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BSG Urteil vom 24.11.1978 - 11 RA 9/78

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Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 25.05.1977; Aktenzeichen L 14/So 1/76)

SG Augsburg (Urteil vom 11.12.1975; Aktenzeichen S 12 Kr 51/75)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Mai 1977 und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. Dezember 1975 geändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
  • Die Anschlußrevision des Klägers wird zurückgewiesen.
  • Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
 

Tatbestand

I

Der im Dezember 1911 geborene aus der Tschechoslowakei heimatvertriebene Kläger hat im März 1935 das Hochschulstudium als Diplom-Kaufmann abgeschlossen. Er half danach in Gablonz im Immobilien- und Kreditvermittlungsbüro seines Vaters mit und war anschließend von September 1936 bis Mai 1938 bei einer Gesellschaft zur Leitung und Revision industrieller Anlagen (Stangenglas-Kartell), ab Mai 1937 als Leiter der Revisionsabteilung, angestellt. Von Oktober 1938 bis Oktober 1940 war der Kläger stellvertretender Leiter der innerhalb der Prüfstelle Metallwaren und verwandte Industriezweige des Reichswirtschaftsministeriums, Außenstelle Sudetenland, neu geschaffenen Vorprüfstelle Schmuckwarenindustrie. In dem Bescheid über die Wiederherstellung der Versicherungsunterlagen ordnete die Beklagte die Beitragszeiten vom 1. Januar 1939 bis zum 14. Oktober 1940 der Leistungsgruppe B 2 der Anlage 1 zu § 4 der Verordnung über die Feststellung von Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen bei verlorenen, zerstörten, unbrauchbar gewordenen oder nicht erreichbaren Versicherungsunterlagen (VuVO) zu; dem Widerspruch des Klägers mit dem Antrag, diese Zeiten der Leistungsgruppe B 1 zuzuordnen, half sie nicht ab ( Bescheid vom 20. August 1973, Widerspruchsbescheid vom 4. März 1974).

Der Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 11. Dezember 1975 stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) diese verpflichtet, nur die Zeit ab April 1940 der Leistungsgruppe B 1 zuzuordnen; die “weitergehende Klage” gegen die während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheide über die Gewährung von Altersruhegeld vom 6. Dezember 1976 und 24. Januar 1977, in denen die Beklagte die Zeit vom 1. Januar 1939 bis zum 14. Oktober 1940 wiederum der Leistungsgruppe B 2 zugeordnet hat, hat es abgewiesen (Urteil vom 25. Mai 1977). Nach Ansicht des LSG sind die Altersruhegeldbescheide gemäß § 96 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, weil sie die Einstufung der streitigen Zeit in dem Wiederherstellungsbescheid ersetzten. Unbeschadet des inzwischen durchgeführten Leistungsverfahrens bestehe gleichwohl noch das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers an der Abänderung dieses Bescheides. Würde er ihn rechtsverbindlich werden lassen, wäre die dortige Bewertung der betreffenden Zeit für die Ruhegeldbescheide bindend. Begründet sei die Berufung nur für die Zeit vor April 1940. Bis dahin habe der Kläger selbst unter Berücksichtigung seiner Vorbildung noch nicht die auch für die Leistungsgruppe B 1 zu fordernden “besonderen Erfahrungen” in der Leitung der Vorprüfstelle besessen. Damit stehe im Einklang, daß diese Stelle erst kurz zuvor eingerichtet und nur allmählich personal- und damit auch aufgabenmäßig auf einen Stand gebracht worden sei, der ihr die Erfüllung ihrer Funktion ermöglicht habe. Ab April 1940 könnten dem Kläger die besonderen Erfahrungen nicht mehr abgesprochen werden und seien auch die übrigen Voraussetzungen für die Einstufung in die Leistungsgruppe B 1 bei der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Prüfstelle und der Stellung des Klägers gegeben. Dahinstehen möge, ob aufgrund von § 52 der Sudeten-Verordnung vom 27. Juni 1940 (RGBl I 957) die Berufung auch für die Zeit vor April 1940 unbegründet sei, wie der Kläger meine; den Nachweis über seine damaligen Bezüge könne er nicht führen.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat auf die Beschwerde der Beklagten gegen das Urteil die Revision zugelassen, soweit das LSG die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat; die Beklagte hat die Revision eingelegt.

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil und das Urteil des SG Augsburg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Zur Begründung rügt sie eine Verletzung des § 4 VuVO. Das LSG habe das Merkmal der “besonderen Erfahrungen” aus der Leistungsgruppe B 2 entnommen und es ohne gesteigerte Anforderungen als Anspruchsvoraussetzung für die Leistungsgruppe B 1 verwendet. Damit sei das LSG von der Rechtsprechung des BSG abgewichen; hiernach werde für die Leistungsgruppe B 1 ein “hohes Maß an beruflichen Erfahrungen” gefordert. Das habe der Kläger damals nicht besessen. Er habe auch ab April 1940 immer noch eine verhältnismäßig kurze Berufspraxis gehabt; zudem fehle ein triftiger Anknüpfungsgrund gerade für diesen Zeitpunkt.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hat seinerseits Revision eingelegt und beantragt insoweit (sinngemäß),

das Urteil des LSG dahin zu ändern, daß die Berufung der Beklagten in vollem Umfang zurückgewiesen und sie verurteilt wird, auch bei der Festsetzung des Altersruhegeldes die Zeit vom 1. Januar 1939 bis zum 31. März 1940 der Leistungsgruppe B 1 der Anlage 1 zu § 4 VuVO zuzuordnen.

Er bittet, die Revision als Anschlußrevision zu behandeln, falls sie nicht für zulässig erachtet werden sollte. Zur Begründung der Revision meint er, das LSG habe verfahrensfehlerhaft nicht die Sudeten-Verordnung vom 27. Juni 1940 iVm der VuVO angewandt. Nach § 52 der Sudeten-Verordnung sei er in die Beitragsklasse G einzustufen gewesen, da sein monatlicher Arbeitsverdienst ab 1939 mehr als RM 300, -- betragen habe; diese Beitragsklasse entspreche der Leistungsgruppe B 1. Zwar könne er seine damaligen Bezüge nicht beweisen; aufgrund des Beitragsnachweises für die Zeit vor Januar 1939 und seiner sonstigen Beweismittel müsse dieser Verdienst jedoch als erwiesen unterstellt werden.

Die Beklagte hat zur Revision des Klägers keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

II

  • Die nach §§ 160a Abs 4 Satz 4, 164 SGG frist- und formgerecht eingelegte Revision der Beklagten ist auch im übrigen zulässig, sie erstreckt sich auf den Teil des LSG-Urteils, für den die Revision in dem Beschluß des BSG vom 15. Dezember 1977 nach § 160a Abs 4 Satz 2 SGG zugelassen worden ist. Dagegen ist die Revision des Klägers unzulässig (§ 160 Abs 1 SGG), weil sie sich auf den (anderen) Urteilsteil bezieht, für den eine Zulassung der Revision nicht erfolgt ist. Gleichwohl ist der Rechtsbehelf des Klägers nicht zu verwerfen. Denn seine (Revisions-) Schrift vom 24. Januar 1978 ist als Anschließung an die Revision der Beklagten zu verstehen. Die Vorschrift in § 556 der Zivilprozeßordnung (ZPO) über die Revisionsanschließung ist gemäß § 202 SGG im Verfahren nach dem SGG entsprechend anwendbar (BSGE 8, 24, 29; SozR Nrn 2, 3 und 4 zu § 556 ZPO); sie kommt hier um so eher in Betracht, als der Kläger im Schriftsatz vom 24. Januar 1978 selbst gebeten hat, seine Revision im Unzulässigkeitsfalle “als Anschlußrevision zu behandeln” (s. hierzu SozR Nr 3 aaO) und dieser Schriftsatz im übrigen den an eine Anschließung an die Revision der Beklagten zu stellenden Anforderungen hinsichtlich Form und Frist genügt.

    Der Umstand, daß für den Urteilsteil, gegen den die Anschlußrevision sich richtet, die Revision nicht zugelassen ist, wirkt sich auf die Zulässigkeit der Anschlußrevision nicht aus. Wie nämlich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) (Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 91) schon entschieden hat, ist bei einer Teilzulassung der Revision die Anschlußrevision auch insoweit zulässig, als mit ihr die Abänderung des von der Zulassung nicht erfaßten Teils des angefochtenen Urteils begehrt wird. Dem schließt der Senat sich an. Aus unterschiedlichem Verfahrensrecht herrührende Gründe stehen dem nicht entgegen; auch macht es keinen Unterschied, daß in dem vom BVerwG entschiedenen Fall das Berufungsgericht und nicht das Revisionsgericht die Teilzulassung der Revision ausgesprochen hat. An den Rechtsfolgen für eine Anschlußrevision ändert dies nichts.

  • Unterliegt hiernach das Urteil des LSG im gesamten Umfang der Nachprüfung durch den Senat, so sind Gegenstand der revisionsrichterlichen Prüfung nicht nur der im Verfahren zur Wiederherstellung der Versicherungsunterlagen ergangene Bescheid vom 20. August 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1974, sondern auch die im Leistungsverfahren erlassenen Altersruhegeldbescheide vom 6. Dezember 1976 und 24. Januar 1977. Das LSG hat sich auch mit diesen Bescheiden befaßt; es hat, wenngleich dies in seinem Urteilstenor nicht eindeutig zum Ausdruck kommt, die Altersruhegeldbescheide hinsichtlich der Zuordnung der streitigen Zeit vor April 1940 für rechtmäßig, im übrigen für rechtswidrig erachtet; damit hat es der “Klage” gegen diese Bescheide teilweise stattgegeben.

    Dabei ist das LSG davon ausgegangen, daß die während der Berufung ergangenen Altersruhegeldbescheide gemäß §§ 153 Abs 1, 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sind, “weil sie die Einstufung der streitigen Zeit in dem angefochtenen Verwaltungsakt ersetzen”. Dem schließt sich der erkennende Senat im Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung, an. Eine unmittelbare Anwendung von § 96 Abs 1 SGG kommt hier entgegen der Meinung des LSG nicht in Betracht. Nach § 96 Abs 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt dann Gegenstand des Verfahrens, wenn er den mit der Klage angefochtenen früheren Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Diese Feststellung ist durch Vergleich der in beiden Verwaltungsakten getroffenen Regelungen (der ergangenen “Verfügungssätze”) zu treffen. Im vorliegenden Fall sind jedoch zwei voneinander unabhängige Regelungen nebeneinander getreten. Der Wiederherstellungsbescheid hat in seiner Regelung Feststellungen über Versicherungszeiten getroffen; die Altersruhegeldbescheide haben dagegen die Rentenleistung nach Art, Beginn und Höhe geregelt; über Berechnungselemente wie die Bewertung von Versicherungszeiten ist darin gerade nicht selbständig entschieden worden.

    Gleichwohl war § 96 Abs 1 SGG jedoch entsprechend anzuwenden. Denn die (teilweise) Einbeziehung der Altersruhegeldbescheide in das laufende Berufungsverfahren über den Wiederherstellungsbescheid entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Das BSG hat die entsprechende Anwendbarkeit von § 96 Abs 1 SGG schon öfter bejaht. Es hält sie im wesentlichen unter zwei Voraussetzungen für geboten: Zum einen muß der neue Bescheid wenigstens den Streitstoff (den Prozeßstoff, das Prozeßziel) des bereits anhängigen Rechtsstreits beeinflussen bzw berühren, so daß immerhin ein innerer Zusammenhang besteht (SozR Nrn 12 und 14 zu § 96 SGG; BSGE 25, 161, 163; 34, 255, 257; SozR 3660 § 2 Nr 1; SozR 1500 § 96 Nrn 2 und 6); zum anderen muß der Grundgedanke des § 96 Abs 1 SGG die Einbeziehung des neuen Verwaltungsaktes rechtfertigen. Hierunter hat das BSG vor allem die sinnvolle Prozeßökonomie durch ein schnelles und zweckmäßiges Verfahren (auch die Verhütung abweichender gerichtlicher Entscheidungen zum alten und neuen Bescheid) und den Schutz des Betroffenen vor möglichen Rechtsnachteilen verstanden, wenn er im Vertrauen auf den schon eingelegten Rechtsbehelf weitere Schritte gegen den neuen Bescheid unterläßt (SozR Nrn 14 und 23 zu § 96 SGG; BSGE 5, 13, 16; 10, 103, 107; 11, 146, 147; 18, 31, 34; SozR 1500 § 96 Nr 6).

    Diese Erwägungen fordern auch hier die entsprechende Anwendung von § 96 Abs 1 SGG. Die im Wiederherstellungsbescheid für den zukünftigen Rentenfall getroffene – selbständige – Feststellung, welcher Leistungsgruppe bestimmte Beitragszeiten zuzuordnen seien, steht mit den Altersruhegeldbescheiden nämlich deshalb in einem sogar recht engen inneren Zusammenhang, weil sie sich auf die Höhe der Altersruhegeldleistung auswirkt. Mit der Durchführung des Leistungsverfahrens nach Eintritt des Versicherungsfalls hat die Feststellung der (streitigen) Berechnungselemente somit erst ihre eigentliche und zugleich aktualisierte Bedeutung erlangt; das Prozeßziel im anhängig gemachten Rechtsstreit wird somit gerade durch die Rentenbescheide wesentlich berührt. Es entspricht daher der Prozeßwirtschaftlichkeit, im selben Prozeß über die Altersruhegeldbescheide mitzubefinden, zumal dies hier die Beteiligten wollten: Der Kläger hatte vor dem LSG beantragt, die Beklagte zu verurteilen, auch bei der Rentenberechnung die Leistungsgruppe B 1 zugrunde zu legen; er hat danach offenbar Rechtsmittel gegen die Altersruhegeldbescheide nicht betrieben; die Beklagte ist dieser “erweiterten Klage” allein aus sachlichen Gründen entgegengetreten.

    Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob § 96 Abs 1 SGG in vergleichbaren Fällen auch dann entsprechend anzuwenden wäre, wenn dies dem Willen der Beteiligten widerspricht. So könnte für eine entsprechende Anwendung kein Raum sein, wenn sich die Beklagte bereit erklärt, bei Erfolg des Klägers im Wiederherstellungsstreit den Rentenbescheid später rückwirkend zu korrigieren oder wenn ein Kläger den Rentenbescheid noch aus anderen Gründen beanstandet und nicht durch seine Einbeziehung in ein Berufungsverfahren die Nachprüfung im Widerspruchsverfahren und in der ersten Tatsacheninstanz einbüßen möchte. Für die unmittelbare Anwendung des § 96 Abs 1 SGG hat die Rechtsprechung dem betroffenen Kläger zwar nur das Recht zugestanden, auf die Einbeziehung in das Verfahren zu verzichten. Bei der entsprechenden Anwendung wären die Befugnisse des Klägers demgegenüber möglicherweise im Sinne eines Wahlrechts zwischen der Einbeziehung des neuen Bescheides oder seiner Anfechtung mit den an sich vorgesehenen Rechtsbehelfen zu erweitern. Diese Fragen können jedoch im vorliegenden Rechtsstreit dahingestellt bleiben, da hier keine Umstände der genannten Art gegeben sind, die eine entsprechende Anwendung des § 96 Abs 1 SGG ausschließen könnten.

    Im Hinblick auf die infolge mittelbarer Anwendung von § 96 Abs 1 SGG erfolgte Einbeziehung der Altersruhegeldbescheide in das Verfahren ist hier dann allerdings zu prüfen, ob nun noch ein Rechtsschutzinteresse des Klägers an der Änderung des Wiederherstellungsbescheides besteht. Mit dem LSG ist dies jedoch zu bejahen. Würde nach Einbeziehung der Altersruhegeldbescheide das Interesse des Klägers an der Anfechtung und Änderung des Wiederherstellungsbescheides verneint, dann müßte die im damaligen Bescheid getroffene Feststellung über die streitigen Versicherungszeiten als bindend betrachtet werden (§ 77 SGG). Das hätte zur Folge, daß die damalige Zuordnung der streitigen Zeit auch bei der Nachprüfung der Altersruhegeldbescheide bindend bliebe, so daß der Kläger sein eigentliches Ziel einer ihm günstigeren (späteren) Rentenberechnung nicht erreichen könnte. Dies bestätigt aber das weiterhin bestehende Bedürfnis des Klägers an der Änderung des Wiederherstellungsbescheides.

  • In der Sache ist die Revision der Beklagten von Erfolg.

    Da im Sudetenland in der streitigen Zeit das reichsrechtliche Sozialversicherungsrecht eingeführt war (s. VO über die vorläufige Durchführung der Reichsversicherung in den Sudeten-deutschen Gebieten vom 12. Oktober 1938 – RGBl I 1437; VO über die endgültige Regelung der Reichsversicherung in den ehemaligen tschechoslowakischen, dem Deutschen Reich angegliederten Gebieten vom 27. Juni 1940 – Sudeten-VO –, RGBl I 957), bildet die VuVO die Rechtsgrundlage für die Beurteilung der nachzuprüfenden Bescheide; daß die betreffenden Versicherungsunterlagen des Klägers verlorengegangen sind (§ 1 Abs 1 Satz 2 VuVO), hat das LSG wohl nach den Fallumständen bejaht. Das Wiederherstellungsverfahren richtet sich somit nach § 11 Abs 1 iVm § 4 Abs 1 Buchst b VuVO; im Leistungsverfahren handelt es sich um die Zuordnung von Zeiten gemäß § 4 Abs 1 Buchst b; dabei ist davon auszugehen, daß – was § 4 Abs 1 VuVO voraussetzt – weder das Entgelt noch die Höhe der aufgrund der versicherungspflichtigen Beschäftigung entrichteten Beiträge nachgewiesen ist. Hiernach kommt es bei Heranziehung der Tabelle der Anlage 6 darauf an, in welche der Leistungsgruppen der Anlage 1 der Kläger einzustufen ist. Dabei ist dem LSG nicht zu folgen, soweit es den Kläger für die Zeit ab April 1940 in die Leistungsgruppe B 1 eingeordnet hat.

    Nach der Definition der Leistungsgruppe B 1 der Anlage 1 zu § 4 VuVO gehören zu ihr “Angestellte in leitender Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis”. Diese Merkmale stimmen wörtlich mit denen der Leistungsgruppe B 1 der Anlage 1 zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) überein. Zu der Definition der Leistungsgruppe B 1 dieser Anlage liegt eine gefestigte Rechtsprechung des BSG vor (BSGE 24, 113, 115; SozR Nr 3 zu § 22 FRG; SozR 5050 § 22 Nrn 1 und 2; Urteile vom 14. September 1976 – 11 RA 120/75 und vom 3. Februar 1977 – 11 RA 24/76); sie ist auf die Leistungsgruppe B 1 nach der VuVO ohne weiteres übertragbar. Danach ist die Defition der Leistungsgruppe B 1 nicht erschöpfend. Daß und warum sie noch besondere Erfahrungen voraussetzt, ist schon in BSGE 24 aaO ausgeführt; die spätere Rechtsprechung hat dieses Erfordernis noch betont und präzisiert. Erforderlich ist hiernach ein hohes Maß an beruflichen Erfahrungen über die für die Leistungsgruppe B 2 verlangten “besonderen Erfahrungen” hinaus. Diese notwendige berufliche Erfahrung wird auch von einem Versicherten mit abgeschlossener Hochschulbildung im allgemeinen nicht vor der Vollendung des 45. Lebensjahres erreicht, es sei denn, er hätte zuvor schon berufliche Positionen innegehabt, die ihn aus den allgemeinen Positionen seiner Berufskollegen deutlich herausgehoben haben; dies muß objektiv feststellbar und evident sein (BSG, Urteil vom 3. Februar 1977).

    Daß der Kläger solche Erfahrungen von April 1940 an gehabt habe, ist aus den – nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden – tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Er war damals 29 Jahre alt und hatte die Tätigkeit als stellvertretender Leiter der kurz vor seinem Eintritt überhaupt erst geschaffenen Vorprüfstelle im Oktober 1988 übernommen. Ist sonach schon das in der Regel erforderliche Mindestalter weit unterschritten und fehlt es auch an der genügenden Anzahl von “Dienstjahren”, so war der davorliegende berufliche Werdegang des Klägers obendrein nicht außergewöhnlich. Denn er hatte nach dem Studiumsabschluß zunächst im Büro seines Vaters, ab September 1936 als Angestellter in einer Gesellschaft zur Leitung und Revision industrieller Organisationen gearbeitet, die letzten ca. achtzehn Monate als Leiter der Revisionsabteilung. Berufliche Positionen, die sich deutlich gegenüber den Positionen seiner Berufskollegen hervorhoben, hatte der Kläger damit weder vor noch in der streitigen Zeit inne; weder ist dies festgestellt noch evident. Ist aber das hohe Maß an beruflichen Erfahrungen schon nicht vorhanden, dann sind die übrigen Definitionsmerkmale der Leistungsgruppe B 1 nicht mehr zu erörtern (SozR Nr 4 zu § 22 FRG; BSG, Urteile vom 20. September 1973 – 11 RA 20/73 und vom 7. September 1977 – 11 RA 92/76). Deshalb kann offenbleiben, ob den Ausführungen des LSG zur Frage der Dispositionsbefugnis des Klägers ausreichende tatsächliche Feststellungen zugrunde liegen.

  • Die Anschlußrevision des Klägers ist nicht begründet. Daß die erforderlichen qualifizierten Erfahrungen bereits in der Zeit von Januar 1939 bis März 1940 vorgelegen hätten, wird von der Revision selbst nicht behauptet; tatsächliche Feststellungen, die einen solchen Schluß erlaubten, sind nicht vorhanden. Ist die Einstufung in die Leistungsgruppe B 1 über die §§ 11 Abs 1, 4 Abs 1 Buchst b VuVO sonach nicht möglich, so läßt sich auch über § 52 der Sudeten-VO vom 27. Juni 1940 kein entsprechendes Ergebnis erzielen. Wenn der Kläger die Zugrundelegung von Beiträgen der Klasse G unmittelbar aus der Beitragsentrichtung herleiten will, dann muß die Entrichtung der betreffenden Beiträge nachgewiesen werden; hierzu dient nach § 133 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) – in erster Linie – die Versicherungskarte. Dafür, daß für den Kläger ab 1939 Beiträge der Beitragsklasse G entrichtet worden sind, liegt indessen kein Nachweis vor. Das LSG hat keine dahingehende Feststellung getroffen; bei Prüfung des § 4 VuVO ist es gerade von einem fehlenden Nachweis ausgegangen. Hiergegen hat der Kläger keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben. Sein tatsächliches Vorbringen in der Revisionsinstanz kann daher insoweit nicht berücksichtigt werden.

Nach alledem war, wie geschehen, zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 168

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