Unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind alle Arbeitnehmer, die im Inland einen Wohnsitz[1] oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt[2] haben.[3] Gleichgültig ist, ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Zu denken ist etwa an ausländische Arbeitnehmer, auch wenn ihre Familien weiterhin im Heimatland leben.

Die Frage, ob ein die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht begründender Wohnsitz gegeben ist, bestimmt sich – auch bei Arbeitnehmern aus DBA-Staaten – allein nach dem in der Abgabenordnung festgelegten innerstaatlichen Wohnsitzbegriff.[4] Danach hat ein Arbeitnehmer seinen Wohnsitz im Inland, wenn er dort eine Wohnung u. U. innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Ein inländischer Wohnsitz führt zur unbeschränkten Steuerpflicht, selbst wenn der Arbeitnehmer eine weitere Wohnung im Ausland hat und sich dort sein Lebensmittelpunkt befindet. Der Gesetzgeber verlangt nur das Vorliegen eines Wohnsitzes. Eine Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenwohnsitz ist dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen.[5] Erst für die Frage der Vermeidung einer Doppelbesteuerung von ausländischen Einkünften ist nach dem jeweiligen DBA auf den Ansässigkeitsstaat und damit auf den Lebensmittelpunkt des Arbeitnehmers abzustellen.

Der Begriff der Wohnung verlangt, dass dem Arbeitnehmer Räumlichkeiten zur Verfügung stehen, die zum Wohnen geeignet und darüber hinaus für seine persönlichen Verhältnisse angemessen sind. Das kann ein möbliertes Zimmer sein, eine Unterkunft in einer Gemeinschaftsbaracke, eine Zweitwohnung, ein Sommer- oder Ferienhaus. Entscheidend ist, dass die Räumlichkeiten nicht nur vorübergehend zu Erholungszwecken, sondern ständig zu Wohnzwecken genutzt werden.[6] Ein nur zum Übernachten genutztes Standby-Zimmer eines Piloten begründet keinen Wohnsitz.[7] Der inländische Wohnsitzbegriff ist also auch an ein zeitliches Moment geknüpft. Der Arbeitnehmer muss die Wohnung über einen längeren Zeitraum hinweg innehaben. Die Rechtsprechung geht hier in Anlehnung an den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts von einer Zeitdauer von mindestens 6 Monaten aus.[8] Maßgebend hierbei sind die tatsächlichen Verhältnisse. Auf die polizeiliche An- und Abmeldung kommt es für die Begründung eines Wohnsitzes im Inland nicht an. Nicht erforderlich ist, dass der Steuerpflichtige sich während einer Mindestzahl von Tagen oder Wochen im Jahr in der Wohnung aufhält. Auch unregelmäßige Aufenthalte können zum "Innehaben einer Wohnung" und damit zur Aufrechterhaltung eines inländischen Wohnsitzes führen, auch wenn es sich hierbei nicht um den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen handelt.[9]

Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand im Inland, wenn er sich dort unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.[10] Der Unterschied gegenüber dem Wohnsitz liegt darin, dass dem Arbeitnehmer keine feste Wohnung im Inland zur Verfügung stehen muss. Entscheidend ist allein das zeitliche Moment des Aufenthalts im Inland. Danach wird gesetzlich ein gewöhnlicher Aufenthalt unterstellt, wenn ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als 6 Monaten im Inland vorliegt.[11]

 
Praxis-Beispiel

Aufenthaltsdauer bis zu 6 Monaten

Ein türkischer Arbeitnehmer reist erstmalig am 15.6.2023 nach Deutschland ein. Er hat eine bis zum 30.11.2023 lautende Arbeitserlaubnis. Er übernachtet auf dem Betriebsgelände seines Arbeitgebers. Seine Tätigkeit beginnt er am 20.6.2023. Am 1.12.2023 verlässt der türkische Arbeitnehmer Deutschland wieder und kehrt in seine Heimat zurück. Er hatte während der Beschäftigungszeit in Deutschland 9.000 EUR Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erzielt. In der Türkei erzielte er Einkünfte i. H. v. 6.000 EUR.

Der Steuerpflichtige ist bei dem geschilderten Sachverhalt beschränkt einkommensteuerpflichtig. Er kann auch keinen Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG stellen, wie unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt zu werden, weil seine nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte mehr als 10 % und mehr als die Hälfte des Grundfreibetrags (2023: 5.454 EUR) betragen (sog. fiktive unbeschränkte Steuerpflicht).[12]

Ein Wohnsitz gem. § 8 AO oder ein gewöhnlicher Aufenthalt gem. § 9 AO ist nicht gegeben, weil von vornherein feststand, dass der Aufenthalt in Deutschland weniger als 6 Monate dauert.

 
Praxis-Beispiel

Geplante Aufenthaltsdauer von mehr als 6 Monaten

Ein türkischer Arbeitnehmer reist erstmalig am 15.6.2023 nach Deutschland ein. Er hat eine auf ein Jahr lautende Arbeitserlaubnis. Er mietet sich eine Wohnung mit befristetem Mietvertrag bis zum 30.6.2024 an. Seine Tätigkeit beginnt er am 20.6.2023. Sein Arbeitgeber kündigt ihm zum 30.11.2023. Am 1.12.2023 verlässt er Deutschland wieder und nimmt eine Tätigkeit in der Türkei auf. Er hatte während der Beschäftigungszeit in Deutschland 9.000 EUR Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erzielt. In der Türkei erzielte er im Jahr 2023 Einkünfte i....

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