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BFH Urteil vom 09.06.1970 - VII R 20/67

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Leitsatz (amtlich)

Zur Hilfeleistung in Steuersachen durch Stundenbuchhalter.

 

Normenkette

AO § 107a Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Nr. 9, Abs. 4

 

Tatbestand

Der Kläger hat den Beruf eines Kaufmanns erlernt. Er ist schwerkriegsbeschädigt und zu 70 % "erwerbsgemindert". Von Oktober 1959 bis Juni 1962 hat er auf Kosten der Hauptfürsorgestelle für Schwerbeschädigte an Kursen teilgenommen, durch die er zum Bilanzbuchhalter umgeschult wurde. Dann hat er für mehrere Firmen die Bücher und Gehaltslisten geführt sowie die Lohn- und Umsatzsteuervoranmeldungen vorbereitet; in einer Reihe von Fällen hat er Bilanzen aufgestellt oder die hierfür erforderlichen Vorarbeiten geleistet. Auf eine Verfügung des FA vom 27. Oktober 1964, in der ihm mitgeteilt wurde, er sei ein selbständiger Stundenbuchhalter und bedürfe daher der Erlaubnis nach § 107a AO und in der er aufgefordert wurde, seine Tätigkeit bei sämtlichen Auftraggebern sofort einzustellen, erhob er Gegenvorstellung und legte dem FA mit dem Hinweis, daß er derzeit für zehn Firmen arbeite, schriftliche Bestätigungen von neun dieser Firmen vor, daß er als ihr Angestellter tätig sei, "das Gehalt" auf der Steuerkarte ordnungsgemäß vermerkt und daß Lohn- und Kirchensteuer einbehalten und abgeführt worden seien. In der Verfügung vom 18. Januar 1965 schrieb das beklagte FA dem Kläger:

"Sie sind der Aufforderung des Finanzamts ... vom ... auf Einstellung Ihrer Tätigkeit als Stundenbuchhalter bei Ihren sämtlichen Auftraggebern bisher nicht nachgekommen. Ich bitte Sie daher nochmals, die Tätigkeit als selbständiger Stundenbuchhalter - als eine solche sehe ich sie trotz der abweichenden formellen Behandlung an - bis spätestens 28.2.1965 einzustellen.

Sollten Sie auch dieser Aufforderung keine Folge leisten, so bin ich leider genötigt, gemäß § 202 der Reichsabgabenordnung zur Erzwingung der Einstellung Ihrer Stundenbuchhaltertätigkeit ein Erzwingungsgeld in Höhe von 300 DM für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Sie festzusetzen.

Die Auferlegung eines Erzwingungsgeldes kann solange wiederholt werden, bis Sie der Aufforderung nachgekommen sind."

Die vom Kläger dagegen eingelegte Beschwerde wurde von der OFD durch Entscheidung vom 23. März 1966 als unbegründet zurückgewiesen.

Die Klage wurde vom FG gleichfalls abgewiesen. Das FG sah § 107a Abs. 3 Satz 1 AO, der "anderen Personen", Unternehmen und Stellen als den in § 107a Abs. 1 und 2 genannten, die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen verbietet, durch den Kläger unter Ausnutzung formeller Möglichkeiten als umgangen an; es war deshalb der Ansicht, daß es nicht mehr darauf ankomme, ob es sich "in den einzelnen Fällen" der Hilfeleistung durch den Kläger in Steuersachen um echte oder um unechte Arbeitsverhältnisse handle. Das FA sei auch berechtigt gewesen, von dem Kläger die Einstellung der Tätigkeit als Stundenbuchhalter bei sämtlichen Auftraggebern zu verlangen und dem Kläger für den Fall der Nichtbefolgung der Untersagungsverfügung "ein Erzwingungsgeld" anzudrohen.

Mit der Revision macht der Kläger insbesondere geltend: Gerügt werde, daß das FG keine Beweise erhoben, sondern sich mit den Erklärungen begnügt habe, die die Finanzbehörden in ihren Akten gesammelt hätten (§§ 155 FGO, 82 ZPO). In Anbetracht der Einlassung des Klägers hätte das FG jeden Fall, in dem der Kläger ordnungsmäßige Lohnsteuerkarten vorgelegt habe, gesondert prüfen müssen. Die Rechtsprechung habe anerkannt, daß ein Bilanzbuchhalter eine Reihe von Arbeitsverhältnissen eingehen dürfe, ohne daß damit eine Umgehung des § 107a AO gegeben sei. Die Annahme, daß sämtliche Arbeitsverhältnisse des Klägers unzulässig seien, finde weder in der Auslegung des einfachen Gesetzes durch die Rechtsprechung noch im Grundgesetz (GG) eine Stütze. Die Menschenwürde des Klägers (Art. 1 Abs. 1 GG) sei verletzt. Das Gericht hätte aufzeigen müssen, was das Gesetz erfordere, und durch Beweisaufnahme klären müssen, ob diese Erfordernisse im Streitfall erfüllt seien. Auf die §§ 204, 243 AO a. F., §§ 76, 102 FGO werde hingewiesen. Das Einkommen des Klägers sei nicht der richtige Maßstab zur Beurteilung der einzelnen zu prüfenden Fälle. Es sei dem Arbeitnehmer nicht verwehrt, mit den Arbeitgebern Vereinbarungen über die Urlaubsfrage und über die Art der Ausübung der Heimarbeit zu treffen. Eine volle ganzjährige oder jahrelange Betätigung des Arbeitnehmers bei dem Arbeitgeber erfordere das Gesetz nicht. FA und FG, die den Kläger eines Verstoßes gegen die Gesetze geziehen hätten, hätten das nicht "lapidar" mit "geringen Erwägungen" tun dürfen; sie hätten vielmehr jedes einzelne Arbeitsverhältnis des Klägers prüfen und für es darlegen müssen, aus welchem Grunde es eine Umgehung darstelle; dies auch dann, wenn entgegen der Meinung des Klägers angenommen würde, "einmal" (bei einer erheblichen Zahl von Arbeitsverhältnissen) sei eine Grenze dafür erreicht, was den Arbeitnehmer von dem selbständig Tätigen unterscheide. Unterhalb dieser Grenze könnten die Arbeitgeber sich einen Arbeitnehmer suchen, der in Heimarbeit ihre buchhalterischen Interessen nach ihren Weisungen wahrnehme. Das könne, wie bei dem Kläger, in echten Arbeitsverhältnissen geschehen mit Vereinbarungen über Urlaub, Eingliederung in die Betriebe und Weisungen der Arbeitgeber. Nachdem der BFH bereits durch seine Urteile klargestellt habe, daß die Übernahme mehrerer Angestelltenverhältnisse zulässig sei, und gesagt habe, daß es vom Einzelfall abhänge, ob und wann ein Mißbrauch vorliege, der die Untersagung der Hilfeleistung rechtfertigen könne, sei damit auch zwingend zum Ausdruck gebracht, daß die einzelnen vertraglichen Beziehungen des angestellten Buchhalters genau nachgeprüft werden müßten, um einen Mißbrauch feststellen zu können. Das FA trage die "Beweislast" für das Vorliegen eines Mißbrauchs. Durch eine Untersagung der Tätigkeit des angestellten Buchhalters werde auch in die Rechte der Arbeitgeber, also Dritter, eingegriffen. Richtig angewendet seien die Vorschriften des § 107a AO mit dem GG vereinbar. Der Kläger wende sich insgesamt aber dagegen, daß das FG es auf das "Gesamtbild" der Tätigkeit des Klägers abgestellt habe, also summarisch ohne Prüfung, wie dieses Bild sich zusammengesetzt habe, mit Zahlen arbeite, deren echter Gehalt ihm verborgen geblieben sei; es komme nicht auf das Bild an, sondern auf die Mosaiksteine, aus denen sich das Bild letzten Endes erst zusammenfüge. Überdies hätten FA und FG unterlassen zu prüfen, ob überhaupt und in welchem Umfang der Kläger bei den Verbuchungen für die Arbeitgeber Hilfe in Steuersachen geleistet habe. Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung, die angefochtene Verfügung des FA und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben, hilfsweise, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuweisen.

Das beklagte FA hält die Vorentscheidung für zutreffend und die Revisionsausführungen für unrichtig. Es beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die beteiligte OFD beantragt gleichfalls, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision hat nur insoweit Erfolg, als sie sich gegen die Androhung eines Erzwingungsgeldes von 300 DM für jeden Fall der Zuwiderhandlung wendet. Im übrigen ist sie jedoch nicht begründet.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen nach § 107a Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 AO nur die in § 107a Abs. 1 und 2 AO bezeichneten Personen, Unternehmen und Stellen befugt sind; dazu zählen nach § 107a Abs. 2 Nr. 9 AO auch "Angestellte, soweit sie Steuersachen ihres Dienstherrn erledigen". Nach § 107a Abs. 1 Satz 2 AO umfaßt der Begriff "Hilfeleistung in Steuersachen" auch die Hilfeleistung bei der Erfüllung derjenigen Buchführungspflichten, die auf Grund von Steuergesetzen bestehen. Sofern die Erledigung von Steuersachen durch Angestellte für ihren Dienstherrn zur Umgehung des Zulassungszwangs mißbraucht wird, kann das FA die Hilfeleistung in Steuersachen untersagen (§ 107a Abs. 4 AO); die Untersagungsverfügung des FA stellt eine Ermessensentscheidung dar (vgl. auch das Urteil des erkennenden Senats VII R 11/66 vom 14. Mai 1969, BFH 96, 33, BStBl II 1969, 713, 715, unter I 2). Diese Vorschriften widersprechen nicht dem GG, insbesondere nicht Art. 1 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.

2. a) Das FG hat zunächst festgestellt, daß die Tätigkeit des Klägers für seine Arbeitgeber, wie er sie in der mündlichen Verhandlung vor dem FG geschildert hat, "in allen Fällen" eine Hilfeleistung in Steuersachen darstelle, da nach § 107a Abs. 1 AO der Begriff "Hilfeleistung in Steuersachen" auch die Hilfeleistung bei der Erfüllung der Buchführungspflichten umfasse, die auf Grund von Steuergesetzen bestehen. Diese Feststellungen des FG, die auf die Vernehmung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem FG Bezug nehmen, sind zwar etwas knapp. Sie reichen aber aus, um einwandfrei festzustellen, daß der Kläger in allen (einzelnen) einschlägigen Fällen, die im Streitfall zu untersuschen sind, "Hilfe in Steuersachen" im Sinne des § 107a Abs. 1 AO leistete.

b) Das FG hat angenommen, der Kläger übe geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen in einer Weise aus, daß sie sich als "Mißbrauch zur Umgehung" des Zulassungszwangs darstelle. Wenn es ausführte, daß es immer auf die Gesamtumstände des einzelnen Falles ankomme, so steht das im Einklang mit dem Beschluß des BFH II 154/53 U vom 6. Juli 1955 (BFH 61, 147, BStBl III 1955, 256). Es ist - entgegen den Ausführungen des Klägers - auch rechtlich unbedenklich, wenn das FG darlegt, daß dann, wenn die Berufsausübung trotz formell abgeschlossener Arbeitsverträge das Bild einer freiberuflichen Tätigkeit in Steuersachen zeige, es sich in der Regel um eine verbotene Tätigkeit handle, die zur Umgehung des Verbots unzulässiger Hilfeleistung in Steuersachen mißbraucht werde, und wenn das FG diesen Mißbrauch zur Umgehung des Verbots im Streitfall insbesondere daraus herleitet, daß der Kläger in dem in Betracht kommenden Zeitpunkt zehn Personen und Unternehmen Hilfe in Steuersachen leistete. Seine Tätigkeit entsprach in Anbetracht dieser Vielzahl der "Arbeitsverhältnisse" dem Berufsbild eines freiberuflich steuerrechtlich Hilfe Leistenden, ohne daß es noch darauf ankam, ob in allen Fällen der steuerrechtlichen Hilfeleistung durch den Kläger für die zehn einzelnen Personen und Unternehmen echte Arbeitsverhältnisse vorlagen oder nicht. Die steuerrechtliche Tätigkeit als Angestellter wurde dadurch, daß sie für eine Vielzahl von Arbeitgebern geleistet wurde, zu einer Umgehung des Verbots unzulässiger Hilfeleistung in Steuersachen mißbraucht. Um einer Vielzahl von Personen oder Unternehmen geschäftsmäßig in Steuersachen Hilfe leisten zu dürfen, hätte der Kläger der Zulassung als Steuerbevollmächtigter bedurft.

3. Auch die Abwicklungsfrist, die das FA dem Kläger in der Verfügung vom 18. Januar 1965 bewilligt hatte, war im Hinblick darauf nicht zu beanstanden, daß der Kläger nach der Verfügung des FA vom 27. Oktober 1964 mit einer weiteren Untersagungsverfügung rechnen mußte.

4. Die Revision führt aber insoweit zum Erfolg, als der Kläger sich gegen die Androhung eines Erzwingungsgeldes "in Höhe von 300 DM für jeden Fall der Zuwiderhandlung" wendet. Bei diesem Wortlaut der Verfügung des FA läßt sich die Auslegung nicht ausschließen, daß im Falle jeder Hilfeleistung in Steuersachen, sei es durch eine Hilfeleistung bei der Erfüllung von Buchführungspflichten, die auf Grund von Steuergesetzen bestehen, sei es durch Vorbereitung von Lohnsteueranmeldungen und von Umsatzsteuervoranmeldungen oder von Bilanzen, je ein Erzwingungsgeld von 300 DM verhängt werden darf. Das könnte bei zehn "Arbeitsverhältnissen" außerordentlich hohe Beträge ergeben, die dem aus der Verfassung abgeleiteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprächen. Insoweit konnten die Verfügung des FA, die Beschwerdeentscheidung der OFD und die Vorentscheidung nicht bestehenbleiben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69075

BStBl II 1970, 642

BFHE 1970, 344

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