Erfolgskriterien für gelungenes Team-Coaching

Viele Probleme, mit denen Unternehmen derzeit konfrontiert sind, können nur von Teams gelöst werden. Team-Coachs sind in der Lage, die Mitarbeitenden dabei zu unterstützen, kreativer und innovativer zu werden. Doch das klappt nur, wenn alle bereit sind, über die unbewussten Kommunikations- und Entscheidungsmuster ihres Teams zu reden.

Als Franziska Weis, Personalentwicklerin bei der Softwareschmiede SAP, den "Prism Award 2020" der International Coaching-Federation (ICF) entgegennahm, wurde sie auch gefragt, welche Coaching-Schwerpunkte in Zukunft bei ihrem Arbeitgeber gesetzt würden. Sie verriet, dass es verstärkt um Team-Coachings gehen werde: "Unsere Teams müssen immer schneller auf Veränderungen reagieren. Da ist deren Coaching-Bedarf mit den Händen zu greifen."

"Die Zukunft des Coachings liegt im Team-Coaching, weil dadurch auch an der Entwicklung eines Unternehmens gearbeitet wird." – Bernd Schmid, DBCV-Senior-Coach

Der Trend zum Team-Coaching hat inzwischen dazu geführt, dass die deutsche Sektion der ICF allgemeingültige Richtlinien für die Ausbildung von Coachs zu Team-Coachs veröffentlicht hat. Und auch beim Deutschen Bundesverband Coaching e. V. (DBVC) ist Team-Coaching ein aktuelles Thema. Gunther Schmidt und Bernd Schmid, zwei einflussreiche Pioniere der deutschen Coaching-Szene, haben auf dem Coaching-Kongress 2022 des DBVC darauf hingewiesen, dass es höchste Zeit sei, Coaching in die Unternehmen hineinzubringen. Da das Einzel-Coaching oft nur dem Individuum diene, liege die Zukunft des betrieblichen Coachings eindeutig im Team-­Coaching. Dort könne an den Mustern eines Teams und letztlich auch eines Unternehmens gearbeitet werden. 

Wie findet der Team-Coach ungünstige Verhaltensmuster?

Doch wie kann ein Coach an den Kommunikationsmustern eines Teams arbeiten? Nadine Schmidt, eine international erfahrene Beraterin und seit mehr als zehn Jahren Executive Coach sowie Team-Coach, erklärt das Wesen des Team-­Coachings anhand eines Praxisbeispiels: "Probleme werden gern personalisiert. Das passiert auch ständig in Teams. Dabei bestehen Teams streng genommen nicht aus Personen, sondern aus Beziehungen." So kann es laut Schmidt zum Beispiel sein, dass die große Mehrheit eines Teams sich darin einig ist, dass das Teammitglied Meyer mit seiner ständigen Bedenkenträgerei die gemeinsame Arbeit blockiert und alle demotiviert. Es wäre dann ein schwerer Fehler, wenn der Team-Coach diese Sichtweise übernähme und anfinge, sich auf Herrn Meyer und sein vermeintliches "Fehlverhalten" zu fokussieren. Ein erfahrener Team-Coach würde vielmehr auf die so entstehende Sündenbockdynamik aufmerksam machen, die durch alle Teammitglieder gemeinsam erzeugt wird.

Die spannende Frage ist dann, wie lässt sich das Zustandekommen einer solchen Dynamik sinnvoll erklären? Wie trägt jeder Einzelne dazu bei, diese zu erzeugen? Womit muss sich das Team nicht beschäftigen, wenn alle davon ausgehen, dass ausschließlich Meyer das Problem ist? Nicht selten haben ungünstige Teamdynamiken und dysfunktionale Muster ihre Ursache auch in unklaren Rollendefinitionen oder schlecht definierten Schnittstellen. 

Aufgaben eines Team-Coachs

Die Aufgabe des Team-Coachs ist es, den Fokus auf das System "Team" zu lenken und an den – im Sinne einer erfolgreichen Aufgabenbearbeitung – ungünstigen Mustern und ihren wahren Ursachen zu arbeiten. Üblicherweise versuchen Team-Coachs das komplexe Gelände der Beziehungsmuster, auf dem sie sich bewegen, durch Fragen zu erkunden. Ein Team-Coach könnte zum Beispiel rund um das Thema "Entscheidungen treffen" folgende Fragen stellen und von den Teammitgliedern, die in Kleingruppen geschickt werden, Antworten suchen lassen: 

  • Wie werden im Team Entscheidungen getroffen? 
  • Welche Rolle spielt dabei die Teamleitung und/oder die Geschäftsführung?
  • Welche Rolle spielen dabei einzelne Teammitglieder?
  • Wodurch bekommt man als Teammitglied Einfluss auf die wirklich wichtigen Entscheidungen?
  • Wie werden die Konflikte gelöst, die beim Entscheiden auftreten und wann entstehen Untergrundkämpfe?

Andere Fragensammlungen könnten sich mit dem Vertrauen im Team, mit der Motivation der einzelnen Mitglieder und mit dem Umgang mit Widersprüchen (wie zum Beispiel "Qualität abliefern und gleichzeitig schnell ein Ergebnis erzielen") befassen. Jedes Kleingruppenmitglied beantwortet die Fragen für sich selbst auf Moderationskarten. Alle Moderationskarten werden dann dem gesamten Team auf Pinnwänden präsentiert. Anschließend wird unter Leitung des Team-Coachs ermittelt, welche ungeschriebenen Gesetze im Team gelten und ob diese im Hinblick auf die Teamaufgabe nicht besser geändert werden sollten. Die Regel bei allen Teamdiskussionen sollte lauten: Jeder darf reden und jeder wird gehört. Gruppendiskussionen können gelegentlich von wenigen Mitgliedern dominiert werden. Wenn Teammitglieder von der Diskussion ausgeschlossen werden, können leicht wertvolle Argumente unter den Tisch fallen. Der Coach muss auf das Engagement aller Beteiligten achten und bei Gelegenheit introvertierte Menschen dazu ermutigen, ihre Meinung zu sagen.  

Ein unorthodoxer Ansatz, hinter die Teammuster zu kommen, besteht darin, dass ein Teammitglied in die Rolle eines reinen Beobachters wechselt und ein Meeting quasi "von außen" miterlebt. Das Team gibt dem Einzelnen die Erlaubnis, zu sagen, was er sieht – ohne Angst vor irgendeiner Vergeltung für kritische Anmerkungen. Der Beobachter berichtet von seinen positiven wie negativen Eindrücken. Dabei werden auch die Emotionen, die von ihm im Raum gespürt wurden, ausführlich kommentiert. Die Rolle des Beobachters kann zur Rolle des "Hofnarren" erweitert werden. Dann hat der Beobachter das Recht, das "Gruppendenken" mit Witz und Humor aufs Korn zu nehmen. Er redet aber nur, wenn er vom Team darum gebeten wird. Dann darf er auch provozieren – ganz mit dem Ziel, alternative Verhaltens- und/oder Entscheidungsoptionen herauszukitzeln.   

Auf den "Elefant im Raum" achten 

Eine weitere Intervention wird der "Elefant im Raum" genannt. Der Team-Coach spürt aufgrund seiner wachen Wahrnehmung, dass etwas die Zusammenarbeit im Team beeinträchtigt – worüber aber niemand sprechen möchte. Das Problem hat bildhaft gesprochen die Größe eines Elefanten. Die unausgesprochenen Regeln, die das Team irgendwann aufgestellt  hat oder die sich im Laufe der Zeit unreflektiert entwickelt haben, verlangen offenbar, dass das Problem nicht erwähnt wird, da dies als Bedrohung des Teamzusammenhalts empfunden wird. 

Oft bezieht sich der Elefant auf die Beziehungen innerhalb eines Teams. Daneben gilt es auch zu beachten, dass das Problem in der Beziehung zwischen dem Team und einem oder einer einflussreichen Außenstehenden liegen kann. Der Team-Coach spricht seine Beobachtung bei passender Gelegenheit an, zum Beispiel mit der Aussage: "Ich habe das Gefühl, dass es ein Problem gibt, das nicht diskutiert wird." Und er fragt: "Gibt es irgendetwas, worüber wir sprechen sollten, das derzeit ignoriert wird?" oder "Mir ist aufgefallen, dass wir nie über ein bestimmtes Thema X sprechen – was werden wir in Bezug auf dieses Thema tun, damit es uns nicht länger im Weg steht?"

Erfolgskriterien für gelungenes Team-Coaching

Woran kann man den Erfolg eines Team-Coachings messen? Eine – bewusst etwas salopp formulierte – Checkliste, die der DBVC-Senior-Coach Klaus Eidenschink veröffentlicht hat und hier stark verkürzt wiedergegeben wird, bietet Orientierung. 

1.     Entscheidungsorientierte Interventionen (Sachdimension):

  • Entscheidungen und die Risiken des Scheiterns werden gemeinsam getragen ("Ich bin mit dabei.")
  • Fehler werden gemeinsam verantwortet und ausgewertet ("Ich war mit dabei.") 
  • Es gibt ein gemeinsames Verständnis der Prioritäten ("Alle für eins.")
  • Widerstand wird nicht hierarchisch beseitigt ("Wer nicht überzeugt, hat schon verloren.")

2.     Beziehungsorientierte Interventionen (Sozialdimension):

  • Es gibt eine hohe Investition in die Beziehungen ("Keiner kann hier außen vor sein.")
  • Es gibt ein hohes Interesse an der Wirkung des eigenen Handelns ("Ich möchte wissen, wie es den anderen mit mir geht.")
  • Es gibt wenig Diskrepanz zwischen Gesagtem und Ungesagtem ("Ich rede mit den anderen, nicht über sie.")
  • Absicherungs-, Rechtfertigungs- und Sündenbockdiskurse werden minimiert ("Es ist nicht wichtig, wer Recht hatte.")
  • Alle fühlen sich in der Verantwortung, der Teamleitung den Rücken zu stärken ("Wir machen unseren Chef beziehungsweise unsere Chefin stark.")
  • Taktieren und Koalitionsbildungen werden sofort problematisiert ("Was alle angeht, können nur alle lösen.")

3.     Bearbeitung von Unsicherheit (Zeitdimension)

  • Konflikte werden als Chance begriffen ("Komplexität braucht Auseinandersetzung.")
  • Ohnmachtsgefühle und Unsicherheiten werden toleriert und im gemeinsamen Diskurs aufgeklärt ("Die Zukunft ist immer unbekannt.")
  • Unsicherheit wird im Umgang mit Komplexität als Wert erkannt, genutzt und gepflegt ("Wer sicher ist, lernt nicht.")

Quelle: "Wie kann man Teams coachen?" – ein Aufsatz von Klaus Eidenschink in dem Sammelband "Professionell coachen" von Alica Ryba, Daniel Pauw, David Ginati und Stephan Rietmann (Beltz, 2014).

Team-Coaching ist die Königsdisziplin 

Ein Team-Coach muss den Mut haben, herausfordernd zu fragen. Auf die entsprechenden Fragen und bemerkenswerten Denkanstöße zu kommen, die etwas in Bewegung bringen, ist eine große Kunst. Team-Coaching gilt nicht umsonst als die Königsdisziplin des Coachings. Die International Coaching Federation Deutschland reagierte auf diese Entwicklung, indem die üblichen ICF-Coaching-Kompetenzen um 29 spezielle Team-Coaching-Kompetenzen ergänzt wurden. 

Die Diplom-Psychologin Anne Schweppenhäußer, Mitglied der Ethik-Kommission der ICF Deutschland und Partnerin der Cicero Organisationsentwicklungs GmbH in Stuttgart, stellt die ganz besondere, nicht-direktive Bedeutung des Begriffs "Team-Coaching" klar: "Vorsicht ist geboten, wenn die Integration von Team-Coaching mit Team-Training, Beratung oder Mentoring in Erwägung gezogen wird." Für die ICF ist Team-Coaching das "facettenreichste" Coaching. Ein Team-Coach brauche neben einer "normalen" Coaching-Ausbildung unter anderem ein tiefes Verständnis von Gruppendynamik sowie dem Wesen von Organisationen, die betriebswirtschaftliche Ziele erreichen müssen, um auf ihrem Markt zu überleben. Auch für die International Coaching Federation gilt an erster Stelle, dass der Team-Coach nur für das gesamte Team arbeitet und nicht für Untergruppen. 

Auf  das reagieren, was sichtbar wird

Gerade beim Team-Coaching zeigt sich im Übrigen sehr deutlich, dass man als Coach den Verlauf sozialer Prozesse nicht planen kann. Klaus Eidenschink, DBVC-­Senior-Coach aus München und ein gefragter Ausbilder von Coaches, betont: "Es verbietet sich geradezu, ein standardisiertes Vorgehen zu wählen, nach dem Motto: So geht Team-Coaching!" Ein Team-Coach müsse situativ auf den entscheidenden Moment, in dem in einem Team plötzlich etwas sichtbar werde, achten und dann sinnvoll darauf reagieren.


Dieser Beitrag ist erschienen in neues lernen, Ausgabe 2/2023, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der App personalmagazin - neues lernen.


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Schlagworte zum Thema:  Coaching, Teamarbeit