Kettenauffahrunfall: Wer auffährt, hat nicht immer Alleinschuld

Wer bei einem Kettenunfall als Letzter von hinten auffährt, bekommt häufig die volle Schuld. Das scheint oft nicht wirklich gerecht und muss auch nicht immer so sein. Das zeigt ein aktuelles Urteil des OLG Hamm.

Gegen den zuletzt Auffahrenden spricht häufig der Anscheinsbeweis – zu unaufmerksam gewesen, zu wenig Abstand gehalten oder einfach zu spät gebremst. Für ein schuldhaftes Verhalten spricht zudem häufig, dass bei dem letzten Auffahrenden feststeht, dass er nicht von einem anderen Fahrzeug aufgeschoben wurde und es sich deshalb um einen gewöhnlichen Auffahrunfall handelt.

Heck- und Frontschaden

Dass das nicht so sein muss, zeigt der vorliegende Fall. Die Beklagte prallte mit ihrem Fahrzeug als letzte von vier beteiligten Unfallfahrzeugen auf das vorausfahrende Auto des Klägers. Das führte zu einem Heckschaden. Zudem kollidierte das Fahrzeug des Klägers auch noch mit dem voraus fahrenden Fahrzeug, was zu einem Frontschaden führte.

Den Heckschaden in Höhe von 5.300 Euro wollte der Kläger zu 100 Prozent von der Beklagten ersetzt bekommen. Begründung: Ein Beweis des ersten Anscheins spreche für deren Unaufmerksamkeit.

Schuldhafte Verursachung fraglich

Dieser Auffassung schloss sich das OLG Hamm nicht an. Ein Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Verursachung des Heckaufpralls durch den letzten in einer Kette kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass das vorausfahrende Fahrzeug rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen ist. Kann das nicht eindeutig nachgewiesen werden, fehlt es an einem typischen Geschehensablauf, der ein Verschulden des letzten Kettenfahrers nahelegt.

Schließlich bestehe auch die Möglichkeit, dass der Vorausfahrende für den auffahrenden Verkehrsteilnehmer unvorhersehbar und ohne Ausschöpfung des Anhalteweges ruckartig zum Stehen gekommen ist, indem er seinerseits auf den Vordermann aufgefahren ist. In diesem Falle hätte sich der Anhalteweg für den nachfolgenden Fahrer unzumutbar verkürzt.

Vorder- und Hintermann haften jeweils zu 50 Prozent

Diese Überlegungen brachten das Gericht zu der Einschätzung, dass im vorliegenden Fall nicht von einem Anscheinsbeweis zugunsten des Klägers ausgegangen werden könne. Das Gericht entschied auf Haftungsverteilung zu gleichen Teilen, weil

  • die Betriebsgefahr, die von den am Unfall beteiligten Fahrzeugen ausgeht, gleich hoch zu bewerten sei und
  • es keine Umstände gebe, die eine Erhöhung der Betriebsgefahr auf der einen oder anderen Seite rechtfertigen.

Die Beklagte haftet deshalb nicht voll, sondern nur zu 50 Prozent für den Heckschaden am Fahrzeug des Klägers.

(OLG Hamm, Urteil v. 06.02.2014, 6 U 101/13).


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