Frauen-Karriere-Index: Barbara Lutz im Interview

Seit 1911 erinnert der Weltfrauentag am 8. März an den Kampf der Frauen für mehr Gleichberechtigung. Doch der Anteil an Frauen in Führungspositionen steigt nach wie vor nur langsam. Wann ist die Zeit reif, die gläserne Decke endlich zu durchbrechen? Ein Gespräch mit Barbara Lutz, Gründerin und Geschäftsführerin des Frauen-Karriere-Index.

Haufe Online-Redaktion: Heute ist Weltfrauentag. Sie haben dieses symbolträchtige Datum sicher nicht zufällig ausgewählt, um Vorreiterunternehmen in Sachen Frauenförderung auszuzeichnen. Konkret: Die zehn Unternehmen mit den besten Werten beim Frauen-Karriere-Index (FKI). Wer sind die Sieger diesmal?

Barbara Lutz: Wir haben dieses Jahr eine Doppelspitze: Hewlett Packard Enterprise (HPE) und Accenture. Beide Unternehmen haben jeweils 90 Indexpunkte erreicht, was wirklich bemerkenswert und sensationell ist. HPE begleitet uns seit sechs Jahren, das Unternehmen fing mit einem Indexwert in den 1970ern an und hat sich dann sukzessive nach oben gearbeitet.

Accenture arbeitet jetzt auch schon im dritten Jahr mit uns. Das Ziel: 50 Prozent Frauenanteil im ganzen Unternehmen. Auf der Einstiegsebene ist das bei Beratungsunternehmen keine Seltenheit, aber beim Aufstieg bröckeln die Frauen meist Ebene für Ebene sukzessive ab. Accenture hat da mit klaren Aussagen und Maßnahmen sehr schnelle Effekte erzielt und jetzt auch tatsächlich 90 Indexpunkte erreicht.

Haufe Online-Redaktion: Was machen diese Unternehmen besser als andere?

Barbara Lutz: Alle Unternehmen, die am FKI teilnehmen, setzen sich natürlich ernsthaft und nachhaltig mit dem Thema Frauenkarrieren auseinander. Die beiden Spitzenplatzierten zeichnet aber besonders aus, dass sie das Thema schon lange und extrem konsequent, national wie international, auf den Führungsebenen vorantreiben. Das, was für viele deutsche Unternehmen gerade erst beginnt, ist bei diesen Unternehmen schon seit vielen Jahren im Herzen des Unternehmens, in der Kultur, angekommen. Das ist der Unterschied.

Gleichwohl sehen wir: Wenn Unternehmen, die neu bei uns einsteigen, und jetzt da stehen, wo HP und Accenture vor drei bis sechs Jahren waren, wenn die ganz gezielt und konsequent an den entscheidenden Stellschrauben arbeiten, kann man wirklich enorme Veränderungen sehen. Der FKI hat acht Subindizes. So kann man genau sehen, welche Maßnahmen wie wirken und in welchen Bereichen Veränderungen wirklich effektiv sind.

Frauenförderung: Welche Maßnahmen wirklich wirken

Haufe Online-Redaktion: Der FKI misst also unter anderem wie erfolgreich bestimmte Maßnahmen zur Frauenförderung sind und welche Korrelationen zwischen verschiedenen Fördermaßnahmen und deren Wirksamkeit bestehen. Welche Maßnahmen wirken denn nun tatsächlich?

Barbara Lutz: Grundsätzlich gilt: Weniger ist mehr. Und keine Maßnahme ist wirkungsvoll, wenn es nicht in allen Ebenen des Unternehmens ein Commitment dazu gibt, wirklich die Themen anzugehen und die Veränderungen voranzutreiben.

Die Unternehmen müssen wegkommen von den rein kosmetischen Maßnahmen („alle machen mal ein Gender-Training“) und hin zu kulturverändernden Maßnahmen. Wichtig ist dabei die Frage: Wo ist das Thema Frauenkarrieren aufgehängt? Oft ist das ausschließlich bei HR – dann ist der Impact leider nicht stark genug. Eine wirkungsvolle Maßnahme ist beispielsweise, einen „Diversity Council“ einzurichten. Da müssen Führungspersönlichkeiten drinsitzen, und Vertreter der operativen Einheiten - nur dann gibt es ein übergreifendes Commitment innerhalb der Gesamtorganisation.

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Ganz wesentlich ist auch, dass man in der Lage ist, eine Story zu erzählen: Warum möchten wir in unserem Unternehmen mehr Frauen in Führungspositionen haben? Welche Vorteile hat unser Unternehmen davon? Damit verändert man die Diskussionsqualität innerhalb der Organisation über das Thema. Es wird von einem reinen „HR Issue“ zu einem „Business Issue“. Dann passieren in der Führungsstruktur, in den Organisationsprozessen völlig andere Effekte.

Fehler bei der Frauenförderung

Haufe Online-Redaktion: Welche Fehler begehen Unternehmen bei der Karriereförderung von Frauen?

Barbara Lutz: Dass sie das Thema nicht systemisch angehen. Ein Beispiel: In den vergangenen Jahren waren so genannte „Unconscious Bias Trainings“ der Hype bei den Unternehmen. Das sind gute Trainings! Aber wenn sie die nicht nachhalten in der Organisation, wenn sie keine Maßnahmen finden, um zu verfolgen, ob denn diese Trainings wirklich greifen, ob sich denn wirklich anders verhalten wird, ob es denn jetzt eine andere Art von Stellenbesetzung gibt, ob es eine andere Art von Beförderung gibt, dann ist das ein unheimlich tolles Trainingsprogramm, das leider nichts bewirkt. Nur über die Nachhaltigkeit und über die feste Verankerung in der Organisation gibt es die Veränderung.

Haufe Online-Redaktion: Wie wirksam sind aus Ihrer Sicht gesetzliche Maßnahmen, wie die Frauenquote, das Entgelttransparenzgesetz, Recht auf befristete Teilzeit, Recht auf Homeoffice et cetera?

Barbara Lutz: Man sieht ganz klar: Die Quote in den Aufsichtsräten funktioniert da, wo sie funktionieren muss. Man sieht aber auch, dass das nicht automatisch bedeutet, dass sich dadurch in den Unternehmen „von selbst“ etwas verändert. So lange diese Themen nicht auf der Management-Agenda sind, werden sie auch nicht nachgehalten.

Wenn man flächendeckend höhere Frauenquote durchsetzen möchte und tatsächlich dafür sorgen möchte, dass alle Unternehmen sich diesem Thema verpflichten, ist möglicherweise eine gesetzliche Verpflichtung hilfreich. Ob die Unternehmen das dann wirklich hinbekommen und gut machen, ist nochmal was anderes.

Frauen-Karriere-Index: Systemischer Ansatz zur Förderung von Frauenkarrieren

Haufe Online-Redaktion: Sie betonen gern, dass es sich bei den schlechteren Aufstiegschancen und dem geringen Frauenanteil in Führungspositionen um ein Strukturproblem handelt. Diese Erkenntnis ist nicht neu, das weiß man spätestens seit den 1980er Jahren, in denen der Begriff der „gläsernen Decke“ geprägt wurde. Warum ist es Ihrer Meinung nach bisher nicht gelungen, dieses Strukturproblem zu lösen?

Barbara Lutz: Ja, das Strukturproblem wird zwar seit langem diskutiert, aber was uns wirklich überrascht hat: Als wir 2012 begonnen haben an dem Frauen-Karriere-Index zu arbeiten, haben wir weltweite Recherchen über das Thema gemacht, ob es woanders vielleicht schon etwas vergleichbares gibt. Meine Idee war: Ich möchte ganz klare KPIs haben, weil ich als Managerin weiß, wie Unternehmen funktionieren, wenn ich über Steuerungszahlen gehe. Und dazu gab es keinerlei Forschung, keinerlei Unterlagen, keinerlei Informationen. Es gab und gibt immer noch ein unendliches Meer an Trainings, wie man die Frauen verändert - wie die aufzutreten haben, mit tiefer Stimme und so weiter - und einen riesigen Fundus an Change-Maßnahmen, durch man die Organisation scheuchen kann. Es gab viel Forschung zur Ist-Analyse, aber so gut wie keine erfolgreichen Lösungsansätze. Der Ansatz, dass man wirklich auf die Zahlen schaut, auf die Effekte, welche Maßnahmen wie greifen, auf die Stellschrauben, der war neu.

Haufe Online-Redaktion: Gibt es denn inzwischen vergleichbare Mess- und Steuerungssysteme wie den FKI?

Barbara Lutz: Es gibt in den USA den Diversity Index, der sich sehr stark mit Kennzahlen beschäftigt. Was den FKI einzigartig macht ist, dass er sich auch mit den Maßnahmen und ihren Wirkungsweisen beschäftigt. Darüber hinaus gibt es natürlich auch reine Consulting-Angebote, das sind dann Systeme, in die man nicht nachvollziehen kann, wie sie funktionieren. Diese Angebote haben sich aber erst in den vergangenen Jahren entwickelt. Als wir 2012 angefangen haben, waren wir tatsächlich unserer Zeit weit voraus. Und inzwischen sind wir auch international – in elf Ländern - tätig. Allein in Deutschland haben wir rund 200 Unternehmen indexiert.

Veränderung der Unternehmenskultur ist überlebenswichtig

Haufe Online-Redaktion: Ist die Zeit jetzt reif für wirkliche Veränderungen?

Barbara Lutz: Die Thematik der Veränderung ist per se schwierig. Es geht ja um homogene Organisationen, die in sich total glücklich sind. Solche Strukturen sind natürlich veränderungsavers, weil sie sich schützen. Man muss auch sagen: Über Jahrzehnte hinweg waren diese Strukturen erfolgreich. Homogene Strukturen sind effizient und schnell. Aber was sie nicht sind: Sie sind nicht auf Veränderungen ausgelegt. Und das ist der große Unterschied, den wir jetzt erleben: Durch den extremen Veränderungsdruck, den alle, wirklich alle Branchen zu spüren bekommen, wird das Thema Change, Transformation und Kulturveränderung im Augenblick nochmal völlig anders gesehen. Genau das ist auch die Chance, die wir jetzt haben. Dass man nämlich nicht mehr nur drüber redet („Das wär doch nett, ein paar mehr Frauen zu haben…“), sondern dass es jetzt einfach wirklich überlebensnotwendig für die Unternehmen ist, ihre Strukturen zu verändern.

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Vielfalt, Transparenz und Flexibilität sind entscheidend

Haufe Online-Redaktion: Eine Ihrer Erkenntnisse aus den FKI-Erhebungen ist, dass Frauenkarrieren eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Unternehmen in Richtung agiler Organisation spielen. Inwiefern?

Barbara Lutz: Da gibt es mehrere Parallelen beziehungsweise Faktoren, die ineinandergreifen und sich gegenseitig befördern. Agilität lebt von Vielfalt, Transparenz und Flexibilität – drei Punkte, die auch für Frauenkarrieren entscheidend sind und für all diejenigen, die nicht dem schon existierenden Managementtyp entsprechen.

Stichwort Vielfalt: Alte, etablierte Systeme leben über Gleichartigkeit. Für Agilität ist es absolut wesentlich, dass man verschiedene Sichtweisen und Einstellungen in die Organisation hineinbekommt – nur so entstehen Innovationen. Die Abwehrprozesse, die bei Frauen wirken, wirken auch bei anderen Diversity-Merkmalen, wie Religion oder sexuelle Orientierung, genauso. Der Unterschied ist aber, dass man die Frauen innerhalb der Organisation statistisch verfolgen kann. Schwule, Lesben, Ausländer können oder sollten Sie nicht markieren. Aber Frauen können Sie als Maßstab dafür nehmen, wie durchlässig die Organisation ist.

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Stichwort Transparenz: Homogene Systeme wollen auch keine Transparenz. Ein Beispiel: Wenn wir über Transparenz in Besetzungsprozessen sprechen, sehen wir häufig, dass die Organisationen sehr clever sind, das zu umgehen. Besteht zum Beispiel die Pflicht, offene Stellen im Intranet auszuschreiben, dann werden die zwar ausgeschrieben  - aber nur für kurze Zeit, dann sind sie schon weg. Transparenz wird also gezielt gemanagt. Transparenz ist extrem wesentlich für die Frauen, um eine Aufstiegschance zu haben, Transparenz ist aber genauso wesentlich für Innovationen: Wenn ich nicht weiß, welche Jobs, wann verfügbar sind, habe ich überhaupt nicht die Chance auf die Beförderung. Und nur wenn ich weiß, was überall in der Organisation passiert, kann ich Ideen und Innovationen entwickeln.

Stichwort Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort: Im „alten“ System konnte ein Manager auch sehr spontan in sein Team reinlaufen, und brauchte gar nicht darüber nachzudenken, ob jemand präsent ist oder nicht präsent, weil er wusste, der Mitarbeiter sitzt da ja. In einem Umfeld mit flexiblen Arbeitszeiten und Menschen, die möglicherweise im Homeoffice oder von unterwegs aus arbeiten, müssen Manager zwei Dinge tun: Sie müssen ihre Informationen, ihr Wissen, für alle zugänglich machen und sie müssen aktiv managen, wie sie mit Zeit, Skills und Sonstigem umgehen. Das ist als Managementherausforderung viel komplexer.

Agilität und Frauenkarrieren greifen also ineinander, indem sie alte homogene Strukturen aufbrechen und Vielfalt, Flexibilität, Transparenz und Wissen-Sharing fördern – was wiederum wesentlich für Innovation ist und überlebensnotwendig für Unternehmen in der VUCA-Welt. 

Frauen müssen ihre Chancen aktiv ergreifen

Haufe Online-Redaktion: Haben es Frauen also in der Arbeitswelt 4.0 mit ihren agilen Strukturen und Netzwerkorganisationen leichter?

Barbara Lutz: Agiles Arbeiten lebt davon, viele verschiedene Persönlichkeiten, aus verschiedenen Bereichen und in verschiedenen Altersstrukturen zu haben. Da ist es tatsächlich so, dass die Frauen eine gute Chance haben, sichtbar zu werden und diese Chance auch nutzen. Selbstverständlich müssen die Frauen diese Chance aktiv nutzen. Das wird einem natürlich nicht auf dem Silbertablett gereicht, aber Karriere ist eben auch kein Grundrecht. Karriere ist etwas, wo man sich aktiv involvieren muss. Aber die Chancen waren noch nie so groß wie jetzt.

Frauen-Karriere-Index: Die Sieger 2019

Platz 1: Hewlett Packard Enterprise und Accenture

Platz 2: Berliner Wasserbetriebe und Intel Deutschland

Platz 3: Santander Consumer Bank

Platz 4: Investitionsbank Berlin

Platz 5: BMW AG und RWE Group

Platz 6: MTU Aero Engines und NTT Data Deutschland

Platz 7: GFT Technologies SE und Klöckner & Co.

Platz 8: Kao Germany und Technische Universität München 

Platz 9: Hamburg Leuchtfeuer GmbH

Platz 10: Mindshare GmbH

Hintergrund: Der Frauen-Karriere-Index

Der Frauen-Karriere-Index (FKI) versteht sich als Management-Instrument zur systematischen Förderung von Frauen in der Arbeitswelt. Er untersucht, wie sich Frauen auf verschiedenen Führungsebenen in ihren Karrieren entwickeln. Neben den unternehmensinternen Analysen und der jährlichen Veröffentlichung des FKi-Reports zählen auch die Arbeitsgemeinschaft der teilnehmenden Unternehmen und der regelmäßige Austausch zu neuen Erkenntnissen und Maßnahmen zu den festen Aktivitäten des FKI.

Das Index-Modell wurde in Zusammenarbeit mit dem DIW und der Technischen Universität Berlin sowie Joachim Scharioth, Experte für Indexentwicklung und Marktforschung, entwickelt und von 2012 bis 2015 vom Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Seit 2015 firmiert der FKI als Unternehmen, dem Barbara Lutz als Geschäftsführerin und Gesellschafterin vorsteht.

Schlagworte zum Thema:  Diversity, Change Management, Unternehmenskultur