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BGH Urteil vom 25.09.1989 - II ZR 304/88

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Orientierungssatz

1. Da die Willensbildung in einer GmbH kraft Gesetzes (GmbHG § 47 Abs 1) dem Mehrheitsprinzip folgt, muß sich ein gewolltes Einstimmigkeitsprinzip für die Beschlußfassung der Gesellschafter aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben.

2. Sieht der Gesellschaftsvertrag einer GmbH keine qualifizierte Mehrheit vor, so ist die Abberufung des Geschäftsführers, den ein Gesellschafterstamm bestimmt hatte, mit der einfachen Mehrheit der Mitglieder dieses Stammes möglich.

 

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. November 1988 aufgehoben und das Urteil der VI. Ferienkammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld vom 17. Juli 1987 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Abberufung als Geschäftsführer der Beklagten.

Das Gesellschaftskapital der Beklagten in Höhe von nunmehr 60.000– DM wird gemäß § 5 der Satzung vom 1. Juni 1977 zu 50 % vom Stamm Sp (vormals Stamm E) und zu 50 % vom Stamm M gehalten. Der Stamm Sp besteht z.Zt. nur aus dem Geschäftsführer Sp, der 30.000,– DM des Kapitals hält. Am Stamm M sind der Kläger mit einem Geschäftsanteil in Höhe von 9.000,– DM, seine Ehefrau in Höhe von 1.000,– DM, seine Mutter, Frau H M, in Höhe von 16.000,– DM und seine Schwester, Frau A K, in Höhe von 4.000,– DM beteiligt.

Gemäß § 12 Abs. 4 der Satzung haben die Gesellschafterstämme Sp und M jeder für sich das Recht, einen Geschäftsführer der Gesellschaft zu bestimmen. Neben der Abberufung aus wichtigem Grund steht jedem der beiden Gesellschafterstämme für sich das Recht zu, den von ihm bestimmten Geschäftsführer abzuberufen. Nach § 12 Abs. 5 der Satzung hat die Gesellschafterversammlung den von einem Gesellschafterstamm zur Abberufung bestimmten Geschäftsführer unverzüglich abzuberufen. Der andere Gesellschafterstamm ist insoweit verpflichtet, einer solchen Beschlußfassung zuzustimmen. Gemäß § 6 Abs. 3 der Satzung können die Gesellschafterstämme die ihnen eingeräumten Rechte nur gemeinschaftlich und einheitlich ausüben, und zwar durch einen gemeinsamen Bevollmächtigten.

Zwischen dem Kläger und Sp kommt es seit Jahren zu erheblichen Spannungen. In der Gesellschafterversammlung vom 9. September 1985 wurde der Kläger gegen seine Stimmen und die seiner Ehefrau mit den Stimmen der Gesellschafter Sp, H M und A K abberufen. Das geschah wegen seiner Abberufung durch den eigenen Stamm als Stammesgeschäftsführer, ferner aus wichtigem Grund sowie außerdem wegen Fehlens der charakterlichen und persönlichen Eignung. Der Kläger hält diesen Beschluß für nichtig. Das Landgericht hat der auf Nichtigerklärung des Beschlusses gerichteten Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihr Ziel, die Klage abzuweisen, weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das Berufungsgericht hält die auf § 12 Abs. 4 und 5 der Satzung gestützte Abberufung für unwirksam, weil der Stamm M den Kläger entgegen § 6 Abs. 3 der Satzung nicht einstimmig abberufen habe. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg.

Die Willensbildung in der GmbH folgt kraft Gesetzes dem Mehrheitsprinzip (§ 47 Abs. 1 GmbHG). Diese gesetzliche Regel ist allerdings abdingbar; sie kann insbesondere durch das Einstimmigkeitsprinzip ersetzt werden. Auch in einer Gesellschaft mit personalistischem Zuschnitt spricht aber keine Vermutung für die Einführung des Einstimmigkeitsprinzips. Auch hier gilt die Regel, daß Abweichungen vom Mehrheitsprinzip nur bei eindeutigen Anhaltspunkten im Gesellschaftsvertrag eingreifen (vgl. Scholz/Westermann, GmbHG 7. Aufl. Einl. 15; § 47 Rdnr. 8). Solche eindeutigen Anhaltspunkte fehlen hier.

Ob der Gesellschaftsvertrag für die Abberufung des Klägers das Einstimmigkeitsprinzip für den Stamm M vorsieht, hat der Senat selbständig zu prüfen. Dabei sind Bestimmungen der Satzung, die nicht nur individualrechtlichen, sondern körperschaftlichen Charakter haben und sich als solche an einen unbestimmten Personenkreis, insbesondere auch an die Gesellschaftsgläubiger und die künftigen Gesellschafter richten, einheitlich und gleichmäßig allein aufgrund des Gesellschaftsvertrages auszulegen. Das bedeutet kein Haften am Wortlaut, sondern schließt im Rahmen der beurkundeten Vertragsbestimmungen deren sinnvolle, Zusammenhang und erkennbaren Zweck mit berücksichtigende Auslegung entsprechend den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB ein. Bei der Auslegung außer Betracht zu bleiben haben Umstände, die außerhalb der Vertragsurkunde liegen und nicht allgemein erkennbar sind; dazu gehören die Entstehungsgeschichte der Satzung, Vorentwürfe sowie Vorstellungen und Zußerungen von Personen, die an der Abfassung des Gesellschaftsvertrages mitgewirkt haben (vgl. etwa Sen.Urt. v. 24. Januar 1974 – II ZR 65/72, WM 1974, 372, 373; v. 20. Januar 1983 – II ZR 243/81, WM 1983, 334). Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt auch für personalistische oder Familiengesellschaften, schon weil bei ihnen der spätere Beitritt anderer Gesellschafter ebenfalls niemals ausgeschlossen werden kann (vgl. Sen.Urt. v. 16. Februar 1981 – II ZR 89/79, WM 1981, 438 f.).

Diese Auslegung ergibt, daß § 6 Abs. 3 der Satzung, der körperschaftlichen Charakter hat, keine Einstimmigkeit innerhalb der Stämme verlangt.

Nach § 6 Abs. 1 und 2 der Satzung werden die beiden Gesellschafterstämme jeweils von allen Gesellschaftern gebildet, die ihre Beteiligung unmittelbar oder mittelbar von dem jeweiligen Stamm ableiten, sei es durch Übertragung zu Lebzeiten oder von Todes wegen. Diese Regelung birgt die Gefahr in sich, daß sich die Zahl der Gesellschafter ständig erhöht. Diese können dem Unternehmen fremd gegenüberstehen und ihre Interessen und Ansprüche ohne ausreichende Sachkenntnis zu verfolgen suchen, aber kapitalmäßig möglicherweise nur gering beteiligt sein. Den hierin liegenden Gefahren vorzubeugen, ist der Sinn der in § 6 Abs. 3 der Satzung getroffenen Regelung. Alle Gesellschafter eines Stammes sollen mit einer Stimme sprechen, und alle sollen dabei vertreten sein. Ob innerhalb des Stammes das Mehrheits- oder Einstimmigkeitsprinzip gilt, ist damit aber noch nicht entschieden. Soll ein einstimmiger Beschluß erforderlich sein, muß sich dies aus der Satzung der GmbH besonders ergeben. Die Satzung der Beklagten vom 1. Juni 1977 bietet für eine derart weitreichende Regelung, die bei Zerwürfnissen unter den Gesellschaftern eines Stammes dazu führen kann, daß wichtige Entscheidungen nicht getroffen werden können, keinen Anhalt. Deshalb gilt das Mehrheitsprinzip.

Die Entscheidung über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer konnte, da der Gesellschaftsvertrag keine qualifizierte Mehrheit vorsieht, durch den Stamm M mit einfacher Mehrheit erfolgen (§ 47 Abs. 1 GmbHG). Da es bei der Abberufung nach § 12 Abs. 4 der Satzung nicht um eine Abberufung aus wichtigem Grund geht, konnte der Kläger mitstimmen (vgl. Sen.Urt. v. 26. März 1984 – II ZR 120/83, WM 1984, 1313, 1314; Scholz/K. Schmidt, GmbHG 7. Aufl. § 47 Rdnr. 118 und § 46 Rdnr. 76 je mwN.).

Die einfache Mehrheit für die Abberufung des Klägers wurde im Stamm M bei der Abstimmung am 9. September 1985 erreicht. Den maßgeblichen Nominalanteilen (§ 47 Abs. 2 GmbHG) des Klägers und seiner Ehefrau in Höhe von 10.000,– DM, standen Anteile der für die Abberufung des Klägers stimmenden Gesellschafter H M und A K im Nominalwert von 20.000,– DM gegenüber.

Damit stand dem Stamm M das Recht zu, die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer zu verlangen. Dies hat der Stamm M in der Gesellschafterversammlung vom 9. September 1985 getan. Der Stamm Sp hat dem zugestimmt. Damit war die Abberufung wirksam.

Daß sich der Stamm M in der Gesellschafterversammlung vom 9. September 1985 nicht – wie in § 6 Abs. 3 der Satzung vorgesehen – durch einen gemeinsamen Bevollmächtigten hat vertreten lassen, ist unschädlich. Selbst wenn die Gesellschafter des Stammes M vorher gesondert abgestimmt und einen gemeinsamen Bevollmächtigten beauftragt hätten, ihre Rechte in der Gesellschafterversammlung wahrzunehmen, wäre das Ergebnis nicht anders ausgefallen. Der Bevollmächtigte hätte den Mehrheitsbeschluß der Gesellschafter des Stammes M, den Kläger als Stammesgeschäftsführer abzuberufen, der Gesellschafterversammlung vortragen und der Stamm Sp hätte dem zustimmen müssen.

Demnach war auf die Rechtsmittel der Beklagten die Klage abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 649100

GmbHR 1990, 75

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