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BFH Urteil vom 31.03.1977 - IV R 111/76

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Leitsatz (amtlich)

Zahlungen, die die Witwe eines selbständigen Versicherungsvertreters zur Abfindung von Versorgungsansprüchen erhält, gehören nicht zum Gewerbeertrag des mit dem Tode des Vertreters eingestellten Gewerbebetriebs. Erhält die Witwe daneben auch noch einen Betrag zur Abgeltung eines Ausgleichsanspruchs (§ 89 b HGB), so handelt es sich insoweit um einen Teil des dem Gewerbeertrag des eingestellten Betriebs zuzurechnenden laufenden Gewinns. Gegebenenfalls ist der insgesamt gezahlte Betrag im Verhältnis der abgegoltenen Forderungen - erforderlichenfalls im Schätzungswege - aufzuteilen.

 

Normenkette

GewStG § 7

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags 1971, ob eine Abfindungszahlung, die eine Versicherungsgesellschaft nach dem Tode eines ihrer Vertreter an dessen Witwe "zum Ausgleich aller wie immer gearteten Ansprüche" leistete, zum Gewerbeertrag des mit dem Tode des Versicherungsvertreters eingestellten Gewerbebetriebs gehört.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist (Mit-)Erbin ihres am 11. März 1971 verstorbenen Ehemannes B, der selbständiger Versicherungsvertreter bei der X-AG (im folgenden als Versicherungsgesellschaft bezeichnet) war. Nach dem Tode des B wurde der Gewerbebetrieb nicht weitergeführt. Die Versicherungsgesellschaft zahlte im Streitjahr an die Klägerin 141 000 DM, die die Klägerin bei der Ermittlung des Gewerbeertrags außer Ansatz ließ.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) ging davon aus, daß die Zahlung der Erfüllung eines Ausgleichsanspruchs nach § 89 b HGB diente und rechnete sie zum Gewerbeertrag des bis zum Tode des B geführten Gewerbetriebs.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das FG führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, nach seiner Auffassung beruhe die Zahlung auf einem Ausgleichsanspruch i. S. des § 89 b HGB. Eine auf § 89 b HGB beruhende Ausgleichszahlung sei, wenn der Gewinn nach § 5 EStG ermittelt werde, stets Bestandteil des laufenden Gewinns, auch wenn der Vertreter den Betrieb veräußere oder aufgebe. Das gelte auch für Versicherungsvertreter. Da B den Gewinn nach § 5 EStG ermittelt habe, sei der mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses entstandene Ausgleichsanspruch zu aktivieren. Es bestehe kein Aktivierungswahlrecht, das es ermögliche, die Aktivierung zu unterlassen.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie trägt vor, die Zahlung beruhe auf dem Vertrag des B mit der Versicherungsgesellschaft vom 1. Januar/12. Mai 1953. In § 15 dieses Vertrages sei die Versorgung im Alter, bei Berufsunfähigkeit und Tod in Form einer Nachinkassoprovisionsklausel festgelegt worden. Aufgrund dessen sei der Provisionsanspruch bei Eintritt eines Versorgungsfalles auf 3 % der Nettoprämien, jedoch höchstens 7 200 DM, zuzüglich eines Mindestbetrages von 2 400 DM bemessen worden. Im Falle des Ablebens des B habe sie, die Klägerin, die Hälfte der dem B zugesagten Beträge (= 4 800 DM) erhalten sollen. Nach dem Tode des B habe ihr die Versicherungsgesellschaft eine Abfindung in Höhe von 141 000 DM vorgeschlagen und es ihr überlassen, sich für diese Abfindung oder die Nachinkassoprovision zu entscheiden. Aufgrund der am 26. Juli 1971 zustande gekommenen Vereinbarung habe die Versicherungsgesellschaft ihr zum Ausgleich jeglicher Ansprüche 141 000 DM gezahlt. Diesen Betrag habe sie, die Klägerin, in der Einkommensteuererklärung 1971 als eigene gewerbliche Einkünfte erklärt. Nach ihrer Auffassung seien laufende Versorgungsbezüge der Witwe eines selbständigen Versicherungsvertreters nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Urteil des BFH vom 25. März 1976 IV R 174/73, BFHE 118, 572, BStBl II 1976, 487). Da eine gewerbliche Tätigkeit nicht mehr ausgeübt werde, seien sie nicht als Gewerbeertrag i. S. des § 7 GewStG zu behandeln. Die Umwandlung der Versorgungsrente in eine Abfindung habe außerhalb der Tätigkeit des verstorbenen Ehemannes gelegen, so daß diesem die Abfindung nicht zugerechnet werden könne. Falls aber die durch die Vereinbarung vom 26. Juli 1971 begründete Forderung noch dem Erblasser zuzurechnen sein sollte, so sei sie Teil des Aufgabegewinns i. S. des § 16 EStG und könne deshalb nicht zur Gewerbesteuer herangezogen werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung an das FG.

Aufgrund der vom FG getroffenen Tatsachenfeststellungen läßt sich nicht abschließend entscheiden, ob und ggf. in welcher Höhe die an die Klägerin geleistete Zahlung zum Gewerbeertrag des mit dem Tode des B eingestellten Betriebs gehörte.

1. Das FG ist davon ausgegangen, daß die Zahlung zur Abgeltung eines Ausgleichsanspruchs nach § 89 b HGB geleistet wurde. Diese Annahme wird jedoch durch die bisherigen Sachverhaltsfeststellungen nicht hinreichend gedeckt. In der Abfindungsvereinbarung vom 26. Juli 1971, die sich bei den - auch dem FG zugänglich gewesenen - Gewerbesteuerakten befindet, heißt es, daß die Zahlung... zum Ausgleich aller wie immer gearteten Ansprüche - insbesondere auch eines evtl. Anspruches gegen die Versicherungsgesellschaft nach § 89 b HGB - dienen sollte. Diesem Vertragstext läßt sich nicht entnehmen, ob - und ggf. in welchem Umfang - tatsächlich eine Ausgleichsforderung bestand. Dies ist aber für den Umfang der Gewerbesteuerpflicht von Bedeutung.

a) Falls die Zahlung an die Klägerin zur Abgeltung eines Ausgleichsanspruchs nach § 89 b HGB geleistet worden sein sollte, müßte davon ausgegangen werden, daß dieser Ausgleichsanspruch mit dem Tode des Anspruchsberechtigten B entstanden ist; dies hätte zur Folge gehabt, daß der Anspruch in voller Höhe dem Gewerbebetrieb des B zuzurechnen und demgemäß zu aktivieren gewesen wäre (BFH-Urteil vom 10. Juli 1973 VIII R 34/71, BFHE 110, 137, BStBl II 1973, 786). Der aufgrund dieser Aktivierung erhöhte Gewinn müßte als Gewerbeertrag behandelt werden (§ 7 GewStG).

b) Rechtsgrundlage für die Entstehung des Anspruchs könnte aber auch der Vertrag zwischen der Versicherungsgesellschaft und B vom 1. Januar/12. Mai 1953 gewesen sein. Dieser Vertrag sieht in § 15 für den Fall des Todes sowie bei Erreichen der Altersgrenze oder bei Eintritt der Berufsunfähigkeit eine Alters- bzw. Hinterbliebenenversorgung vor. Im Vertragstext heißt es: "Als Art der Versorgung wird Nachinkassoprovision gewährt."

Geht man von diesem - bisher nicht Gegenstand der finanzgerichtlichen Feststellungen gewesenen - Vertrag aus, so hätten etwaige aufgrund des Vertrags geleistete laufende Zahlungen sowie eine an deren Stelle getretene einmalige Abfindung zivilrechtlich nicht als Ausgleich i. S. des § 89 b HGB angesehen werden können. Auch steuerrechtlich müßten solche Zahlungen möglicherweise anders als Ausgleichsleistungen behandelt werden. Hier würde es naheliegen, die Zahlungen als nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil IV R 174/73). Bei solchen nachträglichen Einkünften würde es sich nicht mehr um den laufenden Ertrag eines lebenden Gewerbebetriebs gehandelt haben; sie würden deshalb der Gewerbesteuer nicht unterliegen (vgl. Lenski/Steinberg, Kommentar zum Gewerbesteuergesetz, 4. Aufl., Anm. 17 zu § 7).

2. Für die Frage, auf welchen Rechtsgrundlagen die Zahlung an die Klägerin beruhte, sind noch die erforderlichen Tatsachenfeststellungen durch das FG zu treffen. Das FG wird insbesondere zu prüfen haben, ob außer den Verträgen vom 1. Januar/12. Mai 1953 und vom 26. Juli 1971 noch weitere Umstände, insbesondere weitere Vereinbarungen, vorliegen, die für die rechtliche Würdigung der Abfindungszahlungen von Bedeutung sein könnten.

Falls sich aufgrund der neuen Tatsachenfeststellungen ergeben sollte, daß die Zahlung zur Abfindung mehrerer Ansprüche gedacht war, kann es unter Umständen erforderlich sein, die Abfindung zur Ermittlung des der Gewerbesteuer unterliegenden Teils - notfalls im Wege der Schätzung - betragsmäßig aufzuteilen.

Bei einer Aufteilung im Wege der Schätzung könnte ein etwa auf einen Versorgungsanspruch entfallender Teil der Zahlung dadurch ermittelt werden, daß von der Lebenserwartung der Klägerin (die bei Abschluß der Vereinbarung vom 26. Juli 1971 57 Jahre alt war) ausgegangen und aufgrund dessen der Kapitalwert des Versorgungsanspruchs ermittelt wird; der den Kapitalwert übersteigende Betrag käme dann möglicherweise als Ausgleichszahlung nach § 89 b HGB in Betracht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72373

BStBl II 1977, 618

BFHE 1978, 139

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