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BGH Urteil vom 12.09.2001 - 2 StR 172/01

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Nötigung

 

Tenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 21. Dezember 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Gründe

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts entwickelten sich bei dem Angeklagten seit Sommer 1999 Phantasien, in denen er sich konkrete Situationen vorstellte, die ihm durch Beobachtung von Angst und Hilflosigkeit anderer ein Gefühl der Macht vermittelten, was bei ihm eine sexuelle Erregung erzeugte. So stellte er sich vor, daß er in Häuser eindringe, Gartenhäuser anzünde, Kinder entführe, sich ihrer bemächtige oder erwachsene Frauen vergewaltige. Nach einigen Monaten begnügte er sich nicht mehr mit den Phantasien allein, sondern suchte konkrete Situationen auf, um sich den gewünschten „Kick” – die sexuelle Erregung – zu verschaffen. So fuhr er durch Gegenden mit Gartenhäusern, beobachtete ihm geeignet erscheinende Objekte und stellte sich vor, einzubrechen und sie in Brand zu setzen. Einige Male hielt er nach Kindern Ausschau, die ihm besonders unterlegen schienen. Bei den konkreten Begegnungen hatte er die Macht- und Ohnmachtsvorstellungen, aber niemals die Vorstellung von sexuellen Handlungen in Bezug auf das jeweilige Kind.

Am 24. Januar 2000 überkam ihn während einer Autobahnfahrt wieder der Wunsch, sich durch Beobachten von Kindern, verbunden mit der Vorstellung, sich eines Kindes zu bemächtigen bzw. es zu entführen, einen „Kick” zu verschaffen. Er fuhr deshalb von der Autobahn ab und begegnete in Großen-Buseck der 7-jährigen W., der Nebenklägerin, die von der Schule kommend auf dem Nachhauseweg war. Der Angeklagte fuhr zunächst eine Strecke von 50 – 100 m langsam mit dem Auto hinter dem Mädchen her. Plötzlich faßte er den Entschluß, sich des Kindes wirklich zu bemächtigen und es zu entführen. Er fuhr an ihm vorbei, hielt kurz davor an, stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete die hintere rechte Fahrzeugtür. Er packte das Mädchen am Schulranzen, warf es auf die Rückbank des Autos, schlug die Tür zu und stieg auf der Fahrerseite wieder ein, um weiterzufahren.

Dies mißlang jedoch, da der Zeuge Wi., der das Geschehen beobachtet hatte und dem es merkwürdig vorkam, sein Fahrzeug schräg vor den Wagen des Angeklagten stellte. Als der Zeuge Wi. an die Scheibe klopfte, ließ der Angeklagte sie herunter und antwortete auf die Frage des Zeugen, was mit dem Kind sei, er sei der Onkel. Auf den Hinweis des Zeugen, daß das Kind weine, erklärte er, das Mädchen sei „ausgebüchst”, er wolle es zurückbringen. W. war inzwischen durch die nicht verriegelte rechte hintere Fahrzeugtür aus dem Auto gestiegen und stand auf dem Bürgersteig daneben. Nachdem der Zeuge den Namen des Angeklagten aus dessen Ausweis und die Fahrzeugnummer notiert hatte, bot der Angeklagte dem verstörten Mädchen an, es nach Hause zu fahren, worauf dieses einging. Dem Angeklagten tat sein Verhalten leid. Als W. einige Minuten später ausgestiegen war, lief sie weinend ihrer Mutter entgegen und erzählte, was geschehen war. Die Mutter erstattete Anzeige bei der Polizei. Diese konnte aufgrund der vom Zeugen Wi. erhaltenen Informationen den Angeklagten bereits am nächsten Tag festnehmen.

Der Angeklagte war bei der Tat aufgrund einer Triebanomalie mit Suchtcharakter, die als schwere andere seelische Abartigkeit einzustufen ist, in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung in Tateinheit mit versuchter Freiheitsberaubung und mit versuchter Kindesentziehung (richtig: „Entziehung einer Minderjährigen”) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde angeordnet und deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt.

II.

1. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin wenden sich mit ihren Revisionen gegen den Schuldspruch; sie erstreben eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen versuchten sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit versuchter sexueller Nötigung. Sie rügen die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Revisionen zu verwerfen.

2. Die Rechtsmittel haben mit der Sachbeschwerde Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern.

a) Das Revisionsgericht ist zwar nur eingeschränkt zur Überprüfung der Beweiswürdigung berufen und in der Lage. Es kann nur dann eingreifen, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist, etwa weil sie Widersprüche, Unklarheiten oder Lücken aufweist oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gegen gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.: BGH NStZ-RR 2000, 171 f.; NStZ 2000, 436 f.; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33; Beweiswürdigung 2, 11, 13, 14). Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln, erforderlich ist vielmehr eine Gesamtwürdigung (vgl. BGH NStZ 1983, 133, 134 m.w.N.; BGHR StPO § 261 Indizien 1, 2, 7). Auch bei entlastenden Angaben des Angeklagten hat der Tatrichter sich eine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit aufgrund des gesamten Beweisergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden. Er darf solche Angaben, deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen und seiner Entscheidung zugrundelegen, wenn für deren Richtigkeit keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen (BGHSt 34, 29, 34; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 29). An diesen Maßstäben gemessen hat das angefochtene Urteil keinen Bestand.

b) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte sich dahin eingelassen, er habe keine Vorstellung, wie das Geschehen weiter verlaufen wäre, wenn der Zeuge Wi. ihn nicht aufgehalten hätte. Er habe sich bei seinem Tatentschluß darüber keine Gedanken gemacht. Vermutlich hätte er das Kind irgendwo wieder freigelassen, wie in einem 15 Jahre zurückliegenden Fall. Diese Einlassung hält das Landgericht für nicht widerlegt. Es ist zwar der Auffassung, daß die Angaben lebensfremd erscheinen, da nach allgemeiner Erfahrung immer ein Sexualakt oder jedenfalls eine genital sexuelle Befriedigung am Ende entsprechender sexualbezogener Handlungen stehe, meint jedoch, diese Angaben als unwiderlegt hinnehmen zu müssen, weil der psychiatrische Sachverständige Professor Sch. dargelegt hat, daß die Einlassung des Angeklagten zu seinem Sexualleben zu einer in der Wissenschaft bekannten präsexuellen Triebdevianz passe. Außer dieser medizinisch aufgewiesenen Möglichkeit führt das Urteil keine weiteren Indizien für die Richtigkeit der Einlassung an.

Das Landgericht befaßt sich mit Beweisanzeichen für die Unrichtigkeit der Einlassung und gelangt zu dem Ergebnis, daß diese nicht genügten, um den Angeklagten der Planung sexueller Handlungen zu überführen. Dabei handelt es die Äußerung des Angeklagten gegenüber dem Psychotherapeuten K. unmittelbar nach der Tat, er wäre beinahe zum Sexualstraftäter geworden, die eigenen Aufzeichnungen des Angeklagten vom Tattag über das Geschehen sowie die ihn belastenden Angaben in seiner polizeilichen und richterlichen Vernehmung jeweils einzeln ab und unterzieht sie einzeln einer Wertung. Das Landgericht ist der Meinung, daß die Aussage des Angeklagten vor dem Haftrichter – er habe sich keine Vorstellungen gemacht, welche sexuellen Handlungen er an dem Kind vornehmen wollte – mehrdeutig sei und allein zur Überführung des Angeklagten im Sinne des Versuchs eines sexuellen Mißbrauchs bzw. des Versuchs einer sexuellen Nötigung nicht ausreiche. Das Urteil beschränkt sich darauf, die Umstände, die für die Unrichtigkeit der Einlassung sprechen, gesondert und einzeln zu erörtern und getrennt voneinander zu prüfen. Es läßt eine zusammenschauende Würdigung aller dieser Beweisanzeichen vermissen.

Darin liegt ein Rechtsfehler. Der Tatrichter hat nicht auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses entschieden, ob die entlastenden Angaben des Angeklagten geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen. Er hätte im Rahmen einer Gesamtwürdigung nachvollziehbar darlegen müssen, daß hinreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit der ihm lebensfremd erscheinenden Einlassung bestehen. Nur dann darf er sie als unwiderlegt erachten. Daran fehlt es hier, was zur Aufhebung des Urteils führt.

 

Unterschriften

Jähnke, Bode, Rothfuß, Fischer, Elf

 

Fundstellen

Haufe-Index 651368

NStZ 2002, 48

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