BGH: Recht auf Einsichtnahme in Gerichtsakten

Im Zivilprozess ist das Gericht bei Vorliegen eines Geheimhaltungsinteresses nicht verpflichtet, sämtliche von einer Partei eingereichten Unterlagen der Gegenpartei zur Kenntnis zu übermitteln. Das prozessuale Recht zur Einsichtnahme erfasst nur die Prozessakte.

In einer Grundsatzentscheidung hat der BGH über den Umfang des Rechts zur Einsichtnahme in die Gerichtsakte durch die Prozessparteien geurteilt und dabei die Grenzen dieses Rechts auf Einsichtnahme bei Vorliegen eines Geheimhaltungsinteresses aufgezeigt.

Schriftsatz nebst Anlagen teilweise als „streng vertraulich“ gekennzeichnet

Der vom BGH entschiedene Fall hatte die Verletzung eines ein Mobilfunksystem betreffendes  Patent zum Gegenstand. In den Akten des Berufungsgerichts befand sich ein mit der Aufschrift Geheimhaltungsschutz versehener Sonderband. Dieser enthielt einen Schriftsatz der Klägerin, der in Teilen als „streng vertraulich“ gekennzeichnet war. Hinzugefügt war die Bitte, die so gekennzeichneten Teile nur an bestimmte Personen weiterzugeben und diese ihrerseits zur Vertraulichkeit zu verpflichten. Das Berufungsgericht hat dieses Begehren zurückgewiesen und der Klägerin anheimgestellt, einen teilgeschwärzten Schriftsatz einzureichen, was diese auch getan hat.

Beklagtenvertreter pochte auf Einsicht in Geheimhaltungsunterlagen

Auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten hat die Geschäftsstelle des zuständigen BGHSenats nach Rücksprache mit dem Vorsitzenden die Gerichtsakten ohne die der Geheimhaltung unterliegenden Unterlagen zur Verfügung gestellt. Gerade die geheimen Unterlagen wollte der Beklagtenvertreter aber sehen. Die gegen die Verweigerung der Einsichtnahme gemäß § 573 ZPO vom Beklagtenvertreter eingelegte Erinnerung wies der BGH als unbegründet zurück.

Gesetzliches Recht auf Einsicht in die gesamte Prozessakte

Rechtsgrundlage des Zurückweisungsbeschlusses des BGH war § 299 ZPO. Gemäß § 299 Abs. 1 ZPO haben die an einem Prozess beteiligten Parteien das Recht, die gesamte Prozessakte einzusehen und sich aus ihnen durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. Dritten Personen ist die Einsichtnahme nur bei Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses gestattet.

Schriftsatz mit Geheimhaltungsvorbehalt wurde nicht Teil der Prozessakte

Nach Auffassung des BGH sind die der Geheimhaltung unterliegenden, von der Klägerin eingereichten Unterlagen nicht Bestandteil der Prozessakte geworden und unterliegen damit nicht dem Einsichtsrecht gemäß § 299 Abs. 1 ZPO. Der BGH stellte allerdings klar, dass sämtliche Schriftsätze und Unterlagen, die bei dem Gericht zu dem Rechtsstreit geführt werden, grundsätzlich zur Prozessakte gehören. Dies gelte aber nicht für Unterlagen, deren Weitergabe an die Gegenpartei vom Einreicher eingeschränkt oder von Bedingungen abhängig gemacht wird. Mit einer solchen Bedingung gebe der Einreicher zu erkennen, dass diese Unterlagen nicht ohne weiteres Gegenstand der Prozessakte werden sollen. Konkret habe das Gericht auch seinerseits zu erkennen gegeben, diese Unterlagen nicht zur Prozessakte nehmen zu wollen, indem es der Klägerin die Einreichung einer teilgeschwärzten Fassung anheimgestellt habe.

Schriftsätze sind bedingungsfeindlich

Darüber hinaus wies der BGH darauf hin, dass die Einreichung von Schriftsätzen als solche grundsätzlich wie eine Prozesshandlung - unabhängig von der Frage, ob die Einreichung von Schriftsätzen prozessual als Prozesshandlung zu werten ist oder nicht - bedingungsfeindlich sei (BGH, Urteil v. 11.7.1995, X ZR 99/92). Deshalb sei in der Regel davon auszugehen, dass die von einem Prozessbevollmächtigten unter einem Geheimhaltungsvorbehalt eingereichten Schriftsätze grundsätzlich nicht für die Prozessakte bestimmt seien. In einem solchen Fall sei es Aufgabe des Prozessbevollmächtigten, seinerseits Klarheit über den Charakter der eingereichten Unterlagen zu schaffen.

Keine Verletzung rechtlichen Gehörs

Vorsorglich stellte der BGH klar, dass die Versagung der Einsicht in die überreichten Unterlagen, nicht das Recht der Beklagten auf rechtliches Gehör gemäß § Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn das Gericht eine Entscheidung zum Nachteil der Beklagten auf diese geheimen Unterlagen stützen würde, ohne der Beklagten in angemessener Weise Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Eine aus einer solchen Verfahrensweise resultierende Verletzung des Rechtes auf rechtliches Gehör müsse dann im Rahmen einer Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden.

Erinnerung blieb ohne Erfolg

Im Ergebnis wies der BGH mit dieser Begründung die Erinnerung gegen die Versagung der Einsichtnahme in die mit dem Geheimhaltungsvermerk versehenen Unterlagen zurück.

(BGH, Beschluss v. 14.1.2020, X ZR 33/19)

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