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BFH Beschluss vom 06.07.1977 - I R 182/76

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Leitsatz (amtlich)

1. Die Grundsätze der notwendigen Streitgenossenschaft - hier der Fall der Notwendigkeit der einheitlichen Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses gegenüber allen Streitgenossen (§ 62 Abs. 1 ZPO erste Alternative) - hindern den einen von zwei Streitgenossen (Klägern) nicht, seine Klage noch während des von ihm allein in Gang gesetzten Revisionsverfahrens zurückzunehmen.

2. Die Rücknahme der Klage durch den einen Streitgenossen bewirkt in diesem Fall, daß das auch gegen den anderen Streitgenossen ergangene Urteil des FG rechtskräftig wird. Die Rechtskraftwirkung dieses Urteils erstreckt sich auf den seine Klage zurücknehmenden Streitgenossen, weil er in dem finanzgerichtlichen Verfahren des anderen Streitgenossen zugleich die Stellung eines notwendig Beigeladenen hatte.

 

Normenkette

FGO §§ 59, 60 Abs. 3, §§ 72, 73 Abs. 2, § 122 Abs. 1; ZPO §§ 59-63

 

Tatbestand

Bei der einheitlichen Gewinnfeststellung 1967 der Klägerin zu 2 - einer KG - ging der Streit darum, ob im Zuge einer Erbauseinandersetzung ein Grundstücksanteil durch die Klägerin zu 1 - Frau G -, die nicht Gesellschafterin der KG geworden ist, entnommen worden war. Der Beklagte (FA) bejahte eine Entnahme und rechnete den anläßlich der Entnahme entstandenen Gewinn zum laufenden Gewinn der KG; außerdem rechnete es den Entnahmegewinn der Frau G als Gewinnanteil zu. Das von Frau G bezogene Entgelt von 1 798 DM für die Überlassung des Grundstücksanteils an die KG berücksichtigte das FA bei der einheitlichen Gewinnfeststellung nicht. Nach dem insoweit erfolglosen Einspruchsverfahren erhoben sowohl Frau G als auch die KG Klage. Das FG verband die getrennt erhobenen Klagen durch Beschluß. In dem Urteil vom 11. August 1976, das sowohl gegen Frau G als auch gegen die KG als die beiden Klägerinnen erging, verneinte das FG eine Entnahme seitens der Frau G. Es änderte insoweit die einheitliche Gewinnfeststellung 1967 (Herabsetzung des laufenden Gewinns der KG; kein Gewinnanteil der Frau G). Dem weiteren Klageantrag der Frau G, sie als Mitunternehmerin mit dem erhaltenen Nutzungsentgelt für die Überlassung des Grundstücksanteils in die einheitliche Gewinnfeststellung der KG einzubeziehen, wurde nicht stattgegeben. Die Kosten des Verfahrens wurden dem FA in vollem Umfang auferlegt. Das FG hat die Revision zugelassen.

Gegen diese Entscheidung legte auf seiten der Klägerinnen allein Frau G Revision ein mit dem Begehren, das Entgelt für die Überlassung des Grundstücksanteils in die einheitliche Gewinnfeststellung einzubeziehen. Das FA schloß sich der Revision der Frau G im Wege der unselbständigen Anschlußrevision an.

Mit einem an den BFH gerichteten Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten erklärte die Klägerin, daß sie die Klage zurücknehme. Das FA willigte in die Klagerücknahme ein. Eine Einwilligung der KG liegt nicht vor.

 

Entscheidungsgründe

Das Verfahren ist wegen der Klagerücknahme durch Frau G einzustellen.

1. Der Kläger kann seine Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen (§ 72 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Klagerücknahme ist auch noch in der Revisionsinstanz möglich, vorausgesetzt, daß die Revision zulässig war (vgl. BFH-Beschlüsse vom 3. März 1967 III R 136/66, BFHE 87, 559, BStBl III 1967, 225; vom 14. Juli 1971 I R 127, 154/70, BFHE 103, 36, BStBl II 1971, 805). Gegen die Zulässigkeit der Revision der Frau G ergeben sich keine Bedenken. Die nach § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO erforderliche Einwilligung des Beklagten - des FA - zur Klagerücknahme liegt vor. Eine Einwilligung des weiteren Verfahrensbeteiligten - hier der am Revisionsverfahren gemäß § 122 Abs. 1 FGO beteiligten KG - ist nicht erforderlich (BFH-Beschluß vom 16. Januar 1970 VI R 165/69, BFHE 98, 325, BStBl II 1970, 327).

2. Der Rücknahme ihrer Klage durch Frau G erst im Revisionsverfahren steht nicht entgegen, daß das Urteil des FG gegen Frau G und die KG als notwendige Streitgenossen nach § 59 FGO i. V. m. § 62 ZPO ergangen ist: Das streitige Rechtsverhältnis - einheitliche Feststellung des Gewinns und Aufteilung dieses Gewinns auf die Berechtigten - konnte gegenüber den Streitgenossen "nur einheitlich" festgestellt werden (§ 62 Abs. 1 ZPO erste Alternative). Grundsätzlich handelt jeder Streitgenosse im Prozeß selbständig (§ 61 ZPO). Er darf selbständig Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen und über den Prozeßgegenstand - soweit er ihn betrifft - verfügen. Er kann daher auch seine Klage zurücknehmen. Nur in den Fällen des Zwangs zur gemeinsamen Rechtsverfolgung - z. B. von Miterben in ungeteilter Erbengemeinschaft (§ 62 Abs. 1 ZPO zweite Alternative: Die Streitgenossenschaft ist hier "aus sonstigen Gründen eine notwendige") - soll nach der Rechtslehre etwas anderes gelten. Nach der einen Meinung wird in den Fällen der zweiten Alternative des § 62 Abs. 1 ZPO die Klagerücknahme durch einen der Streitgenossen als unzulässig angesehen; nach der anderen Meinung bewirkt die Klagerücknahme durch einen Streitgenossen, daß die Klage der übrigen Streitgenossen abzuweisen ist, weil ihnen die Sachlegitimation nicht allein zusteht (vgl. Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 62 Anm. V 5; Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 35. Aufl., § 62 Anm. 4 A; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 2. Aufl., § 62 Anm. B I c 2; Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 11. Aufl., § 50 IV 1 a). Da im vorliegenden Fall nicht eine notwendige Streitgenossenschaft i. S. der zweiten Alternative des § 62 Abs. 1 ZPO, sondern eine solche i. S. der ersten Alternative gegeben ist, war Frau G nicht gehindert, ihre Klage zurückzunehmen.

3. Eine Klagerücknahme hat nach § 72 Abs. 2 Satz 1 FGO den Verlust der Klage zur Folge. Ist nur ein Kläger vorhanden, wird bei Klagerücknahme erst in der Revisionsinstanz das finanzgerichtliche Urteil wirkungslos (§ 271 ZPO) und der angefochtene Bescheid in der Gestalt der Einspruchentscheidung lebt wieder auf. Die Klagerücknahme hat daher weitgehende Folgen. Sie geht insbesondere weiter als die Rücknahme eines Rechtsmittels. Hier hat die Rücknahme nur den Verlust des Rechtsmittels zur Folge (vgl. § 125 Abs. 2 FGO).

Im vorliegenden Fall, in dem zwei Klägerinnen - Frau G und die KG - in notwendiger Streitgenossenschaft zueinander stehen, hat die Klagerücknahme durch Frau G ebenfalls den Verlust ihrer eigenen Klage zur Folge. Hinsichtlich der anderen Klägerin (KG), die nicht Revision eingelegt hat, die aber nach § 122 Abs. 1 FGO Beteiligte am Revisionsverfahren ist, wird das FG-Urteil rechtskräftig. Die unselbständige Anschlußrevision des FA ist vom Schicksal der Revision der Frau G abhängig (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 115 Anm. 3). Sie ist durch die Klagerücknahme seitens der Frau G gegenstandslos geworden.

Ist somit das für und gegen die andere Klägerin - die KG - ergangene Urteil des FG noch in der Welt, so erstreckt sich die Rechtskraft dieser - allein noch gegen die KG gerichteten - Entscheidung im vorliegenden Fall auch auf Frau G. Hätte nämlich seinerzeit allein die KG die einheitliche Gewinnfeststellung 1967 mit der Klage angefochten, hätte Frau G im Wege der notwendigen Beiladung (§ 60 Abs. 3 FGO) zu dem Verfahren der KG hinzugezogen werden müssen. Da sie aber ebenso wie die KG eine selbständige Klage erhoben hat, ist ihre notwendige Beiladung zur Klage der KG dadurch ersetzt worden, daß das FG die beiden Verfahren verbunden hat (§ 73 Abs. 2 FGO). Die Stellung einer notwendig zum Verfahren der KG Beigeladenen hat Frau G nicht dadurch verloren, daß sie ihre eigene Klage erst in der Revisionsinstanz zurücknahm. Sie nahm bis zur Bekanntgabe des erstinstanzlichen Urteils an dem Verfahren vor dem FG teil. Die Rechtskraft des gegen die KG ergangenen - die einheitliche Gewinnfeststellung zu ihren Gunsten ändernden - Urteils wirkt daher auch für und gegen Frau G. Die Auffassung des FA, daß durch die Klagerücknahme seitens der Frau G die einheitliche Gewinnfeststellung in der Gestalt der Einspruchsentscheidung bestandskräftig geworden sei, trifft nach alledem im vorliegenden Fall nicht zu.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72084

BStBl II 1977, 696

BFHE 1978, 437

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