Welche Rechtsreformen plant die angestrebte große Koalition?

Das Ringen hat erst Mal ein Ende. Die 177 Seiten starke Koalitionsvereinbarung, die CDU/CSU und SPD ausgehandelt haben, sieht eine ganze Reihe von konkret benannten Rechtsänderungen strafrechtlicher, zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art vor. Auch am Wirtschaftsstrafrecht soll geschärft werden und die Sicherheit im öffentlichen Raum und gegen Cyper-Kriminalität steht im Fokus.

Die Medien nahmen gebannt Anteil am Tauziehen um die Eckpunkte der geplanten Koalitionsarbeit. In Nachtschichten und mit gewissenhaft protokollierter Erschöpfung brachten die künftigen Koalitionäre ihre errungenen Pläne zu Papier.

Drehbuch für Reformarbeit der GroKo in Gründung

Die geplanten Rechtsänderungen des ausgehandelten Vertragsentwurfs lesen sich wie ein Drehbuch, das von einer Regierung Stück für Stück in Gesetzesreformen umgesetzt werden könnte.

Die Gesetzesvorhaben sind in einigen Bereichen so konkret und detailliert benannt, dass ihre Umsetzung auf den ersten Blick lediglich noch der Ausformulierung durch die zuständigen Referenten des Bundesjustizministeriums oder der entsprechenden Fachministerien bedürfte. Einige Vorhaben sind sogar bereits zeitlich exakt terminiert. Erst in den Ministerien wird dann oft auffallen, dass der Teufel häufig im Detail und in der Abstimmung mit anderen Gesetzen - und Ministerien - steckt.

Stärkung der überlasteten Justiz: Ein Pakt für den Rechtsstaat

Die Überlastung der Justiz ist ein Dauerthema. Hier soll endlich wirklich gegengesteuert werden. Stichwort und Motto ist der "Pakt für den Rechtsstaat". Ein starker Staat als Garant für eine freie Gesellschaft - so könnte man die geplanten Änderungen im Strafrecht und bei der inneren Sicherheit bezeichnen.

Im Rahmen eines Paktes für den Rechtsstaat sollen 6000 neue Justizstellen:

  • 2.000 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte,
  • in gleicher Größenordnung weitere Beschäftigte im nachgeordneten Bereich der Justiz (Geschäftsstellen, Rechtspfleger, Gerichtsvollzieher, Gerichtswachtmeister)
  • sowie ebenfalls 2000 neue Stellen im Justizvollzug geschaffen werden.

Das nahezu regelmäßig gewordene Entweichen von Häftlingen macht Letzteres gut Nachvollziehbar.

Die konsequentere  Umsetzung der Gesetze und Entscheidungen erfordern ebenfalls mehr personelle Ressourcen: Die Sicherheitskräfte des Bundes und der Länder sollen durch eine nachhaltige Aufstockung der Stellen bei der Sicherheitsbehörden um insgesamt 15.000 neue Stellen - jeweils 7.500 beim Bund und bei den Ländern - zeitnah verstärkt werden.

Rechtsfreie Räume und vernachlässigte Kleinkriminalität, aber auch die Unsicherheit im öffentlichen Raum, sollen wieder stärker bekämpft werden.

Reform der StPO geplant

Im Hinblick auf die teilweise überlange Dauer von Verfahren - siehe NSU Prozess - soll die StPO einige grundlegende Neuerung erfahren:

  • Künftig soll eine gebündelte Vertretung der Interessen von Nebenklägern zugelassen werden,
  • über Besetzungsrügen soll künftig in einem Vorabentscheidungsverfahren entschieden werden,
  • die Regeln zu Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten sollen überprüft und im Sinne einer zügigeren Durchführung von Strafverfahren reformiert werden,
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  • im Rahmen einer Reform des § 81 e StPO soll die DNA-Analyse im Strafverfahren auf äußerliche Merkmale wie Haare, Augen, Hautfarbe sowie das Alter ausgeweitet werden.
  • Die Wiederaufnahmemöglichkeiten zu Ungunsten freigesprochener Angeklagter betreffend nicht verjährter Straftaten sollen erweitert werden.

Viele diese Änderungen beruhen auf unter Juristen umstrittenen Forderungen des 2. Strafkammertages oder decken sich damit. Diese Vereinigung deutscher Strafrichter streben eine zügigere und effizientere Durchführung des Strafprozesses an. Aus diesem Grunde wollen sie den Strafprozess von "alten Zöpfen" befreien und straffere Regeln zur Abwendung von aus ihrer Sicht unnötigen Verzögerungen, nicht zuletzt durch ausufernde Anträge von Strafverteidigern und Nebenklägerin, einführen.

Rechtsanwälte und Strafverteidiger erheben rechtsstaatliche Bedenken vor der der Ausweitung von Richtermacht durch die Beschneidung von Beschuldigtenrechten.

Effektivere Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität

Bei der Wirtschaftskriminalität haben sich die Koalitionäre viel vorgenommen. Die Wirtschaftskriminalität soll künftig wirksamer bekämpft werden.

  • Durch entsprechende gesetzliche Änderungen soll die Verantwortlichkeit des Unternehmens für das Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter deutlich erhöht werden.
  • Durch die Abkehr vom Opportunitätsprinzip sollen die zuständigen Behörden nicht mehr die Möglichkeit haben, bei Verschulden einzelner Mitarbeiter das Gesamtunternehmen aus der Verantwortung zu entlassen.

Schon länger steht ein strenges Unternehmensstrafrecht auf der Wunschliste deutscher Rechtsverfolgung.

Musterfeststellungsklage soll kommen

Im Zivilrecht beabsichtigen die vielleicht kommenden Koalitionäre die Einführung der Musterfeststellungsklage. Der Koalitionsvertrag schreibt fest, dass diese bis spätestens zum 1.11.2018 wirksam eingeführt sein soll, um drohende Verjährungen zum Jahresende 2018 zu verhindern. Nicht nur Verbraucherschützer empfinden es als ungerecht, dass von Abgasmanipulation betroffenen Käufer in den USA Entschädigungsleistungen en bloc erstreiten konnten, während europäische Kunden, sofern sie nicht ein gerichtliches Urteil erstreiten, leer ausgehen. In Deutschland muss jeder einzelne Verbraucher für sich entscheiden, ob er das Risiko einer zivilrechtlichen Klage eingeht oder nicht (vgl. Nach dem Abgasskandal kommt Bewegung in die Musterfeststellungsklage).

Weitere Verbesserungen beim Verbraucherschutz

Die Rechte der Verbraucher soll in vielfältiger Weise gestärkt werden, der Koalitionsvertrag sieht auch Maßnahmen zur Verhinderung des Missbrauchs im Abmahnrecht vor.

  • Zum Schutz der Verbraucher soll die Überwachung der Inkassounternehmen verstärkt und die Regelungen zum Inkassorecht verbraucherfreundlich weiterentwickelt werden.
  • Die allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle soll dauerhaft zentral vom Bund getragen werden, eine Beteiligung der Länder wird in Erwägung gezogen.
  • Durch eine Reparaturklausel im „Designrecht“ sollen Verbraucher besser gegen Manipulationen an Fahrzeugen (Tachomanipulationen) geschützt werden.
  • Bestehende Schutzlücken im Fall der Insolvenz eines Bauträgers sollen geschlossen werden.

Strenger Sicherheitsgesetze, Kampf der Cyper-Kriminalität

Die allgemeine Sicherheit der Bevölkerung sowie die Cybersicherheit sollen durch verschiedene Maßnahmen erhöht werden:

  • Gemeinsames Ziel einer möglichen Koalition soll die Einführung einheitlicher Sicherheitsstandards für die IT-Strukturen in ganz Europa sein.
  • Auch die Sicherheitsarchitektur in Deutschland soll verbessert werden. Die Bundespolizei soll an Kriminalitätsschwerpunkten - wie zum Beispiel Bahnhöfen - und auch in der Bekämpfung der Alltagskriminalität stärker eingesetzt werden.
  • Die Menschen sollen sich auf öffentlichen Plätzen grundsätzlich sicher bewegen können, unter anderem durch verstärkte Videoüberwachung.
  • Zur Verbesserung der Sicherheit soll das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verstärkte Kompetenzen im Bereich der zentralen Auswertung und Analyse bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus erhalten und seine Steuerungsfunktion verstärkt wahrnehmen.
  • Das BfV soll als zentrale Servicedienststelle für den Einsatz operativer Technik im Verbund gestärkt werden.
  • Die Befugnisse des Verfassungsschutzes des Bundes und der Länder sollen durch eine Gesetzesnovellierung insbesondere im Hinblick auf die Datenerhebung und Datenspeicherung vereinheitlicht werden.
  • Die Sicherheitsbehörden sollen gleichwertige Befugnisse im Umgang mit dem Internet sowie außerhalb des Internets erhalten. Zu diesem Zweck soll insbesondere der Zugriff auf internetbasierte Messengerdienste verbessert werden.

Darknet-Straftatbestand

Die wachsende Bedeutung des Darknets für Straftaten und deren Vorbereitung soll sich im StGB niederschlagen. Das Betreiben eines Darknet-Handelsplatzes für kriminelle Waren und Dienstleistungen soll als neuer Straftatbestand eingeführt werden.

Verlust deutscher Staatsangehörigkeit 

Durch einen neuen Verlusttatbestand im Staatsangehörigkeitsgesetz sollen Deutsche, die eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren können, wenn ihnen die konkrete Beteiligung an Kampfhandlungen einer Terrormiliz im Ausland nachgewiesen werden kann.

Schwerpunkte im Arbeitsrecht

Besonders hart umkämpft waren die von der SPD beabsichtigten Änderungen im Arbeitsrecht. Nach der getroffenen Koalitionsvereinbarungen sollen

  • sachgrundlos befristete Arbeitsverträge deutlich eingedämmt und
  • insbesondere befristete Kettenverträge weitgehend ausgeschlossen werden.

Im einzelnen sind in diesem Punkt allerdings noch einige wichtige Details offen geblieben.

Schwerpunkte im Verwaltungsrecht

Auch das öffentliche Verwaltungsrecht soll von Änderungen nicht verschont werden. Vorgesehen sind insbesondere Maßnahmen zur Vereinfachung und Beschleunigung von Verfahren:

  • Hinsichtlich der immer noch zu langen Dauer der Asylverfahren sollen mögliche Gesetzesänderungen zur Verfahrensbeschleunigung und Vereinfachung geprüft werden.
  • Genehmigungsverfahren im Verwaltungsrecht (Baurecht) sollen vereinfacht und beschleunigt werden. 

Jetzt hängt alles von der Mitgliederbefragung in der SPD ab

Insgesamt stellen sich die im ausgehandelten Koalitionsvertrag genannten gesetzlichen Maßnahmen als ein bunter Strauß von geplanten Gesetzesänderungen dar, die einer möglichen künftigen Koalition ein durchaus ansehnliches Arbeitspensum eröffnen würden. Die Schwierigkeiten im Detail werden sich erweisen, wenn die Opposition und die jeweils betroffenen gesellschaftlichen Gruppen ihre Kritik formuliert haben. Aber der Koalitionsvertrag ist noch nicht geschlossen und vor der Umsetzung in die Tat steht erst einmal das Votum der SPD-Mitglieder, nachdem das Bundesverfassungsgericht eine Beschäftigung mit der Verfassungsmäßigkeit dieser Hürde verweigert hat.