Wann gilt zu dichtes Auffahren im Verkehrsrecht als vorsätzlich?

Weniger als 3/10 des halben Tachowerts - hier: 20 Meter bei 129 km/h - betrug der Abstand, den der Betroffenen auf der Autobahn gegenüber dem vorausfahrenden Fahrzeug einhielt. Reichte das, um ihm Vorsatz zu unterstellen oder kam hier noch Fahrlässigkeit im Betracht? Das BayObLG München führte die Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit beim Drängeln aus.

Der Betroffene war mit 129 Stundenkilometern unterwegs und klebte an dem vor ihm fahrenden Fahrzeug. Konkret: Der Abstand betrug weniger als 3/10 des halben Tachowerts, also weniger als 20 Meter. Beobachtet wurde dieses Verhalten über eine Strecke von 300 Metern.

Fahrverbot von einem Monat für einen Drängler

Zudem war der Fahrer mit 129 km/h um 9 km/h zu schnell unterwegs – die Geschwindigkeit war auf dem Streckenabschnitt auf 120 km/h begrenzt. Das Amtsgericht Kulmbach hatte in diesem Verhalten einen Vorsatz des Dränglers gesehen und gegen den verkehrsrechtlich nicht vorgeahndeten Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 360 Euro sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

BayObLG hat in dem Auffahren keinen nachweisbarer Tatvorsatz erkannt

Die Rechtsbeschwerde des Mannes hatte vor dem BayObLG teilweise Erfolg, weil das Gericht bei dem Betroffenen keinen nachweisbaren Tatvorsatz feststellen konnte. Das Amtsgericht hatte argumentiert, der Betroffene habe es offensichtlich eilig gehabt und das vor ihm fahrende Fahrzeug überholen wollen. Er sei in Erwartung des Spurwechsels des vor ihm fahrenden Fahrzeugs noch dichter aufgefahren, was dazu geführt habe, dass der Abstand kurzfristig nur noch 18 Meter betragen habe.

Wann ist das Auffahren eines "Dränglers" als vorsätzlich einzustufen?

Das OLG sah die Ausführungen nicht als hinreichend an, um von einer vorsätzlichen Tatbegehung auszugehen. Vorsätzliches zu nah Auffahren setze voraus,

  • dass der Betroffene die Unterschreitung des erforderlichen Abstands erkennt
  • und diese Unterschreitung zumindest billigend in Kauf nimmt.

Das voluntative Vorsatzelement sah das OLG als nicht hinreichend begründet an. Es lasse sich nicht ausschließen, dass das zu nahe Auffahren auf einer momentanen (groben) Unaufmerksamkeit des Betroffenen beruht habe.

Vorsatztat muss mit mehr als Vermutungen begründet werden

Die Annahmen des Amtsgerichts zur Motivation des Abstandsverstoßes und dem weiteren Fahrverhalten des Betroffenen bewegten sich letztlich im Bereich bloßer Vermutungen. Allein aus der Länge der Beobachtungsstrecke von 300 Metern, auf der sich nach den Feststellungen des Amtsgerichts keine wesentlichen Abstands- oder Geschwindigkeitsänderung zeigte, könne nicht auf ein vorsätzliches Verhalten geschlossen werden, zumal die Strecke wegen der hohen Geschwindigkeit binnen sehr kurzer Zeit durchfahren wurde. Eine momentane Unaufmerksamkeit könne deshalb nicht ausgeschlossen werden.

Wann bei zu nahem Auffahren von Tatvorsatz auszugehen ist

Von einem Tatvorsatz werde – ohne Hinzutreten weiterer Umstände – laut OLG im Regelfall ausgegangen, wenn der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug nur noch 2/10 des halben Tachowerts beträgt.

In solchen Fällen könne Fahrlässigkeit schon deshalb kaum noch lebensnah begründet werden, da eine derartige Fahrweise permanent die volle Aufmerksamkeit selbst eines erfahrenen Kraftfahrers erfordere und nur ausnahmsweise mit einer momentanen groben Unaufmerksamkeit erklärt werden könne.

Fazit: Da nur von einer fahrlässigen Verwirklichung des Bußgeldtatbestands auszugehen ist, ist die Geldbuße auf 160 Euro herabzusetzen. Das einmonatige Regelfahrverbot bleibt wegen des gegebenen groben Pflichtverstoßes bestehen.

(BayObLG München, Beschluss v. 02.08.2019, 201 ObOWi 1338/19).

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Hintergrund: Wie groß ist der einzuhaltende Abstand?

Im Gesetz ist nicht genau geregelt, welchen Abstand Kraftfahrer, die hintereinander herfahren, zum Vordermann einzuhalten haben. Lediglich für Lkw über 3,5 t zulässiges Gesamtgewicht sowie für Kraftomnibusse sieht § 4 Abs. 3 StVO verbindlich vor, dass sie bei über 50 km/h mindestens 50 m Abstand zum Vordermann einhalten müssen.

Im Übrigen ist der einzuhaltende Abstand und die damit einhergehende Ahndung abhängig von der Verkehrssituation; die Faustregel "halber Tachoabstand" ist nur ein mehr oder minder unverbindlicher Anhaltspunkt. Nach der herrschenden Rechtsprechung darf der Sicherheitsabstand zwischen zwei Kraftfahrzeugen auf einer Schnellstraße den von dem nachfolgenden Kraftfahrzeug in 0,8 Sekunden zurückzulegenden Weg grundsätzlich nicht unterschreiten.

  • Die Faustregel "halber Tachoabstand" spielt allerdings bei der Ahndung nach dem bundeseinheitlichen Bußgeldkatalog eine Rolle.
  • Wer zu dicht auffährt bei mehr als 80 km/h und hierbei weniger als 5/10 des halben Tachowertes Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug einhält,
  • muss mit Geldbußen ab 75 EUR und mit Punkten in Flensburg rechnen.
  • Im Bußgeldkatalog gibt es eine Staffelung, beginnend bei einem Abstand von "weniger als 5/10 des halben Tachowertes" bis "weniger als 1/10".

Je geringer der Abstand, umso höher ist die Buße und umso mehr Punkte gibt es im FAER, evtl. sogar ein Fahrverbot.

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

Haufe Online Redaktion
Schlagworte zum Thema:  Verkehrsrecht