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BFH Urteil vom 27.06.1990 - II R 8/88 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Anerkennungsbescheid nach dem II. WoBauG

Leitsatz (NV)

1. Der Anerkennungsbescheid nach dem II. WoBauG war nach dem früher geltenden baden-württembergischen Grunderwerbsteuergesetz Grundlagenbescheid zum Grunderwerbsteuerbescheid.

2. Zur Erlangung der Steuerbefreiung nach dem früheren baden-württembergischen Grunderwerbsteuergesetz war es ausreichend, wenn die Anerkennung mit Wirkung innerhalb der zehnjährigen Verjährungsfrist erfolgte.

Normenkette

AO 1977 § 171 Abs. 10; II. WoBauG § 93; GrEStG BW § 6 Abs. 1; GrEStG BW § 8 Abs. 3; GrEStG BW § 8 Abs. 4

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg ()

Tatbestand

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom April 1976 erwarb die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann als Miteigentümer je zur Hälfte ein unbebautes Grundstück. Der Kaufpreis betrug . . . DM. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom September 1976 erwarb die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann darüber hinaus ein benachbartes Grundstück zum Kaufpreis von . . . DM.

Nachdem die Klägerin und ihr Ehemann erklärt hatten, daß sie innerhalb von 10 Jahren auf den erworbenen Grundstücken ein steuerbegünstigtes Gebäude errichten wollten, stellte das beklagte Finanzamt (FA) die Erwerbsvorgänge nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 des damals geltenden baden-württembergischen Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG BW) vorläufig von der Grunderwerbsteuer frei. Das von der Klägerin und ihrem Ehemann errichtete Wohngebäude wurde im Laufe des zweiten Halbjahres 1979 bezugsfertig. Wegen Überschreitung der zulässigen Wohnfläche wurden die beiden Wohnungen des Gebäudes nicht als steuerbegünstigt anerkannt. Durch Bescheide vom 4. Februar 1982 setzte das FA gegen die Klägerin für die beiden Erwerbsvorgänge Grunderwerbsteuer und Aufgeld fest. Die Steuerbescheide wurden bestandskräftig. Die Steuern wurden 1982 entrichtet. Die vom Ehemann der Klägerin geschuldete Grunderwerbsteuer wurde nach § 20 GrEStG BW erlassen.

Nachdem sich die Familie der Klägerin infolge Geburt eines zweiten Kindes im Jahr 1981 um eine Person vergrößerte und sich dadurch die zulässige Wohnfläche erhöhte, wurden die beiden Wohnungen des Gebäudes nachträglich als steuerbegünstigt i. S. der §§ 82, 83 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG) anerkannt und hierüber am 13. Februar 1984 der Anerkennungsbescheid erteilt. Die nachträgliche Anerkennung beruhte auf § 82 Abs. 4 des II. WoBauG in der ab 1. Mai 1980 geltenden Fassung (BStBl I 1980, 156) und wurde mit Wirkung zum 1. Januar 1982 ausgesprochen. Gleichzeitig mit dem Anerkennungsbescheid erteilte das zuständige Landratsamt die nach § 10 GrEStG BW vorgeschriebene Bescheinigung zur Erlangung der Grunderwerbsteuerbefreiung. Daraufhin stellte die Klägerin beim FA den Antrag, die Grunderwerbsteuerbescheide vom 4. Februar 1982 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) aufzuheben, hilfsweise die in den genannten Bescheiden festgesetzte Grunderwerbsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen teilweise zu erlassen. Beide Anträge lehnte das beklagte FA ab. Gegen die Ablehnung des Billigkeitserlasses ist noch ein finanzgerichtliches Verfahren anhängig.

Mit der Klage machte die Klägerin weiterhin geltend, das FA sei verpflichtet, die Steuerbescheide vom 4. Februar 1982 aufzuheben.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Der Anerkennungsbescheid des Landratsamts sei ein Grundlagenbescheid i. S. des § 171 Abs. 10 AO 1977. Die Auffassung des beklagten FA, Grunderwerbsteuerbefreiung könne nur dann gewährt werden, wenn das errichtete Gebäude bereits zum Zeitpunkt seiner Bezugsfertigkeit als steuerbegünstigt anerkannt sei, treffe nicht zu. Die Revision hat das FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Entscheidung des FG ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 252.

Mit der Revision rügt das beklagte FA sinngemäß eine Verletzung des § 6 GrEStG BW sowie des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die beiden Grunderwerbsteuerbescheide nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 aufzuheben sind.

Nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO 1977), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Der der Klägerin und ihrem Ehemann nachträglich nach Bestandskraft der Steuerbescheide erteilte Anerkennungsbescheid für steuerbegünstigte Wohnungen nach dem II. WoBauG ist Grundlagenbescheid für die Grunderwerbsteuerbescheide. Grundlagenbescheide i. S. des § 171 Abs. 10 AO 1977 sind alle Feststellungsbescheide, Steuermeßbescheide und andere Verwaltungsakte, soweit sie für die Festsetzung einer Steuer bindend sind. Ein ,,anderer Verwaltungsakt" in diesem Sinne kann auch von einer Behörde erlassen worden sein, die selbst nicht Finanzbehörde ist. Nach § 93 Abs. 2 des II. WoBauG sind die Anerkennungsbescheide im Verfahren über die Gewährung der Grundsteuervergünstigung für die Finanzbehörde in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht verbindlich. Der Anerkennungsbescheid nach dem II. WoBauG ist daher kraft dieser ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift Grundlagenbescheid zum Grundsteuermeßbescheid (vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. April 1980 III R 34/78, BFHE 130, 441, BStBl II 1980, 682). Eine derartige Bindungswirkung besteht kraft gesetzlicher Regelung auch für die von der Klägerin begehrte Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG BW. Diese Steuerbefreiung verlangt, daß innerhalb einer Frist von zehn Jahren auf einem unbebauten Grundstück ein steuerbegünstigtes Gebäude errichtet wird. Ein steuerbegünstigtes Gebäude ist nach der gesetzlichen Begriffsbestimmung in § 8 Abs. 3 GrEStG BW ein Gebäude, dessen anrechenbare Grundfläche zu einem bestimmten Anteil auf steuerbegünstigten Wohnraum entfällt. Steuerbegünstigt sind nach der Definition in § 8 Abs. 4 Satz 4 GrEStG BW Wohnungen, für die dem Berechtigten Grundsteuervergünstigung ,,nach den jeweils geltenden bundesrechtlichen Vorschriften der Wohnungsbaugesetzgebung gewährt wird". Dieser Wortlaut der Vorschrift spricht dafür, daß für die Frage, ob im Einzelfall steuerbegünstigte Wohnungen vorliegen, die Entscheidung der für das Wohnungsbaugesetz zuständigen Behörde als vorgegeben und für das FA als verbindlich angesehen werden muß. Eine derartige Bindung erscheint auch zweckmäßig, da nur so eine einheitliche Entscheidung derselben Frage für mehrere (Steuer-)Rechtsgebiete gewährleistet wird. Dem steht nicht entgegen, daß das Vorliegen von steuerbegünstigten Wohnungen nicht die einzige Voraussetzung für die Gewährung der Grunderwerbsteuerbefreiung ist. Die Bindungswirkung des Grundlagenbescheids (Anerkennungsbescheid nach dem II. WoBauG) erstreckt sich allein auf das Tatbestandsmerkmal ,,steuerbegünstigte Wohnungen", die übrigen tatbestandsmäßigen Voraussetzungen sind allein vom FA festzustellen. Mit der Festsetzung der Grunderwerbsteuer durch die Steuerbescheide wurde die begehrte Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG BW versagt. Versagungsgrund war die fehlende Anerkennung als grundsteuerbegünstigt nach dem II. WoBauG. Für dieses Tatbestandsmerkmal ist der Anerkennungsbescheid nach § 8 Abs. 4 Satz 4 GrEStG BW bindend und daher insoweit als Grundlagenbescheid i. S. des § 171 Abs. 10 AO 1977 anzusehen. Darüber, ob eine Änderung nach § 175 Abs. 1 AO 1977 auch dann noch vorzunehmen ist, wenn bei Erlaß des Anerkennungsbescheids die für den Steuerbescheid maßgebende Festsetzungsfrist bereits abgelaufen wäre, braucht nicht entschieden zu werden, da diese Voraussetzung im Streitfall nicht vorliegt.

2. Das FG hat auch zutreffend angenommen, daß es für die Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG BW ausreichend ist, wenn die Anerkennung der Wohnungen als steuerbegünstigt mit Wirkung auf einen Zeitpunkt erfolgt, der vor Ablauf der zehnjährigen Verwendungsfrist liegt. Entgegen der Auffassung des FA ist es nicht erforderlich, daß die Anerkennung zum - vorher liegenden - Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit des Gebäudes erteilt werden muß. Das Gesetz läßt dem Steuerpflichtigen zur Herbeiführung des begünstigten Zwecks (Errichtung eines steuerbegünstigten Wohngebäudes) eine Frist von zehn Jahren. Ist das Gebäude innerhalb dieses Zeitraums tatsächlich errichtet und die Anerkennung als steuerbegünstigt ausgesprochen, so ist diesem Erfordernis Genüge getan. Bei sinnvoller Auslegung kann es dabei nicht darauf ankommen, daß beide Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sein müssen. Hat der Steuerpflichtige ein Gebäude errichtet, das zunächst die zulässige Wohnfläche nach dem II. WoBauG überschreitet, so kann er gleichwohl die Anerkennung nachträglich erhalten, wenn sich die Personenzahl des Haushalts erhöht (§ 82 Abs. 4 II. WoBauG).

Diese Möglichkeit muß auch für den Fall bestehen, daß sich nachträglich die Vorschriften über die Anerkennung nach dem II. WoBauG ändern.

Das Gesetz stellt insofern ausdrücklich auf die ,,jeweils geltenden bundesrechtlichen Vorschriften der Wohnungsbaugesetzgebung" ab. Eine für den Steuerpflichtigen günstige Änderung der Vorschriften über die Grundsteuervergünstigung bzw. der dafür maßgeblichen persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen muß sich daher auch auf die Grunderwerbsteuerbefreiung auswirken, wenn sie noch innerhalb der für ihn geltenden Zehnjahresfrist erfolgt. Andernfalls würde derjenige, der die Bezugsfertigkeit bis zum Ende der Frist verzögert, ohne sachlichen Grund günstiger gestellt.

Zutreffend hat das FG auch angenommen, daß der Entscheidung des erkennenden Senats vom 19. Januar 1977 II R 43/73 (BFHE 122, 155, BStBl II 1977, 563) insoweit nichts Gegenteiliges entnommen werden kann. Diese Entscheidung bezieht sich auf eine Steuerbefreiung zugunsten von Ersterwerbern. Bei einer derartigen Steuerbefreiung müssen die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung regelmäßig zu einem bestimmten Zeitpunkt (Erwerbszeitpunkt) vorliegen. Dies ist bei der hier zu beurteilenden Vorschrift nicht der Fall, bei der dem Steuerpflichtigen ein (langer) Zeitraum zur Herbeiführung des begünstigten Zwecks zur Verfügung steht.

3. Zu keinem anderen Ergebnis führt auch der Hinweis der Revision auf die Notwendigkeit eines Antrags vor Bestandskraft des Steuerbescheids (§ 6 Abs. 5 GrEStG BW). Diesem Erfordernis wurde im Streitfall durch die erstmalige Antragstellung vor Erlaß der Steuerbescheide Genüge getan.

Fundstellen

  • Haufe-Index 417199
  • BFH/NV 1991, 555

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