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BVerfG Beschluss vom 27.09.2024 - 2 BvR 375/24

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Willkürverbots durch Auslagenentscheidung nach gerichtlicher Einstellung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens. Gegenstandswertfestsetzung

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3; BVerfGG § 93c Abs. 1 S. 1; BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1; RVG § 14 Abs. 1; RVG § 37 Abs. 2 S. 2; OWiG § 46 Abs. 1; OWiG § 47 Abs. 2 S. 3; StPO § 467 Abs. 1; StPO § 467 Abs. 4; StPO § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 2; StPO § 33a

Verfahrensgang

LG Hamburg (Beschluss vom 18.01.2024; Aktenzeichen 639 Qs 4/24 OWi)

AG Hamburg-Wandsbek (Entscheidung vom 15.09.2023; Aktenzeichen 728a Oi 35/23)

Tenor

Der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 7. September 2023 - 728a OWi 35/23 - verletzt den Beschwerdeführer - soweit darin über seine notwendigen Auslagen entschieden ist - in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Die Beschlüsse des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 15. September 2023 - 728a OWi 35/23 - und des Landgerichts Hamburg vom 18. Januar 2024 - 639 Qs 4/24 OWi - werden damit gegenstandslos.

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 (in Worten: zehntausend) Euro festgesetzt.

Gründe

Rz. 1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslagenentscheidung nach gerichtlicher Einstellung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens.

I.

Rz. 2

1. Gegen den Beschwerdeführer erging ein Bußgeldbescheid wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften in Höhe von 143,75 €. Nach fristgerecht eingelegtem Einspruch setzte das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek (im Folgenden: Amtsgericht) Hauptverhandlungstermin auf den 7. September 2023 fest, zu dem es das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers anordnete. Der vom Beschwerdeführer mandatierte Verteidiger nahm Akteneinsicht, konnte aber zwischen der auf dem Beweisfoto abgebildeten Person und dem Beschwerdeführer eine Übereinstimmung nicht feststellen. Zu dem Termin erschien der Beschwerdeführer in Begleitung seines Verteidigers. Zur Sache befragt gab der Verteidiger eine Erklärung ab, wonach der Beschwerdeführer nicht der Fahrer sei. Daraufhin verkündete das Amtsgericht folgenden Beschluss: „Das Verfahren wird gemäß § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Staatskasse eingestellt. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse nicht.“ Gründe enthielt der Beschluss nicht.

Rz. 3

2. Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer erhob gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 7. September 2023 mit Schreiben vom 14. September 2023 „(sofortige) Beschwerde“, zudem beantragte er beim Amtsgericht mit gesondertem Schreiben vom selben Tag „sowohl im Wege der Gegenvorstellung, als auch im Wege der Anhörungsrüge“ die Aufhebung des Beschlusses, jedenfalls auch die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Das Amtsgericht verwarf mit Beschluss vom 15. September 2023 die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung als unzulässig. Eine Begründung erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2023 begründete der Beschwerdeführer seine Beschwerde unter Verweis auf den Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2015 - 2 BvR 2436/14 - dahingehend, dass hier die Beschwerde nach Ablehnung der Anhörungsrüge statthaft sei und zum Rechtsweg gehöre, der vor Erhebung einer Verfassungs­beschwerde zu erschöpfen sei. Das Landgericht Hamburg (im Folgenden: Landgericht) verwarf mit Beschluss vom 18. Januar 2024 die sofortige Beschwerde als unzulässig. Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass nach § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO eine gerichtliche Entscheidung über die Kosten und notwendigen Auslagen nicht anfechtbar sei, wenn eine Anfechtung der Hauptentscheidung nicht statthaft sei. § 47 Abs. 2 Satz 3 OWiG schließe die Anfechtbarkeit des Einstellungsbeschlusses ausdrücklich aus. Im Übrigen sei die Kosten- und Auslagenentscheidung auch nicht auf eine Gegenvorstellung hin abänderbar.

II.

Rz. 4

Mit seiner am 19. Februar 2024 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) durch die ihn belastende Auslagenentscheidung.

Rz. 5

Das Amtsgericht sei angesichts der Beweislage verpflichtet gewesen, den Beschwerdeführer freizusprechen, ihn jedenfalls vor Erlass der Einstellungs- und Kostenentscheidung hierzu anzuhören. Dies sei nicht erfolgt. Zudem habe das Amtsgericht gegen Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Willkürverbot verstoßen, weil sich dem Beschluss des Amts­gerichts nicht einmal im Ansatz entnehmen lasse, aus welchem Grund es die notwendigen Auslagen dem Beschwerdeführer auferlegt habe. Der erkennende Richter sei gegenüber dem Beschwerdeführer voreingenommen gewesen, weshalb dieser in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt sei.

III.

Rz. 6

Die Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg hat von einer Stellungnahme abgesehen.

Rz. 7

Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

IV.

Rz. 8

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden.

Rz. 9

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere hat der Beschwerdeführer den Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ordnungsgemäß erschöpft und die Einlegungsfrist (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) gewahrt. Die von ihm erhobene Anhörungsrüge und die „(sofortige) Beschwerde“ waren geeignet, die Frist zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde offen zu halten, weil sie nicht von vornherein aussichtslos waren. Aussichtslos ist ein Rechtsbehelf nur dann, wenn er offensichtlich unstatthaft oder unzulässig ist (vgl. BVerfGE 5, 17 ≪19≫; 28, 1 ≪6≫; 48, 341 ≪344≫; BVerfGK 7, 115 ≪116≫; 11, 203 ≪205 ff.≫; 20, 300 ≪302 ff.≫). Davon ist hier nicht auszugehen.

Rz. 10

a) Nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG war der Beschwerdeführer aus Gründen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gehalten, gegen die nicht anfechtbare (§ 47 Abs. 2 Satz 3 OWiG; § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG) Entscheidung des Amtsgerichts vom 7. September 2013 mit einer Gegenvorstellung beziehungsweise Anhörungsrüge vorzugehen. Das Amtsgericht hatte ihn zu der auf § 47 Abs. 2 OWiG gestützten Einstellung des Verfahrens und insbesondere zu der beabsichtigten, ihn belastenden Auslagenentscheidung nicht angehört. Das Gericht kann in einem solchen Fall im Verfahren nach § 33a StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG seine an sich unanfechtbare Entscheidung über die (Kosten und) Auslagen prüfen und ändern (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Oktober 2001 - 2 BvR 1424/01 -, Rn. 1; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2015 - 2 BvR 2436/14 -, Rn. 15, m.w.N.).

Rz. 11

Dabei beschränken die Vorschriften der §§ 33, 33a StPO die gebotene nachträgliche Anhörung nicht auf Tatsachen und Beweisergebnisse; vielmehr ist über den Wortlaut der Bestimmungen im engeren Sinne hinaus jeder Aspekt des rechtlichen Gehörs erfasst (vgl. BVerfGE 42, 243 ≪250≫; BVerfGK 12, 111 ≪116≫). Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet dem Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem einer Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfGE 60, 175 ≪210, 211 f.≫; 86, 133 ≪144≫) und verpflichtet die entscheidenden Gerichte, die entsprechenden Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 21, 191 ≪194≫; 96, 205 ≪216≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. Juli 2013 - 1 BvR 1018/13 -, Rn. 14).

Rz. 12

b) Zwar gehört eine gegen einen (Kosten- und) Auslagenbeschluss erhobene Beschwerde nicht zum Rechtsweg im Sinne von § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Schließlich schließt § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO eine Anfechtbarkeit der gerichtlichen Entscheidung über die Kosten und notwendigen Auslagen aus, wenn eine Anfechtung der Hauptentscheidung - wie hier gemäß § 47 Abs. 2 Satz 3 OWiG - nicht statthaft ist. Mit der auch gegen den die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts gerichteten „(sofortigen) Beschwerde“ vermochte der Beschwerdeführer aber die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG in der konkreten Sachverhaltsgestaltung offen zu halten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2015 - 2 BvR 2436/14 -, Rn. 17 f.).

Rz. 13

Vorliegend bemühte sich der Beschwerdeführer mit der Beschwerde um eine fachgerichtliche Abhilfe durch das Landgericht, die sich für ihn angesichts der konkreten Umstände nicht ohne jede Erfolgsaussicht darstellte. Er hatte die zum Rechtsweg gehörende Anhörungsrüge (bzw. Gegenvorstellung) sowie die „(sofortige) Beschwerde“ zeitgleich erhoben, für die Begründung der Beschwerde die Entscheidung über die Anhörungsrüge abgewartet und unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Oktober 2015 - 2 BvR 2436/14 - dargelegt, dass er durch die Beschwerde den Anforderungen an die Rechtswegerschöpfung für eine Verfassungsbeschwerde genügen will. Dies wurde vom Landgericht in der Begründung der Beschwerdeentscheidung vom 18. Januar 2024 insoweit aufgegriffen, als es in den Gründen - zu Unrecht - darauf hinwies, dass die Kosten- und Auslagenentscheidung auch nicht auf Gegenvorstellung hin abänderbar sei.

Rz. 14

2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Das Amtsgericht hat mit der angegriffenen Auslagenentscheidung gegen Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Willkürverbot verstoßen.

Rz. 15

a) Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür zuständigen Gerichte und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen; ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt nur in seltenen Ausnahmefällen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 ≪127≫; stRspr). Ein Richterspruch verstößt nicht schon dann gegen das Verbot objektiver Willkür, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 ≪51≫), etwa wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 87, 273 ≪278 f.≫; 89, 1 ≪13 f.≫; 96, 189 ≪203≫; 112, 185 ≪216≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Mai 2024 - 2 BvR 1457/23 -, Rn. 11).

Rz. 16

Dieser aus Art. 3 Abs. 1 GG gewonnene materiell-verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab verlangt mit Rücksicht auf die Bindung des Richters an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) eine Begründung auch letztinstanzlicher Entscheidungen jedenfalls dann und insoweit, als von dem eindeutigen Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen werden soll und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den den Beteiligten bekannten und für sie ohne Weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt (vgl. BVerfGE 71, 122 ≪136≫). Dabei kann von einer willkürlichen Missdeutung des Inhalts einer Norm nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 ≪279≫; 89, 1 ≪13 f.≫; 96, 189 ≪203≫; stRspr).

Rz. 17

b) Nach diesen Maßstäben verletzt die angegriffene Auslagenentscheidung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Rz. 18

aa) Gemäß § 467 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG hat die nach Einstellung eines Bußgeldverfahrens zu treffende Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich dahingehend auszufallen, dass diese zulasten der Staatskasse gehen. Zwar kann oder muss hiervon in einigen gesetzlich geregelten Fällen abgesehen werden (§ 109a Abs. 2 OWiG, § 467 Abs. 2 bis 4 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG). Der Entscheidung des Amtsgerichts vom 7. September 2023 über die notwendigen Auslagen lässt sich jedoch nicht einmal im Ansatz entnehmen, aus welchem Grunde diese dem Beschwerdeführer auferlegt wurden. Sie enthält keinerlei Erwägungen, die ein Abweichen von der Regelung des § 467 Abs. 1 StPO rechtfertigen oder auch nur nachvollziehbar machen könnten. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich das Amtsgericht und in der Folge auch das Landgericht insoweit von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen.

Rz. 19

bb) Die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG waren hier nicht gegeben, denn dem Beschwerdeführer sind ersichtlich keine vermeidbaren Auslagen dadurch entstanden, dass er entlastende tatsächliche Umstände (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 2013 - 2 BvR 864/12 -, Rn. 23 m.w.N.) nicht rechtzeitig vorgebracht hatte. Der Beschwerdeführer als Betroffener eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens war nicht verpflichtet, auf den Anhörungsbogen, sollte dieser dem Beschwerdeführer überhaupt zugegangen sein, Angaben zu machen und den aus seiner Sicht tatsächlichen Fahrer der Ordnungswidrigkeit zu benennen.

Rz. 20

cc) Nach der Bestimmung des § 467 Abs. 4 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG kann ein Gericht davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es das Verfahren nach einer Vorschrift einstellt, die dies - wie § 47 Abs. 2 OWiG - nach seinem Ermessen zulässt. Dabei darf auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt, aber ohne prozessordnungsgemäße Feststellung keine Schuldzuweisung vorgenommen werden (vgl. BVerfGE 82, 106 ≪117≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2015 - 2 BvR 2436/14 -, Rn. 31).

Rz. 21

Das Amtsgericht hat seine Auslagenentscheidung weder im Beschluss vom 7. September 2023 begründet, noch die fehlende Begründung in seiner Entscheidung über die Gegenvorstellung und Anhörungsrüge des Beschwerdeführers vom 15. September 2023 nachgeholt. Das Fehlen der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung kann dazu führen, dass ein Verfassungsverstoß nicht auszuschließen und die Entscheidung deshalb aufzuheben ist, weil erhebliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. BVerfGE 55, 205 ≪206≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Februar 1993 - 2 BvR 251/93 -, juris, Rn. 4; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 -, Rn. 33 und vom 13. Oktober 2015 - 2 BvR 2436/14 -, Rn. 32).

Rz. 22

Solche nicht auszuräumenden Zweifel drängen sich hier auf. Da die angegriffenen Beschlüsse vom 7. und 15. September 2023 - ungeachtet der vom Beschwerdeführer rechtlich und tatsächlich in Abrede gestellten Verdachtslage - keine Hinweise auf die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte für eine vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO abweichende Kostentragung gemäß § 467 Abs. 4 StPO enthalten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht sich insoweit von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen und deshalb das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist.

Rz. 23

c) Ob der Beschwerdeführer durch die Auslagenentscheidung des Amtsgerichts zusätzlich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt ist, bedarf keiner Entscheidung. Er verfolgt mit seiner entsprechenden Rüge kein weitergehendes Anfechtungsziel.

Rz. 24

d) Nicht ersichtlich ist eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter. Der Beschwerdeführer legt keine Umstände dar, wonach der erkennende Richter nicht der nach dem gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan zur Entscheidung über die konkrete Rechtssache berufene Richter oder von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes (§§ 22, 23 StPO) ausgeschlossen gewesen sein soll. Ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit wurde im fachgerichtlichen Verfahren nicht gestellt.

V.

Rz. 25

Die angegriffene Auslagenentscheidung beruht auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie ist daher nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist insoweit an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 15. September 2023 und des Landgerichts vom 18. Januar 2024 werden damit gegenstandslos.

VI.

Rz. 26

Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫; BVerfGK 20, 336 ≪337 ff.≫).

Fundstellen

  • Haufe-Index 16652970
  • WM 2024, 2215
  • ZAP 2024, 1111
  • DAR 2025, 116
  • AGS 2025, 222
  • StRR 2025, 33
  • StRR 2024, 2
  • VRR 2024, 24

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