Zivilgerichtsbarkeit: Videokonferenzen

Der Referentenentwurf zum Einsatz der Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit wurde im parlamentarischen Verfahren deutlich erweitert. Einzelrichter sollen die Verhandlung künftig aus dem Homeoffice leiten können.

Bürgerfreundlicher, ressourcenschonender und effektiver soll die Zivilgerichtsbarkeit durch den Einsatz der Videokonferenztechnik werden. Nach weiteren Vorschlägen im parlamentarischen Verfahren ist der Gesetzentwurf nun auch richterfreundlicher geworden. Hauptverhandlungen sollen Einzelrichter künftig aus dem Homeoffice leiten und im Homeoffice Urteile verkünden können. Auch diese erweiterte Option soll Zeit und Kosten sparen und zu einer Beschleunigung des Zivilprozesses führen.

Auch Richter müssen künftig nicht mehr im Gerichtssaal anwesend sein

Bereits seit dem 1.1.2002 ist gemäß § 128 a ZPO der Einsatz der Videotechnik in der mündlichen Verhandlung bei Zivilgerichten möglich. Seit dem 1.11.2013 ist darüber hinaus den Beteiligten auf Antrag zu gestatten, sich während der mündlichen Verhandlung unter Einsatz von Videotechnik an einem anderen Ort aufzuhalten. Dies soll nach der überarbeiteten Gesetzesfassung künftig auch für Richter gelten, d.h. auch Richter können künftig von außerhalb des Gerichtssaales per Videokonferenz Verhandlungen führen.

Videoverhandlung auch auf Antrag nur einer Partei

Zentrale Norm zur Regelung des Einsatzes der Videotechnik in der Zivilgerichtsbarkeit bleibt § 128a ZPO. Die im ursprünglichen Referentenentwurf vorgesehenen Änderungen wurden im parlamentarischen Verfahren nochmals ausgeweitet. Im Kern sieht der Entwurf folgende Neuerungen vor:


  • Statt der bisher vorgesehenen Gestattung des Einsatzes der Videotechnik in der Hauptverhandlung soll der Vorsitzende künftig ein Anordnungsrecht für die Videoverhandlung gegenüber den Verfahrensbeteiligten erhalten, § 128 a Abs. 2 Satz 1 ZPO-E. Eine Zustimmung der Parteien ist nicht mehr erforderlich.
  • Die Parteien erhalten ein eigenes Recht auf Durchführung einer Videoverhandlung, § 128 a Abs. 2 Satz 2 ZPO – E. Anders als im ursprünglichen Gesetzentwurf soll der Antrag nur eines Verfahrensbevollmächtigten, den der Richter nur in Ausnahmefällen ablehnen darf, hierfür ausreichen
  • Die Ablehnung des Antrags eines Verfahrensbeteiligten zur Durchführung einer Videoverhandlung bleibt dem Gericht (nicht dem Vorsitzenden) vorbehalten. Die Ablehnung erfolgt durch Gerichtsbeschluss, der begründet werden muss, § 128 a Abs. 2 Satz 3 und 4 ZPO-E.

Ermöglichung von Hybridverhandlungen

Darüber hinaus sieht das Gesetz die Möglichkeit zur Durchführung von Hybridverhandlungen vor, in denen z. B. der Vorsitzende oder die Mitglieder des Spruchkörpers an der mündlichen Verhandlung per Bild- und Tonübertragung teilnehmen, § 128a Abs. 4 ZPO-E. Die Videoverhandlung ist in diesen Fällen per Bild- und Tonübertragung an alle Orte zu übermitteln, an denen sich Verfahrensbeteiligte aufhalten.

Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes u.a. durch Internetstreaming

Der Öffentlichkeitsgrundsatz gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG soll künftig dadurch gewahrt werden, dass im Fall einer vollvirtuellen Verhandlung die Videoverhandlung gemäß 128a Abs. 5 Satz 3 ZPO-E an einen öffentlich zugänglichen Raum im Gericht übertragen wird. Die Öffentlichkeit hat damit die Möglichkeit, mündliche Verhandlungen wie bisher zu verfolgen. Im parlamentarischen Verfahren wurde diese Möglichkeit durch eine zusätzliche Option erweitert: Ermöglicht werden soll das Streamen der Verhandlung im Internet. Die ansonsten obligatorische Übertragung in einen Gerichtssaal würde bei diesem Verfahren entfallen. Hierzu können die Länder Pilotgerichte bestimmen. Diese weitere Option ist nicht zuletzt auch unter Kostengesichtspunkten zu sehen: Die Gerichte könnten sich die nicht unerheblichen Kosten für die Einrichtung von Übertragungsräumen ersparen.

Beweisaufnahme per Videotechnik

Im Übrigen bleibt es auch nach den Parlamentsvorschlägen bei dem bisherigen Referentenentwurf: Die Vernehmung von Beweispersonen per Bild- und Tonübertragung soll künftig in einem neuen § 284 Abs. 2 ZPO-E geregelt werden. Die Durchführung von Video-Beweisaufnahmen soll hiernach spiegelbildlich zu den Vorschriften des § 128 a ZPO-E erfolgen.

  • Die Parteien erhalten ein Antragsrecht zur Durchführung von Video-Beweisaufnahmen.
  • Das Gericht kann die Video-Beweisaufnahme auch ohne Antrag von Amts wegen anordnen.
  • Über die Durchführung der Video-Beweisaufnahme entscheidet allerdings nicht der Vorsitzende allein, sondern der gesamte Spruchkörper nach pflichtgemäßem Ermessen.
  • Bei der Ermessensausübung soll das Gericht die Vorteile der Video-Vernehmung wie Beschleunigung des Verfahrens, geringeren Zeitaufwand und geringere Kosten gegen die Nachteile, insbesondere den Verlust der Unmittelbarkeit sowie die dadurch entstehenden Nachteile bei der persönlichen Beurteilung der zu vernehmenden Personen, gegeneinander abwägen.

Fachgerichtsbarkeiten

Die neuen Regelungen zum Einsatz der Videotechnik sollen durch entsprechende Verweisungsnormen auch in verwaltungsgerichtlichen und in finanzgerichtlichen Verfahren zur Anwendung kommen, nicht aber in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit. Dort müsse die besondere Fürsorgepflicht des Sozialstaates berücksichtigt werden. Bei existenzsichernden Sozialleistungen und der Arbeitnehmer klagen soll den häufig gerichtsunerfahrenen Verfahrensbeteiligten ein möglichst einfacher Zugang zur mündlichen Verhandlung in Präsenz weiterhin ermöglicht werden. Hier werden die bereits bestehenden Möglichkeiten der Videoverhandlung daher nicht zusätzlich erweitert.

Richterbund kritisiert Zeitlupentempo bei Digitalisierung

Kritik kommt vom Deutschen Richterbund. Der Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn kritisierte gegenüber der FAZ, dass in vielen Gerichten weiterhin die erforderliche Technik und der IT-Support fehle. Das BMJ verkünde zwar weitreichende Digitalisierungspläne, die praktische Umsetzung bei den Gerichten erfolge aber eher in Zeitlupe.


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