Vier Felder, in denen Führung verbesserungsfähig ist

Das 13. "Manager Barometer" von Odgers Berndtson offenbart Entwicklungsbedarfe bei Unternehmenskultur und Führungskompetenzen. Es zeigt auf, dass in vielen Unternehmen patriarchale Führungsstile dominieren, eine mangelnde Lern- und Fehlerkultur und ein gesteigertes Karrieredenken vorherrschen sowie Lücken bei der "Futures Literacy" von Führungskräften bestehen.

Managerinnen und Manager zweifeln an der Innovationskraft des eigenen Unternehmens. Zu diesem Schluss kommt das "Manager Barometer 2023-2024" von Odgers Berndtson. Der Anbieter von Executive Search und Leadership Assessment hat zum 13. Mal ein Executive Panel befragt. Von Anfang August bis Anfang September 2023 beteiligten sich 1.324 Führungskräfte. Demnach bezeichnen weniger als ein Drittel (26,6 Prozent) ihr Unternehmen als "sehr innovativ". Bei Familienunternehmen geben dies sogar nur 24,1 Prozent an, also etwa jede vierte Führungskraft. Nur 2,4 Prozent der Befragten sehen ihr Unternehmen auf dem Höhepunkt der Innovation.

Das Manager Barometer macht einige Entwicklungsfelder auf persönlicher und organisationaler Ebene aus, die damit einhergehen:

1. Patriarchale Führung

Patriarchen und Matriarchinnen dominieren heute noch in vielen Top-Managementpositionen, vor allem in Familienunternehmen. In mehr als einem Drittel (36,2 Prozent) der Unternehmen nehmen die Befragten den Führungsstil als patriarchal wahr – bei den Familienunternehmen sind es sogar 43,4 Prozent. Besonders verbreitet ist eine solche Führungskultur laut der Befragung in der Automobilindustrie.

Dass die oberste Führung das operative Geschäft und Management mitbestimmt, sei hinderlich bei der Suche nach Fachkräften. Dies gilt auch für weitere Faktoren, die die Führungsarbeit in diesen Unternehmen ausmachen. So ist Führung in vielen Unternehmen nach wie vor ein Vollzeitjob. Nur ein knappes Drittel (31,2 Prozent) der Unternehmen realisieren laut Manager Barometer Konzepte wie "Führen in Teilzeit" oder "Führen im Tandem". In Familienunternehmen sind solche Konzepte noch seltener: nur 22,5 Prozent der Unternehmen nutzen solche Ansätze.

2. Mangelnde Lern- und Fehlerkultur

Bei einem Wechsel des Unternehmens achten die befragten Managerinnen und Manager vor allem auf eine ansprechende Unternehmenskultur. Dazu zählen "weiche" Faktoren wie die Art des Umgangs miteinander, die Form der Ansprache, Benefits und die Bereitschaft zu Flexibilität. Mehr als 82 Prozent der Befragten empfinden eine zu ihnen passende Unternehmenskultur als "sehr wichtig", der höchste Wert seit 2019, als diese Frage erstmals im Manager Barometer gestellt wurde. Die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens ist für sie dagegen nachrangig – nur 48 Prozent finden das wichtig, wenn sie den Job wechseln. "Innovative Unternehmen sind nicht unbedingt attraktive Arbeitgeber", heißt es dazu in der Studie.

Vor allem in der Industrie herrscht der Befragung zufolge jedoch ein traditionelles Modell vor. Insbesondere Familienunternehmen legten viel Wert auf die Anwesenheit vor Ort. Weniger als ein Drittel aller befragten Unternehmen (26,8 Prozent) pflegt eine offene Fehler- und Lernkultur. Auch darüber hinaus vermissen die Führungskräfte eine wertschätzende Kommunikation. In den Freitextantworten beschreiben sie die Kommunikation in ihrem Unternehmen mit Worten wie "behördenhaft", "chaotisch", "sprunghaft", "Mikromanagement", "kontinuierlicher Feuerwerksmodus" oder "hierarchisch". Die Studie kommt zu dem Schluss: Vor allem Familienunternehmen hinken bei der Modernisierung der Arbeitswelt hinterher. 

3. Eigennütziges Karrieredenken

Sich wohlfühlen am Arbeitsplatz, Beruf und Familie gut vereinbaren können und das Gefühl, dass die eigene Arbeit wahrgenommen wird – das ist es, was für Top-Führungskräfte zählt. Offensichtlich verfolgen sie vor allem ihre persönliche Agenda. Und da stehen die Einflussnahme und der Gestaltungswille sowie die Möglichkeit, ihre persönlichen Stärken und Begabungen einsetzen zu können, ganz oben. Dahinter rangieren die Freude an der Führungsaufgabe, die Sinnhaftigkeit der Aufgabe, Status und Titel, die Mitwirkung an Veränderungen in innovativen Unternehmen und persönliche Weiterentwicklung. Der Unternehmenszweck muss hinten anstehen. Wenn es darum geht, in den nächsten beruflichen Schritt zu investieren, ist nur ein geringer Teil der der Befragten zu Gehaltseinbußen oder dem Verzicht auf sonstige Privilegien bereit – mit 21,2 Prozent ein noch geringerer Anteil als in den Vorjahren.

Dass Managerinnen und Manager das Eigenwohl über das Gemeinwohl stellen, entspricht laut Prof. Dr. Nadine Kammerlander, Professor of Family Business an der WHU – Otto Beisheim School of Management dem Trend der Zeit. "Aber hier muss sich der Mittelstand auch an die eigene Nase fassen." Durch (Teil-)Verkäufe, Zurückhaltung bei Investitionen und eine weniger aktive Rolle der Eigentümer seien die Mittelständler in den letzten Jahren deutlich weniger (positiv) sichtbar in den gesellschaftlichen und politischen Diskussionen gewesen. Zudem habe so manches Unternehmen zwar traditionelle Werte bewahrt, dabei aber notwendige Anpassung der Unternehmenskultur verpasst. "Für eine starke Position am Markt braucht es Innovation – und für diese wiederum ist eine gute Unternehmenskultur die Grundlage."

4. "Futures Literacy" der Führungskräfte

In Kooperation mit der LeadershipGarage an der Leuphana Universität analysierte das Manager Barometer zudem die sogenannte "Futures Literacy" von Führungskräften. Damit ist die individuelle Fähigkeit gemeint, Vorstellungen von möglichen Zukünften zu entwickeln und immer wieder neu infrage zu stellen. Für diese Zusatzanalyse ist eine weitere Befragung mit einem Stichprobenumfang von 274 Befragten eingeflossen. Das Ergebnis: Je höher die Futures Literacy der Führungskräfte ausgeprägt ist, desto eher berichten sie, dass ihr Führungshandeln zu einer Steigerung des persönlichen Führungserfolgs und des Unternehmenserfolgs beiträgt. Auch die wahrgenommene Zufriedenheit der Mitarbeitenden mit ihrer Führungskraft, ihre Bereitschaft, agil und flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren und die Anzahl umgesetzter Innovationen im Unternehmen steigen in diesem Zusammenhang.

Die befragten Führungskräfte zeigen insgesamt positive, aber optimierbare Ausprägungen der Komponenten von Futures Literacy. Die Analyse unterscheidet acht Kompetenzfelder, in denen Führungskräfte angemessen agieren sollten (Performance-Leadership-Modell):

  • Aufbau innovationsfreundlicher Strukturen im Unternehmen (Innovation Leadership) und Begeisterung von Mitarbeitenden für eine überzeugende Zukunftsvision (Inspirational Leadership),
  • Förderung positiver sozialer Beziehungen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden (Relational Leadership), insbesondere unter Berücksichtigung der speziellen Herausforderungen in der Führung auf Distanz (Hybrid Leadership),
  • Weiterentwicklung und Umsetzung von Veränderung (High Impact Leadership) und Nutzung neuester technischer Entwicklungen (AI Enhanced Leadership) sowie
  • gesunde Führung (Healthy Leadership) und Führung unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten (Sustainable Leadership).

Nachholbedarf der Führungskräfte identifiziert die Studie nicht nur beim Innovation Leadership, sondern auch beim Sustainable Leadership und vor allem in puncto AI Enhanced Leadership. Die Studienautorinnen und -autoren stimmt dieser Befund dennoch zuversichtlich. Denn sie betrachten Futures Literacy als eine Kompetenz, die gezielt trainierbar und erweiterbar ist.


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