BGH verwirft Revision von Zschäpe u. a.

Der BGH hat die Revision von Beate Zschäpe gegen die Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen Mittäterschaft an zehn Morden als offensichtlich unbegründet verworfen. Das OLG München hatte Zschäpe schuldig gesprochen obwohl sie bei keiner der Taten unmittelbar dabei. Doch auch der BGH sah Tatherrschaft gegeben.

In den Jahren 2013-2018 hat das OLG München in dem als historisch zu nennenden NSU-Prozess gegen fünf Angeklagte, Beate Zschäpe und vier Helfer des sogenannten NSU verhandelt. Nun hat der BGH die Verurteilung Zschäpes wegen zehnfachen Mordes zu lebenslange Haft und bei Feststellung der besonderen Schwere der Schuld bestätigt. 

BGH: Anwesenheit am Tatort ist für Mittäterschaft nicht erforderlich

Zschäpe war bei keiner der Taten unmittelbar anwesend und wurde dennoch als Mittäterin verurteilt. Besonders daran und dran, dass sie von allen Taten erst im Nachhinein erfahren habe, machte die Verteidigung die Revision fest. Der BGH führte aus, es sei nach ständiger BGH-Rechtsprechung nicht erforderlich, dass eine Täterin am Tatort anwesend sei. Ausreichend sei, dass Zschäpe gewichtige Tatbeiträge geleistet und ein hohes eigenes Tatinteresse gehabt habe. Auch habe sie  maßgeblichen Einfluss bei der Planung der Morde gehabt. Der BGH sah , ebenso wie das OLG bei der Verurteilten in ausreichendem Maße Tatherrschaft.

Wegen der Vielzahl der verübten Taten stellte das OLG eine besondere Schwere der Schuld fest, die ebenfalls vom BGH bestätigt wurde. Das schließt aus, das dass Zschäpe nach 15 Jahren Freiheitsstrafe wieder freikommt. Der BGH nahm zwar eine Korrektur bei der Verurteilung zweier der  Morde vor, die er als Tateinheit und nicht in Tatmehrheit sieht. Das ändert aber im Ergebnis nichts, weil es die Verurteilung zur lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe nicht beeinflusst.

Revisionen der als Gehilfen Verurteilten 

Die Revisionen von Ralf W. und Holger G. gegen die Verurteilung der als Gehilfen der NSU-Morde zu 10 bzw. 3 Jahren Haft  lehnte der BGH ohne Begründung ab. Lediglich über die Revision des als NSU-Gehilfen zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilten André E. wird der BGH Anfang Dezember verhandeln. 

BGH: Urteil war viel zu lang

Kritik am OLG-Urteil, die schriftliche Urteilsbegründung erfolgte erst nach zwei Jahren, gab es vom BGH wegen seiner epischen Breite. Es sei viel - mit 3.025 Seiten - zu lang und aufgebläht, was der Lesbarkeit abträglich sei. Doch das mag, in Anbetracht des Beschlusses, für die OLG-Richter, wohl nachrangig sein.  

(BGH, Beschluss v. 12.08.2021, 3 StR 441/20)

Das weitgehend bestätigte OLG-Urteil

Auf lebenslange Haft und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld lautet das OLG-Urteil gegen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Zwei Helfer wurden wegen Beihilfe zum Mord, die übrigen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren sowie zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Vor allem die Verurteilung des Helfers André E. zu zwei Jahren und sechs Monaten, wurde seinerzeit als Teilfreispruch scharf kritisiert. E., der von Beobachtern als viertes Mitglied des NSU betrachtet wurde und für den die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Freiheitsstrafe gefordert hatte, war mit Verkündung des Urteils im Juli 2018 unter lautem Applaus seiner Gesinnungsfreunde sofort aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Von der Anordnung von Sicherungsverwahrung hat das Gericht in allen Fällen abgesehen.

Verurteilung Zschäpes wegen Mittäterschaft war das Kernproblem

Juristisch stand für das Gericht die Frage im Vordergrund, ob der Angeklagten Zschäpe eine Mittäterschaft an den Taten ihrer beiden NSU-Genossen nachgewiesen werden kann. Diese Frage beantwortete der OLG-Senat in dem Urteil eindeutig mit ja. Gemeinsam mit Uwe M. und Uwe B. hat die Angeklagte Zschäpe nach dem Urteil des OLG die Terrororganisation „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gebildet. Ca. 14 Jahre hatte das Trio im Untergrund gelebt. In dieser Zeit habe Zschäpe dem Trio den Rücken freigehalten, habe den Anschein einer normalen Wohngemeinschaft in der näheren Umgebung in Zwickau aufrechterhalten und der Terrororganisation so die Möglichkeit verschafft, ihre ideologischen Ziele zu verfolgen.

Zehn Menschen ermordet, Dutzende verletzt

In dieser Zeit ermordeten Uwe M. und Uwe B. acht Gewerbetreibende türkischer Herkunft, einen Gewerbetreibenden griechischer Herkunft sowie eine deutsche Polizistin. Zwei Bombenanschläge in Köln führten zu Dutzenden von Verletzten. Hinzu kamen 15 Raubüberfälle zur Finanzierung des gemeinsamen Lebens und der gekauften Waffen.

Zschäpe mit starkem Eigeninteresse an den Mordtaten

Nach Auffassung des OLG-Senats kam es dem NSU politisch darauf an, mit seinen Taten in der Gesamtbevölkerung und insbesondere der Bevölkerung mit Migrationshintergrund Unsicherheit und Angst zu verbreiten, diese Gruppen einzuschüchtern und Personen mit ausländischem Hintergrund zum Verlassen des Landes zu nötigen. Die Öffentlichkeit sollte von einer schlagkräftigen Untergrundvereinigung ausgehen. Dieses Ziel habe die Angeklagte Zschäpe in vollem Umfange aus eigenem inneren Antrieb mitverfolgt, „alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mit gesteuert und mit bewirkt“ und mit den übrigen Mitgliedern der Gruppe auch die einzelnen Taten, das „Wann“, „Wo“ und „Wie“ der Tatausführung bereits im Vorfeld besprochen und mitbestimmt. Sie habe die Taten als eigene gewollt, sich selbst als Glied des NSU im Sinne einer arbeitsteiligen Vorgehensweise gesehen, die Taten mit den beiden Männern gemeinsam geplant und damit auch Tatherrschaft gehabt. Der Senat glaubte der Angeklagten ihre Einlassung, dass sie von den Morden und Anschlägen immer erst im Nachhinein erfahren habe, nicht.

Zur Planung gehörte auch das Inbrandsetzen der gemeinsamen Wohnung

Nach der Erkenntnis des OLG hat Zschäpe die Zentrale und den Rückzugsort des Trios zu Hause abgesichert. Von Anfang an sei geplant gewesen, dass Zschäpe für den Fall, dass ihren beiden Gesinnungsgenossen etwas zustoßen sollte, die Aufgabe hatte, die gemeinsame Wohnung in Brand zu setzen, Beweise zu vernichten und Bekennervideos zu versenden. Sie sei „die Frau im Hintergrund“ gewesen. Nachdem die beiden NSU-Mitglieder B. und M. sich nach einem Raubüberfall in Eisenach selbst getötet hatten, habe Zschäpe entsprechend dem gemeinsamen Plan die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand gesteckt, Beweise vernichtet und Bekennervideos versandt.

Interessant ist, was nicht im OLG-Urteil stand

In den Medien wird vielfach kritisiert, dass das Urteil kaum auf die vielen Hinweise der Nebenkläger eingeht, wonach der NSU nicht nur aus dem Trio Zschäpe, M. und B., sondern aus einem deutlich größeren Personenkreis bestanden habe. Der OLG-Senat war ohne nähere Begründung zu der Überzeugung gekommen, das Trio sei zwar von einem Netz von weiteren Helfern unterstützt worden, diese hätten jedoch nicht zum eigentlichen Kern des NSU gehört. Das Trio sei persönlich und ideologisch so aufeinander fixiert gewesen, dass für weitere Mitglieder kein Platz gewesen sei.

Die Rolle des Verfassungsschutzes wurde vom OLG nicht thematisiert

Eine weitere Auslassung des Urteils ist die Rolle des Verfassungsschutzes, die während des gesamten Prozesses eine außerordentlich große Bedeutung hatte und nahezu an jedem Prozesstag thematisiert wurde. In dem Urteil findet sich hierzu nichts. Nicht einmal die Anwesenheit eines Verfassungsschutzbeamten während des Mordes in einem Internetcafé in Kassel wird in dem Urteil erwähnt, während weitere Kunden des Internetcafés ausdrücklich als Zeugen in den Urteilsgründen aufgeführt werden.

Auch jetzt wird nach dem BGH-Beschluss wieder thematisiert und u .a. von Konrad Litschko nachgehakt, weil Fragen zum NSU-Terror ungeklärt sind.

Wonach wählte das Trio seine Opfer aus? Gab es dabei weitere Helfer? Woher kamen die Waffen? Wusste der Verfassungsschutz doch mehr?

OLG-Urteil bietet wenig Anknüpfungspunkte für weitere Ermittlungen

Die Bundesanwaltschaft hatte sich in diesem Punkt mehr erhofft. Für neun weitere Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Unterstützer des NSU hatte sie offensichtlich Anknüpfungspunkte in den Münchner Urteil erwartet. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Enttäuschend ist für die Bundesanwälte vor allem die Feststellung des Gerichts, das Trio habe auch die Tatorte selbst ausgespäht. Einige Ermittler gingen davon aus, dass die gezielte Auswahl von kleinen Gewerbetreibenden mit ausländischem Hintergrund und die Auswahl von Geschäften mit optimalen Fluchtwegen durch ortskundige Helfer erfolgt sein muss. Das OLG kam jedoch zu der Auffassung, das Trio habe dies alles selbst erledigt. Auch die Statsanwaltschaft hat Revision eingelegt. (OLG München, Urteil v. 11.7.2018, 6 St 3/12)

Urteilskritik von Verteidigern und Opferanwälten

Die Opferanwältin Basay-Yildiz zeigte sich besonders enttäuscht darüber, dass das OLG den zehn Opfern kein Gesicht gegeben habe. Außer den Namen der Opfer enthalte das Urteil keinerlei Angaben, nicht einmal das Alter der Getöteten werde erwähnt. Ebenso wie andere Vertreter von Nebenklägern nennt sie das Urteil „formelhaft, ahistorisch und kalt“. Diese Bewertung stimmt auf merkwürdige Weise mit der Bewertung des Verteidigers von Beate Zschäpe überein, der das Urteil als „technokratisch“ bezeichnet hat.

Weitere News zum Thema: 

NSU-Prozess: Zschäpe legt Revision ein und viele Hintergründe bleiben unklar

Bezeichnung als rechtsradikal = erlaubte Meinungsäußerung

Hintergrund: BGH zu Tatherrschaft 

Der Frage der Tatherrschaft kam bei der Revision eine entscheidende Rolle zukommen. Nach der Rechtsprechung des BGH reicht allein die Kenntnis eines Angeklagten von einer zu begehenden Tat und sein Wille, diese als gemeinsame anzusehen, für eine Mittäterschaft nicht aus. Allerdings erfordert Mittäterschaft nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst, ausreichend kann auch eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung sein, die nach der Willensrichtung der Beteiligten sich als Teil der Tätigkeit aller darstellt. Entscheidend ist eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände, wobei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und der Wille zur Tatherrschaft entscheidende Kriterien darstellen (BGH, Beschluss v. 11.7.2017, 2 StR 220/17; BGH, Urteil v. 17.4.2019, 5 StR 685/18; BGH, Beschluss v. 6.8.2019,3 StR 189/19). 

Schlagworte zum Thema:  Urteil, Revision, Prozessmanagement, Strafrecht, Mord