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BFH Urteil vom 22.02.1978 - VII R 86/77

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Leitsatz (amtlich)

1. Auch die Erteilung von Unterricht über das Steuerrecht und über seine Anwendung ist eine Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens i. S. des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG.

2. Eine "praktische" Tätigkeit i. S. des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG ist eine solche, bei der das theoretische Wissen, das der Bewerber bei der durch § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b StBerG umschriebenen allgemeinen und beruflichen Vorbildung erworben hat, angewandt wird.

 

Normenkette

StBerG § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war nach dem Besuch einer zweijährigen Handelsschule und dem erfolgreichen Abschluß einer Lehre im steuerberatenden Beruf 9 Jahre und 6 1/2 Monate lang bei Steuerbevollmächtigten als Steuergehilfin und als Bilanzbuchhalterin hauptberuflich beschäftigt. Dann war sie vom 15. März 1973 bis zum 31. Dezember 1975 und vom 1. Mai 1976 bis zum 15. September 1976 bei einem Repetitor für Steuerrecht, Buchführung und Bilanzen angestellt und damit betraut, Klausuren und Fernunterrichtssendungen zu korrigieren und fachlich zu überarbeiten. Im Februar 1974 legte sie die Steuerbevollmächtigtenprüfung ab, verzichtete jedoch auf die Bestellung als Steuerbevollmächtigte.

Den Antrag der Klägerin vom Mai 1977, sie zur Steuerberaterprüfung zuzulassen, lehnte der Zulassungsausschuß beim Beklagten und Revisionskläger (Ministerium der Finanzen -FinMin -) durch Bescheid vom 3. August 1977 mit der Begründung ab, sie sei nicht gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG i. d. F. vom 4. November 1975 (BGBl I 1975, 2735) 10 Jahre hauptberuflich auf dem Gebiet des Steuerwesens praktisch tätig gewesen; ihre Tätigkeit bei dem Repetitor sei keine praktische Tätigkeit in diesem Sinne.

Mit der hiergegen erhobenen Klage beantragte die Klägerin, unter Aufhebung des Bescheides vom 3. August 1977 das FinMin zu verpflichten, sie zur Steuerberaterprüfung zuzulassen.

Das Niedersächsische FG gab der Klage durch Urteil vom 31. August 1977 IV 252/77 (EFG 1978, 44) mit folgender Begründung statt:

Die Klägerin erfülle unstreitig die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b StBerG und sei während ihrer 9 Jahre und 6 1/2 Monate umfassenden Beschäftigung bei den Steuerbevollmächtigten i. S. des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG hauptberuflich auf dem Gebiet des Steuerwesens praktisch tätig gewesen. Als eine solche hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens sei aber auch ihre Arbeit bei dem Repetitor anzusehen, so daß die Forderung nach einer 10jährigen Tätigkeit i. S. des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG erfüllt sei. Die Klägerin sei bei dem Repetitor mit der Korrektur und der Ausarbeitung von Arbeiten im Bilanz-, Einkommen- und Umsatzsteuerrecht beschäftigt gewesen, wobei ihre Arbeitszeit und Arbeitskraft voll beansprucht worden seien. Es habe sich auch um eine praktische Tätigkeit i. S. des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG gehandelt. Der BFH habe in seinem zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 StBerG a. F. ergangenen Urteil vom 3. März 1970 VII R 79/68 (BFHE 99, 1, BStBl II 1970, 504) aus dem Wort "praktisch" geschlossen, daß der Bewerber bei der Person oder Gesellschaft, die nach § 107 a der Reichsabgabenordnung (AO) a. F. zur Hilfeleistung befugt sei, auch in nennenswertem Umfang Hilfe in Steuersachen (für Dritte) geleistet haben müsse. Verstehe man das Wort "praktisch" in diesem Sinne, so sei eine derartige Tätigkeit im allgemeinen nur als Mitarbeit im steuerberatenden Beruf denkbar. Es liege daher nahe, das Wort "praktisch" in § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG nur auf die Mitarbeit von 5 Jahren bei einer in § 58 StBerG bezeichneten Person, Gesellschaft oder Einrichtung zu beziehen - obwohl sich das aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht klar ergebe -. Selbst wenn das Wort "praktisch" auf die gesamte 10jährige Tätigkeit zu beziehen sei, könne die Tätigkeit der Klägerin bei dem Repetitor als eine praktische angesehen werden, nämlich als die aktive Ausübung eines Berufes im Gegensatz zum Besuch einer Fachschule oder eines Lehrgangs. Auch ein Lehrer oder Korrektor übe in diesem Sinne eine praktische Berufstätigkeit aus.

Diese Auffassung widerspreche nicht dem Sinn der gesetzlichen Vorschrift. Durch das Erfordernis der Mitarbeit in einem steuerberatenden Beruf von 5 Jahren sei sichergestellt, daß der Bewerber genügend Möglichkeiten habe, i. S. einer Beratertätigkeit Hilfe in Steuersachen für Dritte zu leisten.

Mit der Revision macht das FinMin geltend: Das FG-Urteil beruhe auf einer Verletzung des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG, weil das FG die Tätigkeit der Klägerin als Korrektorin bei dem Repetitor als praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens anerkannt habe. Aufgrund des Gesetzeswortlauts, wonach nicht irgendeine hauptberufliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens, sondern ausdrücklich eine praktische verlangt werde, aber auch im Hinblick auf den Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung verträten die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder übereinstimmend die Auffassung, daß nur Tätigkeiten in der steuerlichen Praxis, nicht dagegen solche bei der theoretischen Vermittlung steuerlicher Kenntnisse anrechnungsfähig seien.

Das FinMin beantragt, das FG-Urteil aufzuheben.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat zu Recht den Bescheid des FinMin vom 3. August 1977 aufgehoben und ausgeführt, daß die Klägerin zur Steuerberaterprüfung zuzulassen ist.

Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des FG an, daß die Klägerin nicht nur die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b StBerG, sondern auch die des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG erfüllt hatte, als sie im Mai 1977 beim FinMin beantragte, zur Steuerberaterprüfung zugelassen zu werden. Die Klägerin war gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG 10 Jahre hauptberuflich auf dem Gebiet des Steuerwesens, davon mindestens 5 Jahre als Mitarbeiterin einer in § 58 StBerG bezeichneten Person praktisch tätig, nämlich 9 Jahre und 6 1/6 Monate als Steuergehilfin und als Bilanzbuchhalterin bei Steuerbevollmächtigten und im übrigen als Angestellte eines Repetitors für Steuerrecht, Buchführung und Bilanzen. Auch ihre in dieser Eigenschaft ausgeübte Tätigkeit, nämlich die Korrektur und Überarbeitung von Klausuren und Fernunterrichtssendungen auf dem Gebiete des Steuerrechts, war i. S. des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG eine hauptberufliche praktische Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens.

Der Begriff "Steuerwesen" umfaßt den des "Steuerrechts" (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juli 1966 VII 48/64, BFHE 86, 460, BStBl III 1966, 569). Der Begriff der Tätigkeit "auf dem Gebiet des Steuerwesens" ist weit auszulegen und umfaßt sogar Tätigkeitsbereiche, die nur mittelbar das Steuerrecht betreffen (vgl. BFH-Urteile VII 48 64 und vom 12. November 1974 VII R 112/73, BFHE 114, 310, BStBl II 1975, 313). Daher ist auch die Erteilung von Unterricht über das Steuerrecht und über dessen Anwendung eine Tätigkeit "auf dem Gebiet des Steuerwesens" i. S. des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG. Hauptberuflich war die Tätigkeit der Klägerin bei dem Repetitor, weil sie ihre Arbeitszeit und Arbeitskraft nach den Feststellungen des FG voll beanspruchte (vgl. BFH-Urteil VII R 112/73).

Eine "praktische" Tätigkeit i. S. des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG ist eine solche, bei der das theoretische Wissen, das der Bewerber bei der durch § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b StBerG umschriebenen allgemeinen und beruflichen Vorbildung erworben hat, angewandt wird. Mehr kann aus dem im Gesetz verwendeten Wort "praktisch" hier nicht hergeleitet werden, insbesondere nicht die Forderung, das Wissen müsse im Rahmen der Steuerberatung angewandt werden. Denn das Gesetz gebraucht den Begriff "praktisch" nicht nur für die mindestens 5jährige Tätigkeit "als Mitarbeiter einer in § 58 bezeichneten Person, Gesellschaft oder Einrichtung", die von der Beratungsfunktion einer solchen Person, Gesellschaft oder Einrichtung geprägt wird (vgl. § 58 StBerG), sondern auch für den übrigen Teil der 10jährigen Tätigkeit, in dem eine solche auf die Steuerberatung ausgerichtete Anwendung des theoretischen Wissens nicht gefordert wird.

Dieser Auslegung des § 36 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StBerG steht das Urteil des erkennenden Senats VII R 79/68 nicht entgegen, das sich mit dem Begriff "praktisch" in § 5 Abs. 1 Nr. 2 StBerG vom 16. August 1961 (BGBl I 1961, 1301) befaßt. In dieser Vorschrift bezog sich der Begriff "praktisch" nur auf eine Tätigkeit bei einer Person oder Gesellschaft, die nach § 107 a AO zur Hilfeleistung in Steuersachen befugt war; daraus ergab sich, daß der Bewerber bei seiner Tätigkeit auch Hilfe in Steuersachen geleistet haben mußte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72760

BStBl II 1978, 393

BFHE 1978, 474

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