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BGH Beschluss vom 05.11.2014 - XII ZB 186/13

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Leitsatz (amtlich)

Die Einrede der Verjährung ist im Festsetzungsverfahren vom Rechtspfleger zu berücksichtigen. Dabei hat er nicht nur zu prüfen, ob der Anspruch verjährt ist, sondern auch, ob die Einrede ggf. treuwidrig erfolgt und ihr damit § 242 BGB entgegensteht (im Anschluss an BGH v. 11.4.2012 - XII ZB 459/10, FamRZ 2012, 1051).

 

Normenkette

BGB §§ 194, 242; FamFG § 168 Abs. 1 Sätze 2-3, § 292 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Kassel (Beschluss vom 22.03.2013; Aktenzeichen 3 T 81/13)

AG Kassel (Beschluss vom 28.01.2013; Aktenzeichen 785 XVII L 526/05)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3) wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Kassel vom 22.3.2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 8.889 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Beteiligte zu 3) fordert, vertreten durch die Staatskasse (im Folgenden: Staatskasse), gezahlte Betreuervergütung von der Betroffenen zurück.

Rz. 2

Die Betroffene leidet an einer schizoaffektiven Psychose. Die Beteiligte zu 1) wurde im Jahr 2005 zur Berufsbetreuerin (im Folgenden: Betreuerin) mit den Aufgabenkreisen Sorge für die Gesundheit einschließlich Zustimmung zu ärztlicher Heilbehandlung, Aufenthaltsbestimmung und Entscheidung über die Unterbringung bestellt.

Rz. 3

Im Jahr 2005 erklärte die Betroffene gegenüber dem Betreuungsgericht, lediglich über monatliche Einnahmen von rund 800 EUR und Sparvermögen i.H.v. rund 2.600 EUR zu verfügen. Daraufhin wurde der Betreuerin eine Vergütung aus der Staatskasse bewilligt. Nachdem die Betreuung am 12.11.2012 u.a. auf den Aufgabenkreis Vermögenssorge erweitert worden war, legte die Betreuerin dem Betreuungsgericht mit Schreiben vom 17.11.2012 ein Vermögensverzeichnis vor, wonach die Betroffene neben Renteneinnahmen i.H.v. nunmehr rund 850 EUR über eine Eigentumswohnung im Wert von rund 60.000 EUR sowie über Sparvermögen i.H.v. rund 195.000 EUR verfügt.

Rz. 4

Mit Beschluss vom 28.1.2013 hat das AG der Betroffenen aufgegeben, wegen der zu Unrecht verauslagten Vergütungen an die Staatskasse einen Betrag von 14.432,87 EUR zu zahlen. Auf die Beschwerde der Betroffenen und der Verfahrenspflegerin hat das Beschwerdegericht den Zahlbetrag auf 5.544 EUR reduziert. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Staatskasse, mit der diese die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses erreichen will.

II.

Rz. 5

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

Rz. 6

1. Das Beschwerdegericht hat seine in BtPrax 2013, 116 veröffentlichte Entscheidung wie folgt begründet: Grundsätzlich habe das AG die verauslagte - und im Übrigen auch der Höhe nach zutreffend berechnete - Vergütung zu Recht zurückgefordert. Nach Befriedigung der Forderungen der Betreuerin seien deren Ansprüche gegen die Betroffene nach § 1836e Abs. 1 BGB auf die Staatskasse übergegangen. Sie könnten im Wege des Regresses gegen die Betroffene geltend gemacht werden. Jedoch komme ein Regress nur für die nach dem 31.12.2009 gezahlten Beträge in Betracht, weil im Übrigen Verjährung eingetreten sei. Zwar könne die Verfahrenspflegerin die Einrede der Verjährung nicht für die Betroffene erheben. Jedoch sei auch der Vortrag der Betroffenen als Einrede aufzufassen. Sie habe zum Ausdruck gebracht, dass sie die Vergütung nicht erstatten wolle und dass sie die Auffassung der Verfahrenspflegerin zum Verjährungseintritt teile.

Rz. 7

Der Regressanspruch verjähre in drei Jahren (§ 195 BGB). Es komme für den Beginn der Verjährung nicht darauf an, dass der Regressanspruch erst nach Wegfall der Mittellosigkeit der Betroffenen durchgesetzt werden könne. Der gesetzliche Forderungsübergang nach § 1836e Abs. 1 BGB lasse den Eintritt der Verjährung unberührt; die Staatskasse trete als Zessionar auch insoweit in die Gläubigerstellung des Betreuers ein. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der Verjährung sei damit unter Berücksichtigung der §§ 207 Abs. 1 Nr. 4, 209 BGB der Schluss des Jahres der jeweiligen Zahlung durch die Staatskasse. Gehemmt worden sei die Verjährung erst durch das Schreiben des Betreuungsgerichts vom 8.1.2013. Zu diesem Zeitpunkt seien die Regressansprüche bereits verjährt gewesen, die auf vor dem 1.1.2010 erbrachten Zahlungen beruht hätten. Damit könne ein Regress nur für die für den Zeitraum vom 17.10.2009 bis 16.10.2012 verauslagte Betreuervergütung angeordnet werden.

Rz. 8

Der Betroffenen sei es auch nicht nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf Verjährung zu berufen. Zwar spreche viel dafür, dass die Betroffene im Jahr 2005 vorsätzlich über ihre Vermögensverhältnisse getäuscht habe, was unter dem Gesichtspunkt des unredlichen Verhaltens zu einem solchen Ausschluss führen könne. Materiell-rechtliche Einwendungen könnten im Verfahren über die Festsetzung der Betreuervergütung indes nicht geprüft werden, was auch im Verfahren auf Anordnung eines Regresses gelte. Insoweit fehle es an einer Entscheidungskompetenz des für die Festsetzung der Betreuervergütung bzw. des Regresses zuständigen Rechtspflegers. Die Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens privatrechtlicher Forderungen sei im geltenden Recht Sache des Richters. Diese Kompetenzverteilung dürfe nicht umgangen werden. Bei dem Vorwurf, durch Vorspiegelung falscher Tatsachen Zahlungen der Staatskasse veranlasst zu haben, handele es sich - jedenfalls mittelbar - um die Feststellung einer deliktischen Haftung der Betroffenen gegenüber dem Land. Die Klärung dieser Haftungsfrage sei einem ggf. anhängig zu machenden Schadensersatzprozess vorbehalten.

Rz. 9

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Rz. 10

a) Frei von Rechtsfehlern sind allerdings die Ausführungen des Beschwerdegerichts dazu, dass der Betreuerin, deren berufsmäßige Führung der Betreuung festgestellt war, nach Maßgabe der §§ 1908i Abs. 1, 1836 Abs. 1 BGB, §§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VBVG i.V.m. §§ 292 Abs. 1, 168 FamFG eine im Hinblick auf ihre Ausbildung als Diplom-Sozialpädagogin mit einem Stundensatz von 44 EUR zu bemessende pauschale Vergütung zu bewilligen gewesen sei (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 2 VBVG), und dass der zugrunde zu legende Stundenansatz sich nach Maßgabe des § 5 Abs. 2 Satz 2 VBVG bestimme.

Rz. 11

b) Gleiches gilt für die Annahme des Beschwerdegerichts, dass die Voraussetzungen des Anspruchsübergangs nach § 1836e Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben sind. Der Umstand, dass die Betroffene vorliegend zum Zeitpunkt der Leistungen der Staatskasse im Hinblick auf ihr vorhandenes Vermögen nicht mittellos i.S.d. § 1836d BGB war, hindert den Anspruchsübergang nicht. Voraussetzung des Anspruchsübergangs nach § 1836e Abs. 1 Satz 1 BGB ist nur, dass die Staatskasse den Anspruch des Betreuers ganz oder teilweise befriedigt, nicht aber, dass die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme gerade der Staatskasse vorliegen (§§ 1835 Abs. 4 Satz 1, 1835a Abs. 3, 1836 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 2 VBVG), der Betroffene also i.S.d. § 1836d BGB mittellos ist oder im Zeitpunkt der Leistung der Staatskasse mittellos war (Wagenitz in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 1836e Rz. 3).

Rz. 12

c) Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdegericht allerdings, soweit es einen Teil der Rückforderung als verjährt angesehen hat, ohne zu prüfen, ob die Betroffene die Einrede der Verjährung überhaupt erheben durfte.

Rz. 13

aa) Zutreffend hat das Beschwerdegericht freilich erkannt, dass der Verfahrenspfleger für den Betreuten die Einrede der Verjährung nicht erheben kann (BGH v. 22.8.2012 - XII ZB 474/11, FamRZ 2012, 1798 Rz. 11 ff.). Dass das LG den Vortrag der Betroffenen dahin ausgelegt hat, die Betroffene wolle selbst die Einrede der Verjährung erheben, bewegt sich im Rahmen tatrichterlicher Auslegung und gibt zu rechtlichen Bedenken keinen Anlass.

Rz. 14

bb) Zu Recht ist das Beschwerdegericht auch davon ausgegangen, dass dem Schuldner unter dem Gesichtspunkt des unredlichen Verhaltens die Berufung auf die Verjährung gem. § 242 BGB versagt sein kann.

Rz. 15

Der Einrede der Verjährung (§ 214 Abs. 1 BGB) kann der Arglisteinwand nicht nur dann entgegengesetzt werden, wenn der Schuldner den Gläubiger absichtlich von der Erhebung der Klage abgehalten hat. Vielmehr reicht aus, dass der Schuldner durch sein Verhalten objektiv - sei es auch unabsichtlich - bewirkt, dass die Klage nicht rechtzeitig erhoben wird, und die spätere Verjährungseinrede unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls mit dem Gebot von Treu und Glauben unvereinbar wäre; insoweit ist ein strenger Maßstab anzulegen (BGH, Urt. v. 14.11.2013 - IX ZR 215/12, NJW-RR 2014, 1020 Rz. 15 m.w.N.; v. 14.9.2004 - XI ZR 248/03, NJW-RR 2005, 415, 416; Grothe in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. Vorbem. zu § 194 Rz. 19; Palandt/Ellenberger BGB, 73. Aufl. Überbl. vor § 194 Rz. 16 ff.; Erman/Saar BGB, 14. Aufl., § 1836e Rz. 3).

Rz. 16

In Fällen der vorliegenden Art besteht die Besonderheit darin, dass die regelmäßige Verjährungsfrist bereits spätestens mit Bewilligung der Vergütung durch die Staatskasse nach § 1 Abs. 2 Satz 1 VBVG zu laufen beginnt, die Staatskasse den Betroffenen wegen seiner - vermeintlichen - Mittellosigkeit nicht zeitnah in Anspruch nehmen kann und die Verjährung auch nicht gehemmt ist (BGH v. 25.1.2012 - XII ZB 605/10 - BtPrax 2012, 118 Rz. 16, 19 und 24).

Rz. 17

cc) Zu Unrecht ist das Beschwerdegericht allerdings davon ausgegangen, dass die Frage, ob § 242 BGB der Einrede der Verjährung entgegensteht, der Überprüfung durch den Rechtspfleger im Festsetzungsverfahren entzogen ist.

Rz. 18

(1) Für das Verfahren auf Festsetzung der Betreuervergütung ist gem. § 3 Nr. 2 lit. b RPflG i.V.m. §§ 292 Abs. 1, 168 FamFG der Rechtspfleger funktionell zuständig. Seine Kompetenz umfasst die Entscheidung über Grund und Höhe des Vergütungsanspruchs, nicht jedoch die Entscheidung über Gegenansprüche wegen mangelhafter Amtsführung. Er ist deshalb grundsätzlich nur zur Entscheidung über Einwendungen berufen, die im Vergütungsrecht ihren Grund haben, nicht aber über solche, die auf mangelhafte Amtsführung gestützt werden (BGH v. 11.4.2012 - XII ZB 459/10, FamRZ 2012, 1051 Rz. 18 m.w.N.).

Rz. 19

Bei der Einrede der Verjährung handelt es sich um eine im Festsetzungsverfahren berücksichtigungsfähige Einwendung, die im Vergütungsrecht ihren Grund hat (vgl. BGH v. 25.1.2012 - XII ZB 605/10 - BtPrax 2012, 118 Rz. 10 und 28; BayObLGZ 2000, 197, 198).

Rz. 20

(2) Allerdings gehört zu der Prüfung, ob der Anspruch verjährt ist, ebenfalls die Frage, ob sich der Schuldner überhaupt auf die Einrede der Verjährung berufen kann. Deshalb muss die Prüfungskompetenz des Rechtspflegers sowohl das "ob" als auch das "wie" einer möglichen Verjährung umfassen. Demgemäß muss er alle damit einhergehenden Vorfragen, hier also die Frage, ob der Einrede § 242 BGB entgegensteht, beantworten können. Zutreffend verweist die Rechtsbeschwerde darauf, dass es wenig praktikabel ist, über die Berechtigung der Verjährungseinrede nur teilweise zu entscheiden und eine weitere Prüfung einem neuen Verfahren vorzubehalten. In diesem Fall wäre die Staatskasse zudem gezwungen, ihre Regressansprüche, soweit sie der Verjährungseinrede anheimgefallen sind, im Erkenntnisverfahren anhängig zu machen (vgl. zum Einwand der Verwirkung BayObLG Beschl. v. 18.2.2004 - 3Z BR 251/03 - juris Rz. 12).

Rz. 21

3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angegriffene Beschluss aufzuheben. Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, da diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG. Denn das Beschwerdegericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - keine abschließenden Feststellungen zu § 242 BGB getroffen.

Rz. 22

Bei der erneuten Behandlung wird das Beschwerdegericht zu berücksichtigen haben, dass der Einwand nach § 242 BGB keine absichtlichen Falschangaben voraussetzt. Vielmehr reicht es aus, dass der Schuldner durch sein Verhalten objektiv - sei es auch unabsichtlich - bewirkt, dass der Regressanspruch nicht rechtzeitig geltend gemacht wird, und die spätere Verjährungseinrede unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls mit dem Gebot von Treu und Glauben unvereinbar wäre (vgl. BGH, Urt. v. 14.11.2013 - IX ZR 215/12, NJW-RR 2014, 1020 Rz. 15 m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 7486555

EBE/BGH 2015

FamRZ 2015, 248

FuR 2015, 164

NJW-RR 2015, 193

FGPrax 2015, 28

JurBüro 2015, 142

BtPrax 2015, 23

JZ 2015, 38

MDR 2015, 727

Rpfleger 2015, 202

FamRB 2015, 140

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