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BVerfG Beschluss vom 11.07.1967 - 1 BvR 495/63, 1 BvR 325/66

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Nichtanerkennung einer rückwirkenden Sondervergütung einer GmbH für ihren maßgebenden Gesellschafter-Geschäftsführer kurz vor dem Ende eines Wirtschaftsjahres

 

Leitsatz (amtlich)

Die körperschaftssteuerliche Nichtanerkennung nachträglich festgesetzter Vergütungen an Gesellschafter-Geschäftsführer, die einen maßgebenden Einfluß in der Kapitalgesellschaft ausüben, ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; KStG § 6 Abs. 1; EStG § 4 Abs. 4

 

Verfahrensgang

BFH (Urteil vom 08.03.1966; Aktenzeichen I 303/62)

BFH (Urteil vom 31.07.1963; Aktenzeichen I 164/62 U; BFHE, 77, 328)

 

Gründe

A.

1. Die miteinander zur Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden zweier Gesellschaften mit beschränkter Haftung richten sich gegen die Urteile des Bundesfinanzhofs vom 31. Juli 1963 (BStBl. III S. 440) und vom 8. März 1966 (I 302/62). Beide Urteile haben die körperschaftsteuerliche Behandlung einer für einen bereits abgelaufenen Zeitraum gewährten Sondervergütung an einen Gesellschafter-Geschäftsführer einer Familien-GmbH zum Gegenstand.

a) An der Beschwerdeführerin zu 1) waren im Wirtschaftsjahr 1959/60 die Eheleute K. mit je 50% beteiligt. Beide waren als gleichberechtigte Geschäftsführer angestellt. Die Gehaltsbezüge betrugen für die Ehefrau 9635 DM und für den Ehemann 20 424 DM. Auf Grund einstimmigen Gesellschaftsbeschlusses vom 26. Juni 1960 – das Wirtschaftsjahr endete am 30. Juni 1960 – wurde dem Ehemann über die im Anstellungsvertrag vereinbarten Bezüge hinaus für das ablaufende Geschäftsjahr 1959/1960 eine „Sondervergütung” in Höhe von 10 000 DM „gewährt, weil seine Bezüge erheblich hinter denen der Angestellten der Gesellschaft zurückgeblieben sind”.

b) An der Beschwerdeführerin zu 2) waren in den Veranlagungszeiträumen 1955, 1956 und 1959 die Eheleute S. mit je 50% beteiligt. Der Ehefrau, die als alleinige Geschäftsführerin ein Durchschnittsjahresgehalt von 9500 DM erhielt, wurden außerdem durch Gesellschafterbeschlüsse vom 24. September 1958 – für die Veranlagungszeiträume 1955 und 1956 – und vom 3. Dezember 1960 – für den Veranlagungszeitraum 1959 – nachträglich Tantiemen in Höhe von 6000 DM bzw. 7000 DM zugebilligt.

2. Das Finanzamt H. erkannte diese Sondervergütungen in beiden Fällen nicht als gewinnmindernde Betriebsausgaben an. Im Rechtsmittelweg bestätigte der Bundesfinanzhof in den mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Urteilen diesen Standpunkt mit im wesentlichen folgender Begründung:

Es müsse grundsätzlich abgelehnt werden, Betriebsvorgänge, die vom Willen des Steuerpflichtigen abhängen, mit Wirkung für die Vergangenheit ändern oder umgestalten und daraus die gleichen steuerlichen Folgerungen ziehen zu lassen, wie wenn die entsprechenden Maßnahmen rechtzeitig vorher getroffen worden wären. Deshalb könnten nachträgliche Vergütungen an Geschäftsführer, die in dieser Eigenschaft und zugleich als Gesellschafter mit maßgeblichem Anteil die Gesellschaft beherrschten, steuerlich nicht als Betriebsausgaben anerkannt werden. Solche Vereinbarungen müßten von vornherein dem Grund und der Höhe nach festgelegt sein. Es dürfe solchen Gesellschafter-Geschäftsführern nicht freistehen, gewinnwirksame steuerliche Beziehungen zunächst in der Schwebe zu lassen und nachträglich, wenn das Betriebsergebnis feststehe, den Gewinn willkürlich zu beeinflussen. Das sei eine verdeckte Gewinnausschüttung.

3. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführerinnen eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, die sie darin sehen, daß nach dieser Rechtsprechung „anonyme” Kapitalgesellschaften anders behandelt würden als „personenbezogene”, deren Gesellschafter zugleich beherrschende Geschäftsführer seien. Während jene Gesellschaften nachträglich Gehaltserhöhungen als Betriebsausgaben gewinnmindernd absetzen könnten, sei diese Möglichkeit den letzteren Gesellschaften ohne sachlichen Grund versagt.

Das Bestreben, Gewinnmanipulationen zu verhindern, bilde um so weniger eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung, als ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der selbst nicht über 50% der Gesellschaftsanteile besitze, keine Gewinnmanipulationen vornehmen könne. Die Anteile von Eheleuten könnten für die Frage der Beherrschung einer Kapitalgesellschaft nicht zusammengerechnet werden.

4. Nach Ansicht der Bundesregierung verletzen die Urteile des Bundesfinanzhofs Art. 3 Abs. 1 GG nicht. Die steuerliche Nichtanerkennung nachträglicher Erhöhungen der vereinbarten Bezüge diene ebenso wie die Forderung nach Eindeutigkeit der getroffenen Abmachungen ausschließlich dem legitimen Ziel, soweit möglich, Steuerumgehungen zu verhindern. Dieser sachlich gerechtfertigte Zweck sei auf andere Weise nicht zu erreichen. Die Kapitalgesellschaften würden dadurch auch nicht in ihrem Recht beschränkt, die von ihren Gesellschafter-Geschäftsführern erbrachten Leistungen angemessen zu entlohnen. Sie seien lediglich gezwungen, die Bezüge rechtzeitig und eindeutig festzulegen.

Der Vorsteher des Finanzamts H. führt aus, es liege kein echter steuerlicher Nachteil vor, da die Betroffenen die Möglichkeit hätten, rechtzeitig eindeutige Vereinbarungen zu treffen und dadurch der von ihnen bekämpften steuerlichen Behandlung auszuweichen.

B.

Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs können Betriebsvorgänge einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die vom Willen eines Gesellschafter-Geschäftsführers abhängen und zu einer Gewinnverminderung der Gesellschaft einerseits und einer Gehaltserhöhung für den Gesellschafter-Geschäftsführer andererseits führen, nicht rückwirkend mit dem Ergebnis vorgenommen werden, daß daraus die gleichen steuerlichen Folgen gezogen werden, wie wenn die entsprechenden Maßnahmen rechtzeitig getroffen worden wären. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs entspricht diese Beurteilung nicht nur einem für die Überprüfung steuerlicher Verhältnisse erforderlichen Ordnungsprinzip, sondern hat in erster Linie den Zweck, mögliche Gewinnmanipulationen zu unterbinden, die sich der genauen Überprüfung entziehen, weil es hierbei häufig auf die nach außen nicht erkennbaren Erwägungen der beteiligten Personen ankommt (vgl. die Nachweise im angefochtenen Urteil vom 31. Juli 1963 – BStBl. 1963 III S. 440 –; BFH Betrieb 1966 S. 210 und 1713; Betriebs-Berater 1967 S. 658). Es ist nicht zu verkennen, daß diese Rechtsprechung zu einer Differenzierung zwischen „personenbezogenen” Kapitalgesellschaften führt, in denen die genannten Betriebsvorgänge vom Willen des begünstigten Gesellschafter-Geschäftsführers abhängen, und „anonymen” Kapitalgesellschaften; daraus kann sich im konkreten Fall eine steuerliche Schlechterstellung der Beschwerdeführerinnen ergeben. Wenn bei den letztgenannten Gesellschaften das Gehalt des Geschäftsführers in angemessenem Rahmen rückwirkend erhöht wird oder für die zurückliegende Zeit andere zusätzliche Vergütungen gewährt werden, so wird die dadurch eintretende Gewinnminderung grundsätzlich steuerlich anerkannt. Bei den „personenbezogenen” Kapitalgesellschaften müssen solche Vergütungen dem Grunde und der Höhe nach von vornherein eindeutig und klar vereinbart sein, um steuerlich anerkannt zu werden (BFH BStBl. 1956 III S. 288).

a) Diese ungleiche Behandlung ist jedoch dadurch gerechtfertigt, daß die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei beiden Arten von Kapitalgesellschaften verschieden sind und daß gerade diese Verschiedenheit sich bei solchen rückwirkenden Vereinbarungen auswirken kann. Maßgebende Gesellschafter-Geschäftsführer können auf Grund ihrer tatsächlichen und rechtlichen Stellung in der von ihnen beherrschten Gesellschaft, sogar zum Nachteil der Gesellschaft selbst und der Gesellschaftsgläubiger, Vorgänge in der Gesellschaft allein oder mindestens in einem Umfang bestimmen, wie dies bei „anonymen” Gesellschaften nicht der Fall ist. Die Erwägungen, die einen solchen Geschäftsführer zur Erhöhung seiner Bezüge veranlassen, und die Möglichkeiten, diese Absicht durchzuführen, sind andere als bei den „anonymen” Kapitalgesellschaften. Eine Verminderung des Gewinns der Gesellschaft durch Erhöhung der Bezüge eines solchen Gesellschafter-Geschäftsführers wird – unabhängig von den zusätzlichen steuerlichen Vorteilen – durch das Zufließen eines höheren dienstvertraglichen Einkommens ausgeglichen. Diese besonderen Verhältnisse bei den Gesellschaften mit sie beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern rechtfertigen, zumal bei der im Steuerrecht herrschenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise, eine Berücksichtigung der Struktur und Zusammensetzung der Gesellschaft (BVerfGE 13, 331 [340]; 18, 224 [234]).

b) Die Verhinderung von Steuerumgehungen ist ein legitimes Ziel der Rechtsprechung in Steuersachen (BVerfGE 13,290 [316]). Praktikabilitätserwägungen und verwaltungstechnische Gesichtspunkte können im Rahmen der Mißbrauchsbekämpfung bei der Prüfung der Steuergerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) durchaus von Bedeutung sein (BVerfGE 6, 55 [83 f.]; 13, 290 [316]). Es ist nicht sachfremd, in diesem Bereich auf die allgemeinen steuerrechtlichen Grundsätze der Steuerklarheit abzustellen. Ist die Mißbrauchsgefahr bei einem Kreis tatsächlicher Gestaltungsformen erfahrungsgemäß größer als bei einem anderen Kreis, so verbietet Art. 3 Abs. 1 GG nicht, zwischen diesen verschiedenen Sachverhalten zu differenzieren. Daher ist es nicht willkürlich, in dem dem Mißbrauch mehr ausgesetzten Bereich schärfere rechtliche Anforderungen zu stellen, wenn diese an die tatsächlichen Verschiedenheiten anknüpfen und geeignet sind, der Mißbrauchsgefahr vorzubeugen. Wenn – wie bei den vom Willen des Gesellschafter-Geschäftsführers abhängigen Gesellschaften – die Gefahr des Mißbrauchs typischerweise besonders groß ist, so kann die besondere Struktur dieser Gesellschaften berücksichtigt werden. Es wäre in einem solchen Fall nicht sachgerecht, nur auf die äußere juristische Gestaltung der Gesellschaften abzustellen, und durch eine solche, dem Steuerrecht nicht adäquate, nicht auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten abstellende Betrachtungsweise Manipulationen mit steuerlicher Auswirkung typischerweise zu erleichtern.

Die ständige, auch in den angefochtenen Entscheidungen eingehaltene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur steuerlichen Nichtanerkennung rückwirkender Gehaltserhöhungen hält sich in diesem Rahmen (BStBl. 1955 III S. 397; 1956 III S. 288; 1958 III S. 381 und 428; 1959 III S. 374; 1966 III S. 73; HFR 1964 S. 428 und HFR 1966 S. 19; DStR 1966 S. 185; Betriebs-Berater 1967 S. 658). Sie beruht auf der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Annahme, daß ein Gesellschafter-Geschäftsführer für die Gesellschaft sowohl unentgeltlich wie auch entgeltlich tätig werden kann und daß das Entgelt nicht stets angemessen sein, d. h. den Aufwendungen für einen fremden Geschäftsführer entsprechen muß (vgl. BFH BStBl. 1955 III S. 397). Da sich dem Gesellschafter-Geschäftsführer somit bei der Bemessung seiner Vergütung mehrere Gestaltungsmöglichkeiten bieten, liegt es nahe, daß er davon Gebrauch macht, um durch rückwirkende Erhöhung des ursprünglich geringeren Entgelts den Gewinn der Gesellschaft willkürlich so zu beeinflussen, wie es bei der steuerlichen Gesamtbetrachtung des Einkommens der Gesellschaft und der Gesellschafter jeweils am günstigsten ist. In diesem Fall ist die steuerliche Nichtanerkennung rückwirkender Gehaltsfestsetzungen mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, denn sie dient der allgemeinen Steuergerechtigkeit, indem sie solche typischen steuerlichen Manipulationen unterbindet. Damit sind solche Gesellschaften nicht gehindert, ihre Geschäftsführer an dem sich erst am Ende des Geschäftsjahres abzeichnenden Geschäftsergebnis angemessen zu beteiligen. Die Verhältnisse müssen jedoch klar und eindeutig geregelt werden; so muß jedenfalls die Bemessungsgrundlage für die Vergütung der Gesellschafter-Geschäftsführer von vornherein in ihrem ganzen Umfang festgelegt werden. Eine solche Regelung ist praktikabel und kann von den betroffenen Gesellschaften erwartet werden.

2. Die Auffassung des Bundesfinanzhofs, daß jedenfalls bei den Gesellschafter-Geschäftsführern der beiden Beschwerdeführerinnen mit einem Anteil von 50% die in steuerlicher Beziehung wesentlichen Betriebsvorgänge von ihrem Willen abhängen, kann verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden. Ob und inwieweit bei einem geringeren Anteil noch weitere Umstände dazukommen müssen, um die Stellung eines Gesellschafter-Geschäftsführers als maßgebend anzusehen, bedarf hier keiner Erörterung.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1721387

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