Erfolgreich Beschäftige rekrutieren statt Mangelverwaltung

Im öffentlichen Dienst fehlen Fachkräfte, vor allem in den Gesundheits- und Pflegeberufen, bei der IT und Ingenieuren, aber auch in den klassischen Verwaltungsberufen. Unser Gastautor Dr. Stefan Döring nennt acht Zielgruppen, die besser erschlossen werden sollten und den Fachkräftemangel lindern könnten.

Seit über 15 Jahren frage ich Amts- und Personalleiter immer wieder: Haben Sie Fachkräftemangel? Seit 10 Jahren gehen alle Arme hoch. Ja, in Behörden können Stellen nicht besetzt werden. Es mangelt flächendeckend an Fachkräften in den Gesundheits- und Pflegeberufen und der IT, an Ingenieuren, Lehrern, Handwerkern sowie an klassischen Verwaltungskräften. Der Fachkräftemangel ist real. Daher hilft es wenig, immer neu auszuschreiben. Es gilt stattdessen auch neue Zielgruppen zu erschließen.

Eltern

Wenn ich Eltern schreibe, meine ich vor allem Mütter. Auch der Partner übernimmt zwar zunehmend die Betreuung der Kinder, geht länger in Elternzeit und arbeitet Teilzeit. Dennoch sind es – auch dank Gender Pay Gap - vor allem Mütter, die beruflich zurückstecken. Immerhin 65 Prozent der Frauen arbeiten Teilzeit und das nicht unbedingt freiwillig. Jede zweite Frau nennt als Ursache fehlende Betreuungsmöglichkeiten kombiniert mit unflexiblen Rahmenbedingungen der Arbeitgeber. Ein großer Anteil würde gerne wieder mehr oder Vollzeit arbeiten. Neben den notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen bedarf es eines radikalen Umdenkens in den Organisationen, um dieses riesige Potential der Eltern als potenzielle Arbeitskräfte zu erschließen.

Gleichzeitig höre ich immer wieder Sätze wie „Man muss doch verfügbar sein!“ oder „Teilzeit geht hier nicht.“ Jemand Kompetentes und Motiviertes halbtags zu beschäftigen, ist immer besser, als die Stelle unbesetzt zu lassen. Es gibt wohl auch niemanden, der besser organisiert und viele Bälle in der Luft hält als Eltern. Warum Führungspositionen nicht in Teilzeit und mit geteilter Führung besetzen? Zu den notwendigen Maßnahmen gehört auch die Flexibilisierung der Arbeit: Je flexibler Arbeitszeit und Ort, desto geringer wird die Teilzeitquote ausfallen. Das weit verbreitete Rückbeordern ins Büro ist da kontraproduktiv. Auch in wahlweise 4 oder 7 statt 5 Arbeitstagen zu denken, kann eine Hilfe sein - gerade, wenn die Kita mal wieder kurzfristig schließt. Wenn Arbeitgeber selbst Kinderbetreuung anbieten, ist dies ein großer Bindungsfaktor.

Die gezielte Ansprache und Aktivierung von Eltern für eine (Vollzeit)Beschäftigung ist eine gute Strategie, um im Fachkräftemangel zu bestehen. Gleichzeitig kann eine flexibel gestaltete Teilzeitbeschäftigung die Aufnahme einer Beschäftigung ermöglichen.

Interne Talente

Auf Beiträge wie "Ist Aufgeben im Beruf eine Option?" oder "Jeder ist ersetzbar" erhalte ich regelmäßig Leserpost. Darüber freue ich mich, aber inhaltlich ist das oft frustrierend. Da schreiben mir junge, aber auch viele erfahrene Kollegen, dass sie nicht weiterkommen. Trotz bester Qualifikation, oft auch privat finanzierter Master und langjähriger Erfahrung können sie sich nicht bewerben. Viele stecken in der „falschen“ Laufbahn oder Fachrichtung fest. Einige beklagen, dass es ihnen an politischer Rückendeckung für Spitzenpositionen fehlt. Wieder andere erklären, dass sie in der Vergangenheit zwar sehr erfolgreich waren, dabei aber einigen „Machtpersonen“ auf den Schlips gestiegen sind und nun durch jedes Auswahlverfahren fallen. Kein Wunder, dass je nach Studie 30 bis 50 Prozent der Beschäftigten wechselwillig sind. Zunehmend entscheiden sich sogar langjährige Beamte für die Entlassung. Etwas, was vor ein paar Jahren undenkbar schien.

Die Folgen sind dramatisch. Es ist schon fast besser, wenn sich die internen Talente extern umorientieren und damit den Fachkräftemangel in der Organisation verschlimmern. Noch schlimmer ist es, wenn die Menschen bleiben und abschalten. Organisationen brauchen ein echtes Talentmanagement, was objektiv auf Kompetenz, Können und beruflichen Erfolg (nicht zu verwechseln mit Erfahrung, denn man kann seinen Job auch viele Jahre schlecht machen) setzt. Zielgerichtete Förderung schließt sich an. Einige Behörden setzen hier schon auf Trainee-Programme und Nachfolgeregelungen und werden damit im Fachkräftemangel die Nase vorn haben.

Ausländische Fachkräfte

Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse soll zwar einfacher werden, ist aber immer noch ein Trauerspiel. Ebenfalls ist es kaum noch zu erklären, dass in Deutschland ausgebildete und gut integrierte Fachkräfte immer noch abgeschoben werden. Ebenfalls unfassbar, dass viele Fachkräfte unter den Flüchtlingen schlicht nicht arbeiten dürfen. Alles Regelungen, die den Fachkräftemangel ignorieren. Dass wir ohne Zuwanderung das benötigte Arbeitskräftepotential nicht halten können, ist längst kein Geheimnis mehr und hat endlich den Gesetzgeber zum Handeln veranlasst.

Neben diesen politischen Aspekten scheuen viele Arbeitgeber aber die Einstellung von Zuwanderern vor allem wegen der Sprachbarriere. Dabei ist eine Investition in entsprechende Schulungen im Sinne der Besetzung von Stellen gut angelegt. Auch gibt es bereits Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, die im Ausland rekrutieren.

Fragt man zugereiste Fachkräfte, so wollen diese dennoch selten bleiben. Deutschland gelingt es nicht, diese Menschen in die Gesellschaft oder Nachbarschaft zu integrieren. Viele wandern daher wieder zurück oder gehen lieber in andere Länder. Deutschland ist schlicht unattraktiv. Gerade Kommunen haben hier viele Möglichkeiten, das Ankommen und die Aufnahme ausländischer Fachkräfte zu unterstützen. Sport, Ehrenamt, Feuerwehr, Vereine, Betriebssport sind nur Beispiele.

Abbrecher und Umorientierter

Im agilen Mindset und unter dem Stichwort New Work wird gerne von Fehlerkultur gesprochen. Aus Fehlern gemeinsam lernen und schnell scheitern, bevor man ewig herumdoktert, sind wesentliche Aspekte. Der öffentliche Dienst hat massive Schwierigkeiten damit, denn sein Mindset der Rechtstaatlichkeit und Bestenauslese kennt keine Fehler. Vielleicht ist das der Grund, dass einmal gescheiterte Menschen so wenig als Zielgruppe gesehen werden.

Krankheit, Familie, Insolvenz, das falsche Studium oder der Beruf, den man nicht mehr ausüben kann – es gibt viele Gründe, warum man sich umorientiert. Als Dozent habe ich Menschen, die mit dem Angestelltenlehrgang einen zweiten beruflichen Weg eingeschlagen haben, als viel motivierter und zielstrebiger erlebt als manchen kurz nach dem Schulabschluss. Nicht nur wegen dieser Erfahrung bin ich überzeugt, dass ein Personalmarketing, dass bewusst Abbrecher als Zielgruppe definiert, erfolgreich sein wird. Werben Sie an Unis und Berufsschulen und zeigen Sie Alternativen auf.

Ältere Menschen

Ähnliche Ablehnung wie bei den Teilzeitkräften erlebe ich gegenüber älteren Arbeitskräften. Aber auch ein 60-jähriger Mensch hat noch viele Jahre, in denen er einen Beitrag leisten kann. Warum nicht mit über 50 noch eine Ausbildung oder ein duales Studium anfangen? Wir müssen Vorurteile abbauen. Ich sehe dahingehend leider bisher keine gezielten Kampagnen. Die Einstellungstests für den gehobenen Dienst sind spätestens in diesem Zusammenhang nicht mehr zeitgemäß.

Viel wird aktuell davon gesprochen, Arbeitszeiten zu verlängern und das Renteneintrittsalter noch weiter hinauszuschieben. Das ist zwar verständlich, widerspricht aber der Realität. Die Menschen wollen weniger arbeiten und früher aufhören. Diesen Teufelskreis werden wir nur durchbrechen, wenn wir das Arbeiten im Alter attraktiv gestalten. Dazu gehört ein gutes BGM, aber auch entsprechende Anreize.

Quereinsteiger

Hier gibt es Positives zu berichten: Immer mehr Behörden setzen auf Quereinsteiger bei der Besetzung offener Positionen. Was beim mittleren Verwaltungsdienst angefangen hat, gipfelt in umfassenden Konzepten größerer Städte. Ein echter Matchwinner gegenüber der Konkurrenz im Fachkräftemangel.

Was dabei problematisch ist, ist die Kultur in den Organisationen. Der Frust ist zwar verständlich, wenn sich Kollegen nach anspruchsvoller Ausbildung des öffentlichen Dienstes und langen Jahren des Wartens auf Beförderung und Karriere plötzlich in derselben Entgeltgruppe wie ein Quereinsteiger wiederfinden. Aber was ist die Alternative? Das Pensum der offenen Stellen dauerhaft aufzufangen, ist keine gute Idee. Das sehen wir an der Flucht aus der Pflege. Hier braucht es einen Kulturwandel, den die Führungskräfte als Vorbild unterstützen müssen.

Rückkehrer

Ehemalige Kollegen, die beim alten Arbeitgeber wieder einsteigen wollen, werden vielfach als „normale“ Bewerber behandelt und müssen den gesamten Auswahlprozess über sich ergehen lassen. Das muss man sich mal vorstellen: Fachkräfte, die viele Jahre mit Bestnote beurteilt wurden, fallen bei derselben Organisation auf Basis eines einstündigen Gesprächs durch. Meist sind nicht Ausschreibungsrichtlinien die Ursache, sondern die Kultur. Der Arbeitgeber spielt die beleidigte Leberwurst im Sinne „Habe ich es dir doch gesagt“ und „Reisende soll man nicht aufhalten.“

Im Fachkräftemangel ist kein Platz für solche Allüren. Im Gegenteil, es kann kaum etwas Besseres passieren. Studien zeigen, dass Motivation und Bindung nach dem Bumerang-Recruiting sehr hoch sind. Zudem fällt Sozialisation und Einarbeitung weg. Eine Rückkehr unter 6 Monaten sollte daher immer ohne Ausschreibungs- und Auswahlverfahren möglich sein. Das muss auch nicht auf demselben Posten sein, wenn dieser bereits besetzt ist. Ich empfehle bereits beim wertschätzenden Abschied diese Tür weit aufzustoßen. Das Potential ist riesig: Aktuellen Untersuchungen folgend, können sich 43 Prozent derer, die den Arbeitgeber gewechselt haben, eine Rückkehr vorstellen.

Gen Z

Das ich abschließend die Generation Z (und zukünftig Gen Alpha) hier aufnehme, hat mit den Vorurteilen zu tun, die den jungen Menschen im Arbeitsleben entgegengebracht und von Politikern und Gremienvertretern geschürt werden: Keine Leistungs- und Lernbereitschaft, keine Dankbarkeit und Bindung.

Ich sehe das etwas differenzierter. Duale Studiengänge und Trainee-Programme sind weiterhin attraktiv – wenn langweilige Praxisphasen vermieden werden. Auch sollten sich Arbeitgeber Gedanken machen, wie es nach dem Abschluss weitergeht. Passiert das nicht, lassen Beförderungen und Karriereschritte Jahre auf sich warten, muss sich niemand wundern, dass die jungen Menschen sich umorientieren. Heute hat niemand mehr mit knapp 20 Jahren ausgelernt und ist bereit, denselben Job bis zur Rente zu machen.

Daher kann sich ein Personalmarketing um die jüngeren Generationen lohnen, das nicht mehr so sehr auf Sicherheit, sondern auf Abwechslung, Weiterentwicklung, Sinn und Nachhaltigkeit setzt. Dies mit dem Bewusstsein, dass man nur eine begrenzte Zeit zusammenarbeitet und sich dann (wertschätzend) wieder trennt. Das sind für beide Seiten gewinnbringende Jahre und wer weiß: Vielleicht kommt der ein oder andere später wieder zurück.