahren

Mit der Neufassung reagiert das BMF  insbesondere auf die Verabschiedung des EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetzes ("EU-DBA-SBG") im Zusammenhang mit der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/1852 des Rates vom 10.10.2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der EU, welches am 12.12.2019 verkündet wurde. Das BMF-Schreiben bietet allen Verfahrensbeteiligten als aktueller Praxisleitfaden eine wichtige Orientierungshilfe für die effektive Anwendung von Streitbeilegungsverfahren.

Aufbau und Neuregelungen

Das BMF hat die Gelegenheit genutzt, das Merkblatt sowohl übersichtlicher als auch umfangreicher zu gestalten. Es gliedert sich in folgende übergeordnete Punkte:

  • Allgemeine Ausführungen zu Verständigungsverfahren
  • Streitbeilegungsverfahren nach einem DBA
  • Streitbeilegungsverfahren nach der EU-Schiedskonvention
  • Streitbeilegungsverfahren nach dem EU-DBA-SBG
  • Anwendungsregelung und Veröffentlichung

Der erste Teil des Merkblatts enthält erstmalig relativ ausführliche Hinweise zum Verhältnis der Streitbeilegungsverfahren zu Quellensteuer-Erstattungsverfahren und dem Freistellungsverfahren. Das BMF führt aus, dass das Streitbeilegungsverfahren nicht das Verfahren zur Erstattung einbehaltener Quellensteuer ersetze. Ein Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens wird in der Regel als unbegründet abgewiesen, wenn zuvor kein Erstattungsverfahren beschritten wurde. Dies gilt auch bei einem erfolglos gebliebenen Freistellungsverfahren. Den Beginn der Frist zur Beantragung eines Verständigungsverfahrens setzt das BMF als den Zeitpunkt des ursprünglichen Quellensteuerabzugs fest.

Hinweis:  Fristgerechte Beantragung

Hierbei muss insbesondere auf eine fristgerechte Beantragung hingewiesen werden, da lange Bearbeitungszeiträume der Erstattungsverfahren eine solche unmöglich machen können. Somit sollte der Antrag auf ein Verständigungsverfahren unter Umständen bereits vor der Ergebnisverkündung im Erstattungsverfahren gestellt werden.

Im Rahmen der allgemeinen Ausführungen zu Verständigungsverfahren gibt das BMF Verwaltungsanweisungen zur Einleitung, Durchführung und Umsetzung des Verständigungsverfahrens. Zu begrüßen ist, dass das BMF detaillierte Informationen zum Inhalt des Antrags gibt, auch wenn die Anforderungen an den Inhalt gestiegen sind. Des Weiteren wurden nun auch die internen Fristen des BZSt wesentlich stringenter geregelt. Außerdem zeigt das BMF nun konkrete Instrumente auf, die darauf abzielen, die verbleibende Doppelbesteuerung nach einem Scheitern des Verständigungsverfahrens zu mindern oder gar zu vermeiden.

Die Abschnitte zu den speziellen Anforderungen an Streitbeilegungsverfahren nach DBA und EU-Schiedskonvention weisen kaum Neuerungen zu dem BMF-Schreiben aus 2018 auf, wurden allerdings gekürzt, da viele Anmerkungen in die allgemeinen Ausführungen zu Verständigungsverfahren aufgenommen wurden.

Als wesentliche Änderung zum Vorgängerschreiben zeigt sich der neu aufgenommene Gliederungspunkt "Streitbeilegungsverfahren nach dem EU-DBA-DBG", welcher konkrete Ausführungen zu dem neuen, durchaus komplexen Streitbeilegungsverfahren aufnimmt. Außerdem wird die Anwendbarkeit der EU-Schiedskonvention mit Hinblick auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU zeitlich spezifiziert. Während sowohl laufende Verständigungsverfahren als auch Verfahren, die bis zum 31.12.2020 beantragt wurden, weiterbearbeitet werden, sind nach dem 1.1.2021 eingereichte Anträge abzulehnen.

Hinweis: DBA zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich

Deutsche Steuerpflichtige sind durch die Aufkündigung der EU-Schiedskonvention jedoch nicht allzu stark behindert, da weiterhin das DBA zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich genutzt werden kann, welches einen Einigungszwang vorsieht. Ungeachtet dessen ist es empfehlenswert zu prüfen, ob Tochtergesellschaften im Ausland gehemmt sein könnten, falls keine dem OECD-MA Art. 25 entsprechende Schiedsklausel in die DBAs der Länder mit dem UK integriert ist.

Praxisbezogener Überblick

Da Deutschland mit 542 laufenden Verständigungsverfahren in Verrechnungspreisfällen auf Platz 3 hinter den USA (694) und Indien (659 Verfahren) liegt (vgl. OECD – MAP Statistik von 2019), ist eine Aktualisierung des Merkblatts von hoher praktischer Relevanz. Prinzipiell stehen die Chancen zur Beseitigung einer Doppelbesteuerung sehr gut. Im Jahr 2019 kam es in Deutschland in 86 % der Streitbeilegungsverfahren zu einer Einigung, welche die Doppelbesteuerung vollständig beseitigt hat.

Um den Anspruch auf abkommens- bzw. übereinkommensgemäße Besteuerung zu verwirklichen, finden generell drei Rechtsgrundlagen Verwendung, nämlich

  • das Streitbeilegungsverfahren nach einem DBA,
  • nach der EU-Schiedskonvention oder
  • nach dem EU-DBA-SBG.

Dabei ist zu beachten, dass ein Verfahren nach EU-DBA-SBG parallellaufende Verfahren nach den anderen beiden Rechtsgrundlagen beendet und grundsätzlich nur für Streitbeilegungsbeschwerden, die nach dem 1.7.2019 eingereicht wurden und Steuerjahre ab 2018 betreffen, gilt. Auf Antrag kann das EU-DBA-SBG jedoch auch auf frühere Steuerjahre angewandt werden, wenn es zur behördlichen Einigung kommt.

Bei Beantragung eines Verfahrens sind jedoch auch mögliche weitere Folgen der Auflösung einer Doppelbesteuerung zu berücksichtigen. So kann dies signifikante Wirkung auf mögliche Subventionsansprüche auslösen.

Unterschiede der drei Verfahren

Das Verfahren nach einem DBA ist stark von den Regelungen des jeweiligen DBA abhängig. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass DBAs in der Regel keinen Einigungszwang vorsehen, weshalb nicht immer eine Lösung erzielt wird. Im Verfahren nach der EU-Schiedskonvention kommt es hingegen zwingend zu einer Lösung, welche entweder aus einer Einigung der zuständigen Behörden oder aber aus der bindenden Stellungnahme eines Beratenden Ausschusses (BA) besteht. Zu einem solchen Ergebnis kommt es auch im Falle eines Verfahrens nach dem EU-DBA-SBG, sofern die betroffene Person ein Schiedsverfahren beantragt.

Die Verfahren nach EU-DBA-SBG und EU-Schiedskonvention ähneln sich im Grundsatz, jedoch ist letzteres nur für Fragen der Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen und der Gewinnaufteilung bei Betriebsstätten vorgesehen, während ersteres grundsätzlich bei allen Arten der Doppelbesteuerung anwendbar ist. Gegensätzlich zum Verfahren nach DBA und EU-DBA-SBG sind somit andere Fälle abkommenswidriger Besteuerung nicht von der EU-Schiedskonvention erfasst. Vor allem können Fragen des Bestehens einer Betriebsstätte und Fragen der Ansässigkeit nicht Gegenstand eines Verfahrens nach der EU-Schiedskonvention werden.
Demnach stellt die Ausweitung des Anwendungsbereichs des EU-DBA-SBG über Gewinnabgrenzungskonflikte zwischen verbundenen Unternehmen eine für die Praxis erhebliche Neuregelung dar. Ein Vorteil des Verfahrens nach EU-DBA-SBG zeigt sich zudem in den Verfahrenserleichterungen für natürliche Personen und kleinere Unternehmen. Unter den Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 EU-DBA-SBG können von diesen erleichterte Antragstellungen und Benachrichtigungen vorgenommen werden.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass in dem Verfahren eine Vielzahl an Fristen formalisiert wurden, um eine außerordentlich lange Dauer auszuschließen. Außerdem wurden innerhalb des neuen Verfahrens eindeutige Maßnahmen für den Fall getroffen, dass die Prüfung der Zulässigkeit der Streitbeilegungsbeschwerde Uneinigkeit hervorruft. Darüber hinaus muss bei ausbleibender Einigung im Verständigungsverfahren das Schiedsverfahren per Antrag eingeleitet werden, während es im Verfahren nach EU-Schiedskonvention zwingend zu diesem kommt. Diese strikte Regulierung des Verfahren erfordert auch vom Antragsteller eine aufmerksame Verfolgung der einzelnen Verfahrensschritte.

Beantragung des Verständigungsverfahrens

Antragsteller und Antragsfristen

Der Antrag auf ein Verständigungsverfahren muss innerhalb von 3 Jahren nach der ersten Mitteilung über die Maßnahme, welche zu einer Streitfrage geführt hat oder führen wird, gestellt werden. Es reicht hierbei bereits die Ankündigung einer entsprechenden Besteuerung im Rahmen einer schriftlichen Prüfungsfeststellung oder ein Teilbericht, um eine drohende abkommens- bzw. übereinkommenswidrige Besteuerung aufzuzeigen.

Da einige DBA eine kürzere Frist von beispielsweise 2 Jahren vorsehen, müssen abweichende Fristen bei Verfahren nach einem DBA dem jeweiligen Abkommen entnommen werden. Im Antrag muss klar gemacht werden, auf welche Rechtsgrundlage sich dieser stützt. Antragsteller kann dabei auch der Haftungsschuldner sein. Im Falle einer Organschaft oder Personengesellschaft weist das BMF darauf hin, dass das Verständigungsverfahren von allen betroffenen Personen gemeinsam beantragt werden soll und diese einen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bestellen sollen.

Für den Fall einer Personengesellschaft gibt das BMF detaillierte Regelungen zur Antragstellung, welche dem Schreiben entnommen werden können. Wird ein Antrag auf Verständigungsverfahren lediglich im Ausland eingereicht, prüft das BZSt dennoch die Erfüllung formeller Voraussetzungen.

Antragsempfänger und Antragsvoraussetzungen

Wird der Antrag auf ein Verständigungsverfahren nach EU-DBA-SBG gestellt, so muss er grundsätzlich bei allen zuständigen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten gleichzeitig und mit gleichen Angaben eingereicht werden. Ein Antrag nach EU-Schiedskonvention soll in allen Ansässigkeitsstaaten der betroffenen Personen in dreifacher Ausfertigung gestellt werden. Dabei sind besondere Hinweise für den Fall einer Betriebsstättengewinnaufteilung zu beachten. Der Antrag nach DBA soll i.d.R. an die zuständigen Behörden der beteiligten Vertragsstaaten gehen.

Die in Deutschland zuständige Behörde ist ausschließlich das BZSt und für eine Fristwahrung im Inland ist somit der Zeitpunkt des Antragseingangs bei dieser Behörde maßgeblich. Dabei hat das BMF seine Vorgaben dahingehend verschärft, dass ein Antrag nur als fristgerecht angesehen wird, wenn alle relevanten Angaben und Unterlagen vollständig und fristgerecht beim BZSt vorliegen.

Inhalt des Antrags

Das BMF-Schreiben beinhaltet außerdem eine detaillierte Auflistung über den Inhalt des Antrags, welcher grundsätzlich in Deutsch und Englisch einzureichen ist. Eine Antragstellung nur auf Englisch kann auf Antrag gewährt werden. Ausführlichere Angaben sind bei einem Verfahrensantrag nach EU-DBA-SBG zu machen. Bei einem Antrag nach EU-Schiedskonvention ist überdies eine Zusage, dass eventuelle Nachfragen beantwortet werden, zu machen.

Wird ein Antrag nach dem EU-DBA-SBG gestellt, so gibt es klare Regelungen für den Fall, dass Uneinigkeit über die Zulassung der Streitbeilegungsbeschwerde herrscht. Diesbezüglich wird ein BA eingesetzt, sofern die betroffene Person dies laut Gesetz innerhalb von 50 Tagen nach Mitteilung über die Zurückweisung beantragt und keine Rechtsbehelfsverfahren über die Zurückweisung anhängig sind. Für alle drei Verfahren beschreibt das BMF, dass dem Steuerpflichtigen bei Ablehnung des Antrags der Einspruch als statthafter Rechtsbehelf zusteht.

Ergibt der Antrag eine Zulässigkeit, so verlaufen die Verfahren nach EU-Schiedskonvention und EU-DBA-SBG sehr ähnlich, denn bei beiden wird folglich zunächst ein Verständigungsverfahren eingeleitet. Kommt es im Rahmen dieses Verfahrens innerhalb der Zweijahresfrist zu einer Einigung, wird diese nach Zustimmung des Antragstellers umgesetzt. Bleibt eine Einigung im Verständigungsverfahren jedoch aus, folgt ein Schiedsverfahren, welches in der Regel mit der Einsetzung des BA einhergeht. Im Falle eines Verfahrens nach EU-DBA-SBG muss das Schiedsverfahren innerhalb von 50 Tagen nach Bekanntgabe der Mitteilung über die fehlende Einigung beantragt werden. Der BA muss innerhalb von sechs Monaten eine Stellungnahme abgeben, welche von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zu Rate gezogen wird. Kommen diese innerhalb von sechs Monaten nach der Stellungnahme wieder zu keiner Einigung, so ist die Stellungnahme bindend und wird nach Zustimmung der betroffenen Person umgesetzt. Zu beachten ist hier einzig der unterschiedliche Beginn des Fristlaufs sowohl bei der Einigungsfrist als auch bei den Fristen des BA bezüglich der beiden Verfahren.

Der Ablauf des Verständigungsverfahrens nach DBA sowie eine mögliche Vereinbarung über ein Schiedsverfahren sind dem jeweiligen DBA zu entnehmen, wobei das BMF hier im Anhang des Schreibens eine Übersicht aufgenommen hat.

Unabhängig von der Rechtsgrundlage wird eine Einigung der zuständigen Behörden bzw. die Stellungnahme des BA, nach fristgerechter Zustimmung (i.d.R. innerhalb von 60 Tagen nach Bekanntgabe der abschließenden Entscheidung), sowie Zurücknahme und Verzicht auf eventuelle Rechtsbehelfe umgesetzt.  

Fazit

Das Verfahren nach EU-DBA-SBG gibt dem Steuerpflichtigen eine Alternative zu Verständigungs- und Schiedsverfahren auf Basis von DBAs und EU-Schiedskonvention. Ob von einer Weiterentwicklung bestehender Verfahren die Rede sein kann, wird sich erst über die Zeit hinweg zeigen. Doch die Verdichtung der verfahrensrechtlichen Regelungen und Festsetzung vieler Fristen durch das BMF lässt deutlich erkennen, dass Interesse an einer rascheren Einigung und an einem stringenteren Ablauf im Rahmen der Verständigungsverfahren besteht. Ob damit tatsächlich den steigenden Fallzahlen und der mehrjährigen Dauer der Verständigungsverfahren entgegengewirkt werden kann, bleibt dennoch abzuwarten.

Vorteilhaft ist, dass das Verhältnis des EU-DBA-SBG zu Verfahren nach DBA und EU-Schiedskonvention im neuen Merkblatt geklärt wurde und es einen ersten Hinweis zu dem Umgang mit Altjahren enthält. Inwieweit dieses erfolgreich in der Praxis umsetzbar ist, bleibt dennoch abzuwarten. Ebenso bleibt weiterhin unklar, ob den Behörden aufgrund der Einführung eines dritten Verfahrens Kapazitätsprobleme bevorstehen werden. Um dem immensen Verwaltungsaufwand und resultierenden Problemen der zuständigen Behörden vorzubeugen, bleibt auf eine Vereinheitlichung der Verfahren zu hoffen.

Zusammenfassend ist jedoch zu begrüßen, dass mit stetig steigenden Fallzahlen in Verrechnungspreisprüfungen die begleitenden Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Reduktion von Doppelbesteuerung nicht vernachlässigt werden. Es lohnt sich somit für Unternehmen im drohenden oder verwirklichten Fall einer Doppelbesteuerung, die zur Verfügung stehenden Alternativen der Streitbeilegung zu prüfen.

BMF, Schreiben v. 27.8.2021, IV B 3 - S 1304/21/10004 :007

Ursprüngliches Merkblatt: BMF, Schreiben v. 9.10.2018, IV B 2 - S 1304/17/10001