Rz. 2

Unter Gegenvorstellung versteht man im prozessualen Bereich – ganz allgemein – einen formlosen Rechtsbehelf, mit dem eine Änderung oder Aufhebung einer an sich unanfechtbaren gerichtlichen Entscheidung durch das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat (sog. iudex a quo), also ohne Anrufung der höheren Instanz, erreicht werden soll. Grundlage ist das Petitionsrecht.[1] Ausgehend von der bisherigen Rspr. des BVerfG[2] wurde die Gegenvorstellung – ohne gesetzliche Regelung – ausnahmsweise dann als zulässig anerkannt, wenn dem Gericht grobe Fehler i. S. v. greifbarer Gesetzwidrigkeit, insbesondere schwere Grundrechtsverstöße, unterlaufen sind, die zweckmäßigerweise vom Fachgericht im Wege der Selbstkontrolle anstatt vom BVerfG auf dem umständlichen Weg über eine Verfassungsbeschwerde behoben werden.[3]

 

Rz. 3

Mit der Einfügung des § 321a ZPO i. d. F. ab 2002[4] wurde für den Zivilprozess bei Verletzung des rechtlichen Gehörs durch ein erstinstanzliches nicht berufungsfähiges Urteil eine besondere Abhilfemöglichkeit geschaffen. Die Neuregelung wurde aber nicht nur auf die Fälle der Verletzung des rechtlichen Gehörs angewandt, sondern – über den Wortlaut hinaus – analog allgemein, d. h., auch wenn die greifbare Gesetzwidrigkeit einer Entscheidung aus sonstigen Gründen (materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art) mit einer Gegenvorstellung geltend gemacht wurde, zugrunde gelegt. Aufgrund der Verweisung in § 155 FGO auf § 321a ZPO a. F. galten diese Grundsätze auch für den Finanzgerichtsprozess, und zwar in analoger Anwendung des § 321a ZPO a. F. über die Verletzung des rechtlichen Gehörs hinaus auch für andere greifbare Verfahrens- und materiell-rechtliche Fehler.[5]

Nach Einfügung des § 133a FGO ab 2005 durch das AnhRügG (Rz. 1) war str., ob die Gegenvorstellung weiterhin statthaft ist, wenn nicht die Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern andere schwerwiegende Rechtsverletzungen geltend gemacht werden.[6] Der BFH ging zunächst einhellig weiterhin von der Statthaftigkeit aus, und zwar nicht nur wegen schwerwiegender Verletzung von Verfahrensgrundrechten, sondern auch wegen materiell-rechtlich objektiv willkürlicher Entscheidung.[7]

Durch die Regelung der Anhörungsrüge sollte die Gegenvorstellung nicht ausgeschlossen werden.[8] Fraglich war lediglich, ob die Gegenvorstellung nach der Einfügung des § 133a FGO durch das AnhRügG wegen der ausdrücklichen Begrenzung der Rüge auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs weiterhin auf die analoge Anwendung des § 133a FGO zu stützen ist. Nach BFH v. 13.10.2005, IV S 10/05, BFH/NV 2006, 1999 folgte die Zulässigkeit der Gegenvorstellung wegen schwerwiegender Grundrechtsverstöße jedenfalls unmittelbar aus der Rechtsschutz- und Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG bzw. aus dem Petitionsrecht nach Art. 17 GG.[9]

Von dieser Auffassung war der BFH zeitweilig abgerückt.[10] Er berief sich auf BVerfG v. 8.2.2006, 2 BvR 575/05, NJW 2006, 2907. Danach widerspräche es der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, neben der abschließend geregelten Anhörungsrüge[11] Gegenvorstellungen als für die Verfassungsbeschwerde fristwahrend anzuerkennen.[12] Der BFH hatte ein bei ihm anhängiges Musterverfahren ausgesetzt und die Frage der Zulässigkeit einer Gegenvorstellung gegen einen Beschluss über einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Entscheidung vorgelegt.[13]

Es ist allerdings – nachdem das BVerfG wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs aus verfassungsrechtlichen Gründen einen gerichtlichen Rechtsbehelf fordert – schwerlich einzusehen, weshalb in Fällen greifbarer und willkürlicher Entscheidungen der Rechtsschutz durch Verweigerung der Gegenvorstellung verkürzt werden soll. Sie lässt sich unmittelbar auf das Petitionsrecht[14] stützen[15] bzw. ergibt sich aus einer Analogie zu § 133a FGO. Denn die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde hilft nicht unbedingt weiter, da der Prüfungsmaßstab des BVerfG auf Grundrechte und gleichgestellte Rechte beschränkt ist und die Verfassungsbeschwerde überdies der Annahme bedarf (Rz. 28). Wenn schon dem BFH eine Korrektur grober Versehen von Amts wegen ermöglicht ist[16], sollte dem Beteiligten nicht verwehrt sein, im Wege einer Gegenvorstellung auf solche Fehler hinzuweisen.

Nach BVerfG v. 25.11.2008, 1 BvR 848/07, NJW 2009, 829, genügt zwar die Gegenvorstellung – wie schon in BVerfG v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 3220 ausgeführt – nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit. Gleichwohl geht das BVerfG nicht von der generellen Unzulässigkeit der Gegenvorstellung aus. Es stellt allerdings klar, dass die (erfolglose) Einlegung einer Gegenvorstellung nicht Zulässigkeitsvoraussetzung einer Verfassungsbeschwerde ist bzw. dass durch die Einlegung einer Gegenvorstellung die Monatsfrist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde[17] nicht erneut in Lauf gesetzt wird.

Auf den Beschluss des BVerfG v. 25.11.2008, 1 BvR 848/07, NJW 20...

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