Zusammenfassung
Kann oder sollte Storytelling beim Controller das Critical Thinking ersetzen? Nein, um zu besseren Entscheidungen beitragen zu können, benötigen Controller beides: Critical Thinking, wenn wir bewirken wollen, dass der Entscheider seinen Standpunkt überdenkt. Storytelling, wenn wir den Entscheider von einem Standpunkt überzeugen wollen. Der Beitrag erläutert wie und warum Critical Thinking und Storytelling funktionieren, und was dabei wie schief gehen kann.
1 Storytelling versus Critical Thinking: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust
Als Bayer Monsanto 2018 übernahm, lautete die Story, dass sich zwei innovationsstarke Unternehmen zusammengetan hätten, die einen Beitrag zur Lösung der Ernährungsprobleme der Welt leisten können. Eine top Story für eine Übernahme: angesichts der Entwicklung der Weltbevölkerung ist das strategische Rational überzeugend, und darüber hinaus tut man auch noch etwas Gutes für die Menschheit. Fast forward to März 2024, und es gibt Börsenexperten, die für Bayer auch ein Kursziel von 0 EUR für möglich halten. Was stimmt mit dieser Geschichte nicht? Die Antwort lautet u. a., dass Bayer Rechtsstreitigkeiten in den USA bezüglich Glyphosat offensichtlich falsch eingeschätzt hat. Woraufhin sich die Frage stellt, wie das passieren konnte. Ausgerechnet Bayer, die vor der Monsanto-Akquisition den Ruf genossen haben, das zu sein, was man als eine "Deal-Machine" bezeichnet, weil sie einen sehr guten track record bezüglich Akquisitionen hatten und auch große Übernahmen wie Schering äußerst professionell durchgeführt haben? Und ausgerechnet in den USA, wo deutsche Vorstände, spätestens als 2015 die Manipulation der Abgaswerte durch VW bekannt wurden, hätten wissen müssen, dass bei Verfahren dieser Art Industriepolitik durchaus eine Rolle spielt? Nun kann man argumentieren, dass Bayer all dies bei der Entscheidung völlig klar gewesen sei. Gegen diese Hypothese spricht aber, dass Bayer erst einige Jahre nach der Übernahme zu der Einsicht gelangte, dass es sich in seinem Umgang mit den Klagen anders aufstellen müsse. Da sowohl die Reputationsrisiken von Monsanto als auch die Klageproblematiken in den USA grundsätzlich bereits bei der Übernahme öffentlich bekannt waren, stellt sich die Frage, wie es bei Bayer intern bei der Übernahme um das Critical Thinking bestellt war.
Die Geschichte zeigt, wie wichtig sowohl Storytelling als auch Critical Thinking sind, dass aber das eine nicht zu Lasten des anderen gehen darf, denn das erhöht das Risiko, dass Unternehmen schlechte Entscheidungen treffen. Da es das Ziel von Controllern – insbesondere in der Rolle des Business Partners – ist, dazu beizutragen, dass Unternehmen bessere Entscheidungen treffen, sind Wissen um die Wirkungsweise und den richtigen Einsatz beider Methoden für Controller essentiell. Darum soll es in diesem Beitrag gehen.
2 Was versteht man unter Critical Thinking?
Die Definitionen hierzu sind vielfältig. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Critical Thinking ein Denken "im Dialog mit sich selbst" ist. Ein Critical Thinker ist ein Mensch, der in der Lage ist, einen Sachverhalt aus mehreren Perspektiven zu betrachten, der hypothesengeleitet und evidenzbasiert denkt und argumentiert, der intellektuell bescheiden und damit im Denken offen ist, und der aktiv nach Informationen sucht, die seine Hypothesen widerlegen. Er geht also kritisch mit seinen eigenen Gedanken um, sich die Frage von Karl Popper "Was spricht gegen die Richtigkeit meiner Annahmen" zu stellen, ist ihm eine kognitive Gewohnheit.
Kritisches Denken ist damit eine Art und Weise Probleme, Fragen oder Themen anzugehen: evidenzbasiert arbeiten, um sich der Wahrheit so gut es geht anzunähern. Dazu gehört insbesondere, das eigene Wissen bzw. dessen Sicherheit gut einschätzen zu können, Wahrnehmungsverzerrungen (sog. Biases) zu vermeiden und Meinungen von Fakten zu trennen. Und da es um das Denken geht, ist Critical Thinking nicht nur eine Fähigkeit, sondern eine Haltung.
Bei den Rollenzuweisungen des Controllers wird genau diese Denkweise auch vom Controller gefordert. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Vorgehensweise bei seinen Analysen, sondern auch im Dialog mit dem Manager: die Contre Rôle einnehmen, den Advocatus Diaboli spielen, der Challenger in Chief sein – all diesen Rollenbeschreibungen liegt die Idee zugrunde, dass es eine der zentralen Aufgabe der Controller ist, das Denken der Manager kritisch zu hinterfragen. Ein guter Controller zeichnet sich dadurch aus, dass er über eine gesunde Skepsis verfügt, d. h. er glaubt nicht alles, was er sieht, hört oder liest. Und er hinterfragt Dinge sowohl konstruktiv und kritisch in der Sache als auch mit Wertschätzung der Person gegenüber. So wie es die Amerikaner mit "hard on the issue, soft on the people" prägnant zum Ausdruck bringen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass das Hinterfragen nicht darauf abzielt, dem Manager seinen eigenen Standpunkt "aufzwingen zu wollen". Vielmehr geht es darum, den Manager einzuladen, seinen eigenen ...