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BFH Urteil vom 24.01.1963 - IV 46/62 S

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Lehnt die Verwaltung den vor Durchführung des Veranlagungsverfahrens gestellten Antrag des Steuerpflichtigen ab, das Einvernehmen im Sinn des § 2 Abs. 5 Ziff. 2 Satz 2 EStG zur Umstellung des Wirtschaftsjahrs auf einen vom Kalenderjahr abweichenden Zeitraum zu erteilen, so kann der Steuerpflichtige diese Entscheidung nach den im Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr. S. D 1/51 S vom 17. April 1951 (BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277) entwickelten Grundsätzen nach Art. 19 Abs. 4 GG (nunmehr § 237 Abs. 2 AO) vor den Steuergerichten anfechten.

Es stellt keinen Fehlgebrauch des Ermessens dar, wenn sich das Finanzamt mit der Umstellung des Wirtschaftsjahrs steuerlich nur dann einverstanden erklärt, wenn der Steuerpflichtige wirtschaftlich einleuchtende Gründe für die Umstellung des Wirtschaftsjahrs anführen kann.

 

Normenkette

AO §§ 237, 230/1, §§ 303, 231; EStG § 2 Abs. 5 Ziff. 2 S. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob das Finanzamt der Umstellung des Wirtschaftsjahres des Steuerpflichtigen auf einen vom Kalenderjahr abweichenden Zeitraum das Einvernehmen versagen durfte.

Der Steuerpflichtige betrieb ein Einzelhandelsgeschäft in Rundfunk- und Fernsehgeräten. Sein Wirtschaftsjahr war bisher das Kalenderjahr. Am 31. Mai 1960 wurde die Firma des Steuerpflichtigen in das Handelsregister eingetragen. Am 7. Oktober 1960 erbat der Steuerpflichtige das Einvernehmen des Finanzamts im Sinne des § 2 Abs. 5 Ziff. 2 Satz 2 EStG, sein Wirtschaftsjahr am 1. Juni 1961 auf den 1. Juni bis 31. Mai umstellen und für den Zeitraum 1. Januar 1961 bis 31. Mai 1961 ein Rumpfwirtschaftsjahr bilden zu dürfen. Er machte geltend, die zunehmende Personalnot erschwere eine Warenbestandsaufnahme zum 31. Dezember, weil zu diesem Zeitpunkt bei ihm große Geschäftstätigkeit herrsche. Auch sei das Warenlager am Ende des Kalenderjahres wesentlich höher als am 31. Mai.

Das Finanzamt versagte sein Einvernehmen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte keinen Erfolg. Die Oberfinanzdirektion ging davon aus, daß die nach § 2 Abs. 5 Zf. 2 Satz 2 EStG zu treffende Entscheidung des Finanzamts eine Ermessensentscheidung sei. Diese Vorschrift solle einen willkürlichen Wechsel des Wirtschaftsjahres zur Hinausschiebung der Besteuerung von Gewinnen ausschließen. Das Einvernehmen zur Umstellung soll nur dann nicht versagt werden, wenn beachtliche wirtschaftliche Gründe vorlägen. Das sei nicht der Fall.

Auf die Berufung des Steuerpflichtigen gab das Finanzgericht dem Begehren des Steuerpflichten statt. Es führte im wesentlichen aus: Der Steuerpflichtige habe betriebswirtschaftlich vernünftige Gründe für den übergang zu einem abweichenden Wirtschaftsjahr vorgetragen. Das Hauptgeschäft des Steuerpflichtigen mit Rundfunk- und Fernsehgeräten liege erfahrungsgemäß in den Wintermonaten (besonders im Monat Dezember) während in den Sommermonaten der Umsatz wesentlich geringer sei. Finanzamt und Oberfinanzdirektion hätten durch die Versagung des Einvernehmens zur Umstellung die Grenze des pflichtgemäßen Ermessens überschritten.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. der Oberfinanzdirektion ist begründet.

Gewerbetreibende, deren Firma in das Handelsregister eingetragen ist, können ihren Gewinn nach einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr ermitteln. Die Umstellung eines bisher mit dem Kalenderjahr übereinstimmenden Wirtschaftsjahrs auf einen vom Kalenderjahr abweichenden Zeitraum ist steuerlich nur wirksam, wenn sie im Einvernehmen mit dem Finanzamt geschieht ((2 Abs. 5 Ziff. 2 Satz 2 EStG, § 1 Ziff. 2 Satz 2 EStDV). Es kann zweifelhaft sein, ob der Steuerpflichtige, wie es hier geschehen ist, außerhalb des Veranlagungsverfahrens für die Ertragsteuern, bei denen sich die handelsrechtlich auch ohne Einvernehmen des Finanzamts mögliche Umstellung des Wirtschaftsjahres erstmals steuerlich auswirkt, einen Bescheid darüber verlangen darf, ob das Finanzamt einer zukünftigen Umstellung des Wirtschaftsjahres sein Einvernehmen gebe, oder ob die Entscheidung des Finanzamts in jedem Fall nur als unselbständiger Teil des Veranlagungsverfahrens anzusehen ist. Der Senat kommt aus folgenden Erwägungen zu dem Ergebnis, daß der Steuerpflichtige unbeschadet der Möglichkeit, daß das Finanzamt über die bereits vorgenommene Umstellung des Wirtschaftsjahres im Rahmen derjenigen Veranlagung entscheidet, die durch die Umstellung beeinflußt wird, einen Anspruch darauf ha, daß das Finanzamt auch über einen außerhalb des Veranlagungsverfahrens gestellten Antrag, seine Einwilligung einer an einem künftigen Zeitpunkt durchzuführenden Umstellung zu erteilen, durch einen besonderen Bescheid befindet

Der Steuerpflichtige hat in der Regel ein berechtigtes Interesse an einer alsbaldigen Entscheidung über die steuerliche Wirksamkeit der von ihm beabsichtigten Umstellung. Hätte der Steuerpflichtige keine Möglichkeit, außerhalb des Veranlagungsverfahrens eine Entscheidung des Finanzamts herbeizuführen, so müßte er bis zur rechtskräftigen Veranlagung, bei der sich die Umstellung erstmals auswirkt, zwei Jahresabschlüsse anfertigen, wenn er sich nicht dem Risiko der Schätzung der Gewinne für den Fall aussetzen will, daß das Finanzamt nachträglich die Umstellung nicht anerkennt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 496/52 vom 12. März 1953, BStBl 1953 III S. 117, Slg. Bd. 57 S. 293). Da weder der Wortlaut des Gesetzes noch allgemeine für das Veranlagungsverfahren geltende Grundsätze dazu zwingen, die Entscheidung des Finanzamts über sein Einvernehmen ausschließlich dem Veranlagungsverfahren zuzuweisen, erscheint es gerechtfertigt, dem Steuerpflichtigen einen Anspruch auf eine vor dem Veranlagungsverfahren liegende selbständige Entscheidung zu geben, wenn damit auch nicht für alle Fälle die praktische Notwendigkeit, unter Umständen mehrere Jahresabschlüsse aufzustellen, ausgeschlossen werden kann. Weder die Verfahrensgrundsätze, die der Bundesfinanzhof für die Zustimmung zur Bilanzänderung entwickelte (Urteil des Bundesfinanzhofs I 168/55 U vom 9. Oktober 1956, BStBl 1956 III S. 352, Slg. Bd. 63 S. 404), noch das Urteil des Reichsfinanzhofs I A 460/31 vom 31. Mai 1932 (RStBl 1932 S. 668) zwingen zu einer anderen Entscheidung. Die Zustimmung des Finanzamts zu einer Bilanzänderung betrifft immer nur die Gewinnermittlung eines bestimmten Veranlagungszeitraums und ist deshalb viel enger mit dem Veranlagungsverfahren verbunden als die sich auch auf spätere Veranlagungszeiträume auswirkende Umstellung des Wirtschaftsjahres. Die Umstellung des Wirtschaftsjahres hat eine allgemeine, weit größere und sich nicht nur auf das einzelne Veranlagungsverfahren auswirkende Bedeutung. Das bezeichnete Urteil des Reichsfinanzhofs I A 460/31 spricht zwar aus, daß über die Laufzeit eines Steuerabschnitts nur im Steuerfestsetzungsverfahren entschieden werden könne; das bezieht sich aber nicht ausdrücklich auf eine im Gesetz vorgesehene Einwilligung zur Umstellung des Wirtschaftsjahrs. Es können deshalb aus diesen Ausführungen des Reichsfinanzhofs keine allgemein gültigen Grundsätze hergeleitet werden.

Lehnt das Finanzamt den außerhalb des Veranlagungsverfahrens gestellten Antrag des Steuerpflichtigen ab so hat der Steuerpflichtige die Beschwerde an die Oberfinanzdirektion (§§ 237, 303 AO) und gegen deren ablehnende Entscheidung die Berufung an das Finanzgericht auf Grund des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (nun mehr § 237 Abs. 2 O in der Fassung des Art. 17 Nr. 10 des Steueränderungsgesetzes 1961 vom 13. Juli 1961, BStBl 1961 I S. 444). Die Steuergerichte sind nur befugt, die Entscheidung der Verwaltungsbehörden nach den im Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr. S. D 1/51 S vom 17. April 1951 (BStBl 1951 III . 107, Slg. Bd. 55 S. 277) entwickelten Grundsätzen daraufhin zu überprüfen, ob eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensmißbrauch der Verwaltung vorliegt. Für die Entscheidung darüber, ob eine zur Aufhebung der Entscheidung der Verwaltungsbehörde führende Ermessensverletzung in der Ablehnung des Einvernehmens gesehen werden kann, ist von Bedeutung, welche Erwägungen den Gesetzgeber veranlaßte, die steuerliche Auswirkung einer handelsrechtlich zulässigen Umstellung des Wirtschaftsjahres von einer zustimmenden Erklärung des Finanzamts abhängig zu machen; dabei kann "Einvernehmen" nach dem aus dem allgemeinen Sprachgebrauch sich ergebenden Sinn nichts anderes als "Zustimmung" bedeuten. Der Gesetzgeber kann das Einvernehmen des Finanzamts nur deshalb für notwendig gehalten haben, weil mit der Umstellung und der Einschaltung eines eventuell auf nur einen Monat verkürzten Rumpfwirtschaftsjahres ungewöhnliche steuerliche Vorteile verbunden sein können, die es im Interesse der Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit der Besteuerung geboten, die steuerliche Umstellung nicht in das Belieben des Steuerpflichtigen zu stellen. Es entspricht deshalb dem Sinn und Zweck des § 2 Abs. 5 Ziff. 2 Satz 2 EStG, daß das Finanzamt bei seiner Entscheidung die betriebswirtschaftlichen Erwägungen des Steuerpflichtigen für die Umstellung und die die Interessen der Allgemeinheit berührenden steuerlichen Auswirkungen gegeneinander abwägt und im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens seine Entscheidung trifft. Daraus folgt, daß der Auffassung nicht zugestimmt werden kann, das Finanzamt dürfe sein Einvernehmen nur dann verweigern, wenn in der grundsätzlich dem Steuerpflichtigen überlassenen Umstellung des Wirtschaftsjahres ein Mißbrauch zu sehen sei. Eine solche Einschränkung des Ermessensspielraums ist mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar; der Gesetzgeber hätte dann mit Rücksicht auf § 6 des Steueranpassungsgesetzes auf das Einvernehmen mit dem Finanzamt verzichten können.

Geht man von diesen Grundsätzen aus, so kann dem Finanzgericht nicht darin zugestimmt werden, daß die von ihm angeführten wirtschaftlichen Erwägungen allgemeiner Art ausreichen, die Verweigerung des Einvernehmens des Finanzamts und der Oberfinanzdirektion als einen Ermessensmißbrauch zu bezeichnen. Die Oberfinanzdirektion wies zutreffend darauf hin, daß bei dem Steuerpflichtigen als Händler der Rundfunk- und Fernsehbranche keine Besonderheiten gegenüber gleichartigen oder ähnlichen Unternehmen vorlägen, die die Notwendigkeit der Umstellung des Wirtschaftsjahres auf einen vom Kalenderjahr abweichenden Zeitraum unabhängig von Steuerersparnisgründen betriebswirtschaftlich so notwendig erscheinen ließen, daß die Entscheidung der Verwaltung nicht vertretbar erschien. Die Schwierigkeiten der Bestandsaufnahme zum 31. Dezember können beim Steuerpflichtigen nicht wesentlich größer gewesen sein als bei der weit überwiegenden Zahl gleichartiger Unternehmen, bei denen das Wirtschaftsjahr mit dem Kalenderjahr übereinstimmt. Der Wert der Warenbestände an den letzten Bilanzstichtagen (19.439 DM und 29.287 DM) war auch nicht so erheblich, daß dem Steuerpflichtigen die von fast allen Unternehmern zum 31. Dezember durchgeführte Bestandsaufnahme nicht zugemutet werden konnte. Die Entscheidung der Oberfinanzdirektion hält sich deshalb in den Grenzen von Recht und Billigkeit.

Die angefochtene Entscheidung war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Berufung des Steuerpflichtigen gegen die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion wird als unbegründet zurückgewiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410737

BStBl III 1963, 142

BFHE 1963, 385

BFHE 76, 385

StRK, EStG:2 R 45

NJW 1963, 1127

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