Blockadeaktionen der „Letzten Generation“

Über die richtige und angemessene Reaktion des Staates auf Straßenblockaden der Bewegung „Letzte Generation“ wird nicht nur in der Politik gestritten. Auch in der Justiz besteht bei der strafrechtlichen Bewertung Uneinigkeit.

Über die strafrechtliche Bewertung von Sitzblockaden der „Letzten Generation“ herrscht bei den Gerichten Uneinigkeit, teilweise - wie in Freiburg - sogar zwischen den unterschiedlichen Strafrichtern des gleichen Gerichts. Überwiegend bewerten die deutschen Gerichte Straßenblockaden der „Letzten Generation“ als strafbare Nötigung, einige wenige Gerichte scheren jedoch aus.

Straßenblockierer müssen in der Regel mit Verurteilung rechnen

Der Großteil der wegen Straßenblockaden gegen Klimaaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ unter Festkleben auf dem Straßenbelag geführten Strafverfahren endete mit einer Verurteilung wegen strafbarer Nötigung. So wurden in München Mitglieder der Gruppe „Letzte Generation“, die zweimal die Hauptverkehrsader am Münchner Stachus blockiert hatten, u.a. zu Geldstrafen von je 25 Tagessätzen verurteilt. Ähnliche Urteile sind vom AG Berlin bekannt. Das AG Freiburg verurteilte einen studentischen Blockierer zu 40 Tagessätzen à 10 EUR (AG Freiburg, Urteil v. 22.11.2022, 28 Cs 450 Js 23773/23).

„Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des BGH

Die für die erfolgten Verurteilungen maßgebliche Norm findet sich in § 240 StGB. Dort wird die Nötigung mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel unter Strafe gestellt. Nach der sogenannten „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des BGH erfüllt die Blockierung einer Straße durch Aktivisten den Gewaltbegriff, wenn der Straßenblockierer durch Einsatz seines Körpers eine psychische Barriere für das zuerst herannahende Fahrzeug aufbaut und dieses stehende Fahrzeug damit indirekt als physische, unüberwindbare Barriere für weitere herannahende Fahrzeuge einsetzt (BGH, Urteil v. 20.7.1995, 1 StR 126/95).

Nötigung nur bei Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation strafbar

Gemäß § 240 Abs. 2 StGB ist eine solche Nötigungshandlung nur dann rechtswidrig, wenn die Gewalt im Verhältnis zum angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Diese Verwerflichkeit wird im Fall der Straßenblockierer der „Letzten Generation“ von den meisten Amtsgerichten bejaht.

Auch Straßenblockaden können Versammlungsschutz genießen

Maßgeblich für die Bewertung der Verwerflichkeit ist hierbei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße grundsätzlich dem Schutzbereich der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit zugeordnet werden kann. Der Schutz des Art. 8 GG entfällt hiernach nicht schon deshalb, weil Demonstranten mit ihrer Blockadeaktion eine selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen bezwecken und die Blockade Vorschriften der StVO verletzt. Voraussetzung für das Versammlungsprivileg ist allerdings, dass die Aktion keinen, von Aggressionen geprägten, unfriedlichen Charakter annimmt (BVerfG, Beschluss v. 7.3.2011, 1 BvR 388/05).

Maßgebliche Abwägungselemente des BVerfG

Aus diesen Grundsätzen zieht das höchste deutsche Gericht den Schluss, dass bei der Beurteilung der konkreten Strafbarkeit einer Blockadeaktion eine sorgfältige, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte Prüfung der gemäß § 240 Abs. 2 StGB erforderlichen Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation zu erfolgen hat. Im Rahmen einer solchen Abwägung seien entscheidende Abwägungselemente

  • die Dauer und Intensität der Aktion,
  • deren mögliche vorherige Ankündigung,
  • die Ausweichmöglichkeiten von Verkehrsteilnehmern über andere Strecken sowie
  • der Sachbezug zwischen dem Protestgegenstand und der Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer.

Sachzusammenhang beeinflusst Sozialverträglichkeit

Stehen die durch die Aktion ausgelösten Behinderungen in einem engen Zusammenhang zu dem Versammlungsthema, so kann nach der Rechtsprechung des BVerfG die Beeinträchtigung der Freiheitsrechte der Verkehrsteilnehmer in größerem Maße sozial verträglich und deshalb hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist.

Gerichte verneinen Sachbezug zu den Blockadezielen

Nach diesen Grundsätzen hatten die Amtsgerichte München, Berlin und Freiburg einen inhaltlich ausreichend engen Sachbezug zwischen der Blockierung beliebig vieler Fahrzeuge des fließenden Verkehrs und den von den Blockierern verfolgten Klimazielen verneint. Solche Aktionen führen nach Auffassung der Gerichte zu einer Beeinträchtigung der Freiheitsrechte zufällig betroffener Verkehrsteilnehmer und beträfen Fahrzeuge mit stark unterschiedlicher Klimaschädlichkeit.

Mehrzahl der Amtsgerichte bejaht strafbare Nötigung

Die Blockierer instrumentalisierten die betroffenen Fahrzeugführer, die möglicherweise wichtige Termine – sei es beruflicher oder sonstiger Natur - wahrzunehmen hätten, in verwerflicher Weise zur Generierung von öffentlicher Aufmerksamkeit für die von der Bewegung „Letzte Generation“ verfolgten und für wichtig befundenen Ziele. Die Blockadeaktionen seien daher als strafbare Nötigung zu bewerten.

Kein rechtfertigender Notstand für Klimaaktivisten

Auch die vom AG Flensburg in einem medial viel beachteten Urteil im Fall eines Baumbesetzers herangezogene Vorschrift des rechtfertigenden (Klima)Notstandes (AG Flensburg, Urteil v. 6.12.2022, 440 Cs 107 Js 7252/22) hielten die Amtsgerichte nicht für einschlägig. Klimaaktivisten dürfe nicht das Recht zugesprochen werden, aus persönlichen Interessen zur Verfolgung von für richtig befundenen Zielen notstandsähnliche Rechte herzuleiten und diese auf Kosten anderer zu verfolgen.

Strafrichter am AG Freiburg verneinte Verwerflichkeit einer Blockade

Bei der Beurteilung der Verwerflichkeit urteilen die Amtsgerichte jedoch nicht einheitlich. So hat ein Strafrichter des AG Freiburg einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen der Blockierung von Fahrzeugen und den damit verfolgten Klimazielen eines Aktivisten der „Letzten Generation“ bejaht. Betroffen von der Blockade seien in 1. Linie Fahrzeuge, die schädliches CO₂ ausstoßen. Das Mittel einer Blockade des Straßenverkehrs sei zwar drastisch, gerade dadurch aber geeignet, der Öffentlichkeit die „Endlichkeit de CO2-Budgets“ und die in Zukunft auch nach der Klimaentscheidung des BVerfG (BVerfG, Beschluss v. 24.3.2021, 1 BvR 2656/18) erforderlichen Beschränkungen des CO2-Ausstoßes eindringlich vor Augen zu führen.

Freisprüche in Einzelfällen

Der Strafrichter des AG Freiburg verneinte - auch im Hinblick auf das gegenüber der zur Beendigung der Blockadeaktion heranrückenden Polizei - friedfertige und kooperative Verhalten des Blockierers im konkreten Fall die Verwerflichkeit der ansonsten tatbestandlich verwirklichten Nötigung und sprach den Angeklagten vom Vorwurf der Nötigung frei (AG Freiburg, Urteil v. 21.11.2022, 24 Cs 450 Js 18098/22). Freisprüche dieser Art sind bisher in der deutschen Justiz Einzelfälle.

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