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BGH Urteil vom 16.01.1996 - XI ZR 151/95 (veröffentlicht am 16.01.1996)

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Leitsatz (amtlich)

Der Darlehensgeber braucht einen zur Übernahme der Mithaftung bereiten Dritten grundsätzlich nicht über die Risiken aufzuklären, von denen er annehmen darf, daß sie dem Dritten bekannt sind.

 

Normenkette

BGB §§ 276, 607

 

Verfahrensgang

KG Berlin

LG Berlin

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 11. April 1995 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 7. Dezember 1993 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten den Teilbetrag von 10.500 DM eines sogenannten Eigenkapitalhilfedarlehens, das sie dem inzwischen geschiedenen Ehemann der Beklagten gewährt hat. Dem liegt im wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin vergibt als Anstalt des öffentlichen Rechts nach den Richtlinien des Bundesministers für Wirtschaft vom 24. Dezember 1988 Eigenkapitalhilfedarlehen an Existenzgründer. Der Ehemann der Beklagten bemühte sich um ein solches Darlehen, weil er – gemeinsam mit zwei weiteren Gesellschaftern – die 0. GmbH aufbauen wollte, um Import von Telekommunikationsmitteln zu betreiben. Die Kreditverhandlungen führte er mit der Klägerin aber seine Hausbank, die Kreissparkasse 5. Am 9. Juli 1991 schloß die Klägerin mit ihm einen schriftlichen Darlehensvertrag Ober ein Eigenkapitalhilfedarlehen in Höhe von 22.500 DM. Die Beklagte übernahm in diesem Vertrag als Ehefrau „die gesamtschuldnerische Mithaftung für alle Verpflichtungen des Darlehensnehmers”. Der Darlehensbetrag wurde weisungsgemäß an die G. GmbH ausgezahlt. Nachdem die GmbH im April 1992 aufgelöst worden war und damit die Voraussetzungen für das Förderungsdarlehen entfallen waren, kündigte es die Klägerin fristlos.

Die Beklagte hat u.a. die Auffassung vertreten, daß sie zur Rückzahlung des ihrem Ehemann gewährten Darlehens deshalb nicht verpflichtet sei, weil die Klägerin sie nicht hinreichend Ober das Haftungsrisiko aufgeklärt habe. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet: sie führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

I.

Das Berufungsgericht hat einen Rückzahlungsanspruch der Klägerin verneint. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Zwar verstoße die Mithaftungsverpflichtung der Beklagten nicht gegen die guten Sitten im Sinne des § 138 BGB. Die Beklagte könne aber die Rückgängigmachung des Vertrages wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen verlangen, da die Klägerin ihrer Aufklärungspflicht nicht nachgekommen sei. Der Angestellte A. der Kreissparkasse S., der für die Klägerin die Verhandlungen geführt habe und dessen Verhalten sie sich mithin zurechnen lassen müsse, habe die Beklagte nicht aber das besondere Haftungsrisiko bei der Gewährung eines Eigenkapitalhilfedarlehens belehrt. Er sei davon ausgegangen, daß die Beklagte und ihr damaliger Ehemann, gewußt hätten, auf was sie sich einließen, nachdem ihnen die Verträge nebst Bedingungen zugeschickt worden seien. Die Überlassung schriftlicher Unterlagen, aus denen der Empfänger die erforderlichen Kenntnisse entnehmen könne, genüge der Aufklärungspflicht hier aber nicht. Das von der Klägerin gewährte Darlehen habe eigenkapitalersetzenden Charakter und partizipiere an der Verwertung des Betriebsvermögens nachrangig, so daß im Falle der Kündigung nennenswerte Erlöse zur Rückführung des Darlehens nur aus dem Privatvermögen des Darlehensnehmers und seines Ehegatten zu erzielen seien. Der Umstand, daß das Vermögen des Betriebes, für dessen Errichtung das Darlehen gewährt werde, als „Haftungsmasse” praktisch nicht zur Verfügung stehe, sei so wesentlich für die Entscheidung. die Mithaftung für ein solches Darlehen zu übernehmen, daß dies dem mitverpflichteten Ehegatten vor Augen geführt werden müsse.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft eine der Klägerin gegenüber der Beklagten obliegende Aufklärungspflicht bejaht.

1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts: Die Klägerin wäre gehindert, die Beklagte aus der Schuldmitübernahme in Anspruch zu nehmen, wenn diese Erklärung aufgrund eines vorangegangenen Verschuldens der Klägerin bei den Vertragsverhandlungen abgegeben worden wäre (vgl. z.B. Senatsurteil vom 30. Mai 1995 – XI ZR 180/94 = WM 1995, 1306). Das trifft jedoch nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt nicht zu.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs braucht der Gläubiger einer Darlehensschuld den zur Mithaftung bereiten Dritten grundsätzlich nicht aber das ihn betreffende Risiko aufzuklären; denn er kann davon ausgehen, daß der Mithaftende die rechtliche Tragweite der von ihm abgegebenen Erklärungen und insbesondere das von ihm übernommene wirtschaftliche Risiko kennt (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 1989 – III ZR 236/88 = WM 1990, 59, 61; BGH, Urteil vom 17. März 1994 – IX ZR 174/93 = NJW 1994, 2146, 2148 m.w.Nachw., zur Bürgschaft).

Ausnahmsweise kann eine Pflicht zur Aufklärung dann bestehen, wenn der Gläubiger erkennt, daß der Mithaftende sich über die Tragweite seiner Erklärung irrt, insbesondere wenn er davon ausgehen muß, daß der zur Mithaft bereite Dritte nicht hinreichend informiert ist und die Verhältnisse nicht durchschaut. Derartige Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Die Klägerin durfte bei der Beklagten ausreichende Kenntnisse der wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Ehemannes voraussetzen (vgl. Brandner ZHR 153 (1989), 147, 150). Die Beklagte macht selbst nicht geltend, daß bei ihr insoweit ein Aufklärungsbedürfnis bestanden habe. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts mußte die Klägerin die Beklagte deshalb nicht ausdrücklich darauf hinweisen, daß weitere Kreditsicherheiten nicht zur Verfügung standen, insbesondere daß das Vermögen des Betriebes, zu dessen Errichtung der Kredit gewährt wurde, als Haftungsmasse praktisch ausschied. Dies mußte der Beklagten aufgrund der ihr bekannten wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Ehemannes auch ohne diesen Hinweis bewußt sein. Nach ihrem eigenen Vorbringen kann nicht davon ausgegangen werden, daß sie damit rechnete, zur Erfüllung der Rückzahlungspflicht könne auf das Vermögen der G. GmbH zurückgegriffen werden.

Das wirtschaftliche Risiko der Beklagten – wie es sich letztlich auch verwirklicht hat – lag im wesentlichen darin, daß die von ihrem Ehemann beabsichtigte Existenzgründung scheiterte und auch dieser zur Darlehensrückzahlung nicht in der Lage sein würde. Dieses Risiko lag auf der Hand und war der Beklagten bewußt; denn sie erklärte sich – wie tatrichterlich festgestellt – nach anfänglicher Weigerung zur Mithaft bereit, nachdem sie darauf hingewiesen worden war, daß andernfalls der Darlehensvertrag mit ihrem Ehemann nicht zustande komme, und ihr ausdrücklich bedeutet worden war, daß sie das Darlehen zurückzahlen müsse, wenn ihr Ehemann seiner Verpflichtung nicht nachkomme.

3. Da weitere Feststellungen nicht mehr erforderlich sind, konnte der Senat nach § 565 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden und das landgerichtliche Urteil wiederherstellen.

 

Unterschriften

Schimansky, Dr. Halstenberg, Dr. Schramm, Dr. Siol, Dr. Bungeroth

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 16.01.1996 durch Wrede Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 609820

BB 1996, 605

NJW 1996, 1206

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1996, 499

ZBB 1996, 141

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