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BFH Urteil vom 22.02.1961 - VII 224/57 U

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Reisekosten eines auswärtigen, das heißt nicht am Sitze des Finanzgerichts ansässigen Bevollmächtigten, sind nur erstattungsfähig, wenn seine Heranziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war.

 

Normenkette

AO § 316; FGO § 139/3

 

Tatbestand

Die in Berlin ansässige Bfin. erzielte auf ihre Berufungen gegen die Einspruchsentscheidungen des Finanzamts über die Umsatzsteuer für 1951 und 1952 beim Verwaltungsgericht Berlin ein Urteil zu ihren Gunsten. Im Bescheid über die ihr zu erstattenden Kosten wurden nur die Gebühren für ihren Bevollmächtigten, einen in A. ansässigen Helfer in Steuersachen, in Höhe der einem Rechtsanwalt zustehenden Gebühren, ferner Auslagen in Höhe von 6,40 DM als erstattungsfähig anerkannt, dagegen eine Erstattung der sich auf 615,40 DM belaufenden Auslagen ihres Bevollmächtigten für viermalige Reisen von A. nach Berlin zu verwaltungsgerichtlichen Verhandlungs- oder Beweisterminen abgelehnt.

Erinnerung und Berufung der Bfin. blieben erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. hat ebenfalls keinen Erfolg.

Nach § 316 Abs. 1 AO sind, soweit einem Beteiligten, der nicht Finanzbehörde ist, die Kosten nicht auferlegt werden, ihm seine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen zu erstatten. Nach Abs. 2 Satz 1 a. a. O. sind bei Zuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistandes die dadurch entstehenden Kosten nur zu erstatten, soweit sie für Personen, die geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, in Verfahren vor den Finanzgerichten entstehen. Damit kommt zum Ausdruck, daß die Kosten für einen berufsmäßigen Bevollmächtigten oder Beistand als notwendig anzusehen sind. Der Bfin. kann jedoch insoweit nicht gefolgt werden, als sie daraus entnehmen will, das schlechthin alle dadurch entstandenen Kosten zu erstatten sind, also der in Abs. 1 aufgestellte Grundsatz (vgl. Mattern-Wittneben, Das Abgabenänderungsgesetz, S. 105), der es auf die Notwendigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung abstellt, zu keinerlei Begrenzung hinsichtlich des Umfangs führen könne. Eine solche ist vielmehr geboten, da der Gegner des Erstattungsberechtigten - sei es die öffentliche Hand im Straf- und Verwaltungsprozeß, sei es eine Privatperson im Zivilprozeß -, der den Anlaß zum Rechtsstreit gegeben hat, die Aufwendungen nur insoweit verursacht hat, als sie zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung sachlich, das heißt nicht nur nach der Meinung des Erstattungsberechtigten, notwendig sind, und daher eine Schadloshaltung durch den Erstattungsverpflichteten auch nur in diesem Umfang als gerechtfertigt erscheint.

Aus diesem Grunde ist in § 316 Abs. 3 AO § 91 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) für entsprechend anwendbar erklärt. Nach der im Streitfall anwendbaren, vor dem 1. Oktober 1957 geltenden Fassung des § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO, den auch Mattern-Wittneben a. a. O. S. 107 im Zusammenhang mit § 316 Abs. 2 AO behandeln zu müssen glauben, waren die Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war, das heißt besondere sachliche Gründe dafür vorlagen (vgl. Stein-Jonas, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., Anm. IX 2 c zu § 91). Mit dem Einwande, daß statt dieser Vorschrift des Zivilprozeßrechts eher die Grundsätze des dem Steuerprozeß in gewisser Hinsicht näherstehenden Strafprozesses anzuwenden seien, kann die Bfin. angesichts des Gesetzeswortlauts, der gerade diese Vorschrift für entsprechend anwendbar erklärt, nicht gehört werden.

Der Bfin. kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie - ungeachtet ihrer abweichenden Rechtsauffassung - im Streitfalle die Beauftragung ihres vom Sitze des Prozeßgerichts weit entfernt ansässigen Helfers in Steuersachen als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig ansieht. Es braucht hier nicht im einzelnen erörtert zu werden, unter welchen Voraussetzungen an Stelle der Heranziehung eines am Sitze des Prozeßgerichts ansässigen Bevollmächtigten die Beauftragung eines am anderweitigen Wohnort oder Sitz des Steuerpflichtigen oder in dessen Nähe ansässigen Bevollmächtigten als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig anzuerkennen ist (vgl. dazu Klempt-Meyer, Rechtsmittelverfahren und Rechtsmittelkosten in Steuerstreitsachen, 2. Aufl., 1959 S. 203, und Boeker, Kostenerstattung im steuerlichen Rechtsmittelverfahren, 1957, S. 73). Der Streitfall weist die Besonderheit auf, daß Sitz der Bfin. und des Prozeßgerichts Berlin war, der Bevollmächtigte aber an einem davon weit entfernten Ort ansässig war. Bei dieser Sachlage entfallen Gründe, die in anderen Fällen für die Betreuung durch einen auswärtigen Bevollmächtigten sprechen könnten, wie die genauen Kenntnisse der örtlichen betrieblichen Verhältnisse der Steuerpflichtigen oder ein Mangel an erforderlichen Spezialisten am Sitze des Prozeßgerichts. Da auch die Sach- und Rechtslage nicht besonders verwickelt war, sondern es darum ging, ob die Bfin., die für ihre Mitglieder Aufträge von Bauunternehmern annahm, für die von diesen gezahlten Entgelte umsatzsteuerpflichtig war, war ihre Vertretung auch nicht nur durch einen von jeher mit ihren steuerlichen Angelegenheiten befaßten Bevollmächtigten erforderlich. Auch irgendwelche außergewöhnlichen Gründe, die im Streitfalle die Heranziehung des auswärtigen Bevollmächtigten als notwendig erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich.

Die Vorinstanz hat daher mit Recht die Reisekosten, die durch die mehrfachen Reisen des auswärtigen Bevollmächtigten zu Verhandlungs- und Beweisterminen entstanden sind, nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Kosten angesehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409989

BStBl III 1961, 195

BFHE 1961, 537

BFHE 72, 537

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