Leitsatz

Die ernsthafte Vorbereitung auf ein Abitur für Nichtschüler ist – zumindest ab dem Monat der Anmeldung zur Prüfung – als Berufsausbildung anzusehen.

 

Normenkette

§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 63 Abs. 1 S. 2 EStG, § 1, § 2, § 3 Abs. 3, § 4 Abs. 3, § 5, § 17 PO-NSchA NRW

 

Sachverhalt

Die Tochter des Klägers hatte die 13. Klasse eines Gymnasiums im Januar 2001 vorzeitig verlassen. Im Sommer 2002 kehrte sie aus Paris zurück, wo sie studiert hatte, und meldete sich im September 2002 bei der Bezirksregierung zu einer Abiturprüfung für Nichtschüler an. Bei den Prüfungen im Februar und Juni 2003 fiel sie durch, aber 2004 bestand sie die Wiederholungsprüfung.

Die gegen die Versagung des Kindergelds gerichtete Klage war erfolgreich. Das FG sah die Prüfungsvorbereitung als Berufsausbildung an, die spätestens mit der Anmeldung im September 2002 begonnen habe. Die Zeitspanne zwischen dem Ende der Ausbildung in Paris und dem Ausbildungsbeginn in Deutschland habe den Zeitraum von vier Monaten nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG unterschritten. Da die Sache nicht spruchreif war, erging ein Verpflichtungsurteil; die Familienkasse hatte danach auch noch die Ernsthaftigkeit der Ausbildungsanstrengungen zu prüfen.

 

Entscheidung

Der BFH billigte die Entscheidung und wies die Revision der Familienkasse als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Nach bisheriger Verwaltungsansicht befindet sich ein Kind nicht in Ausbildung und wird daher kindergeldrechtlich nicht berücksichtigt, wenn es sich Kenntnisse oder Fähigkeiten im Selbststudium verschafft und dabei nicht in eine Organisation mit einer gewissen Lernkontrolle eingebunden ist.

2. Der BFH ist großzügiger und definiert die Ausbildung weniger im Hinblick auf den Status als durch die Tätigkeit: Zur Ausbildung gehören alle Maßnahmen, die dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen dienen, die als Grundlage für die Ausübung eines angestrebten Berufs geeignet sind. Sie müssen weder in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sein noch die Zeit und Arbeitskraft des Kinds überwiegend in Anspruch nehmen. Darunter fällt auch das Selbststudium, obwohl das Gesetz von einem Kind spricht, das "ausgebildet wird" (Passiv!).

3. Eine vollständig "freie Selbstausbildung" hat der BFH aber bisher noch nicht gebilligt. Im Urteil vom 02.04.2009, III R 85/08 (BFH/NV 2009, 1502, BFH/PR 2009, 426) wurde zwar Kindergeld für ein Selbststudium zugesprochen, dieses erfolgte aber nach Beendigung des betrieblichen Ausbildungsverhältnisses zur Vorbereitung auf die Wiederholungsprüfung. Auch das "Nichtschülerabitur" ist durch eine Prüfungsordnung reglementiert. Der Bewerber wird in formalisierter Weise durch Lehrer beraten und betreut und nur zur Prüfung zugelassen, wenn er darlegt, dass er sich angemessen vorbereitet hat.

4. Beim Schüler, Azubi oder Studenten genügt der Status, um eine Berufsausbildung anzunehmen. Zur Vermeidung von Mitnahmeeffekten verlangt der BFH aber in Fällen fehlender organisatorischer Integration den Nachweis ernsthafter und nachhaltiger Ausbildungsbemühungen. Das Bestehen der Prüfung nach angemessener oder besser noch kurzer Vorbereitungszeit kann diese Anstrengungen des Kinds indizieren (vgl. BFH/PR 2009, 426); ansonsten ist für die Beweiserhebung Kreativität des FG vonnöten. Um sich für diese Hürde zu rüsten, sollten Kinder ihre Ausbildungsunterlagen mit "Bearbeitungsspuren" vorsorglich aufbewahren.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 18.03.2009 – III R 26/06

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