Einführung

Vorsatz oder Fahrlässigkeit? Im Bußgeldverfahren ist die Abgrenzung beider "Schuldformen" nicht nur von akademischem Interesse. Gerade wegen § 1 Abs. 2 BKatV ist die mögliche Vorsatzverurteilung auch für die Rechtsfolgenzumessung von Bedeutung: Die im BKat genannten Regelsätze gelten im Bereich der Geschwindigkeitsverstöße nur für Fahrlässigkeitstaten. Nimmt das Tatgericht nämlich eine vorsätzliche Begehung an, so wird i.d.R. die Geldbuße empfindlich zu erhöhen und ein Absehen von einem Regelfahrverbot wegen beruflicher oder sonstiger (unverhältnismäßiger) Härten kaum möglich sein.

1. Grundsätzliches

Sichtbar aufgestellte geschwindigkeitsbeschränkende Schilder sind von Fahrzeugführern zu beachten. Beachten sie diese nicht, handeln sie fahrlässig im genannten Sinne. Es darf so auch von Gerichten davon ausgegangen werden, dass ein Übersehen eines geschwindigkeitsbeschränkenden Schildes fahrlässig geschieht.[2] Einen bloßen Bei- und Mitfahrer in einem Kraftfahrzeug aber trifft während der Fahrt grundsätzlich keine Pflicht, hinsichtlich der Beschilderung Aufmerksamkeit walten zu lassen. Eine Erkundigungspflicht nach einem Fahrerwechsel hinsichtlich etwaiger geltender durch Beschilderung gesetzter Geschwindigkeitsbeschränkungen trifft ihn im Regelfall nicht, so dass hier sogar die Fahrlässigkeit ausscheiden kann.[3] Ist im Bußgeldbescheid keine Schuldform angegeben, so ist bei Geschwindigkeitsverstößen von fahrlässigem Tatvorwurf auszugehen.[4]

[2] OLG Celle, Beschl. v. 26.1.2015 – 321 SsBs 176 u. 177/14.
[4] OLG Dresden, Beschl. v. 12.12.2019 – OLG 25 Ss 859/19 (B).

2. Der Vorsatz in Bußgeldsachen

Der subjektive Tatbestand einer jeden Straftat oder Ordnungswidrigkeit kann sich bekanntermaßen als Absicht, direkter Vorsatz, Eventualvorsatz, bewusste Fahrlässigkeit oder "einfache" Fahrlässigkeit darstellen.[5] Der BGH hat dabei weitgehend vorgegeben, wie zwischen Eventualvorsatz und (bewusster) Fahrlässigkeit als "Maximalmöglichkeit" der Fahrlässigkeit abzugrenzen ist:

Vorsätzlich handelt, wer mit der Tatbestandsverwirklichung in dem Sinne einverstanden ist, dass er sie billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein.[6] Dies soll bereits dann der Fall sein, wenn sich der Betroffene in einer Weise vom Verkehrsgeschehen abwendet, dass Regelverstöße billigend von ihm in Kauf genommen werden.[7]

Eine bewusste Fahrlässigkeit liegt jedoch dann vor, wenn der Täter mit der Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und gleichzeitig ernsthaft darauf vertraut, dass schon alles gut gehen und der Tatbestandserfolg nicht eintreten werde.[8] Das Problem, einen konkreten Lebenssachverhalt im Rahmen eines Verkehrsverstoßes (von dem ja oftmals nur ein in einem Bruchteil einer Sekunde aufgenommenes Foto existiert) unter derartige Definitionen zu subsumieren, liegt auf der Hand. Letztlich geht es hier nur um die Frage, welche Feststellungen überhaupt getroffen werden können und welche Feststellungen man ausreichen lässt, um dem Tatrichter den Sprung von der Fahrlässigkeit auf die nächste Stufe des Vorsatzes rechtsfehlerfrei zu ermöglichen.

[5] Zum subjektiven Tatbestand bei Geschwindigkeitsüberschreitungen: Fromm DAR 2019, 375.
[6] BGH, Urt. v. 4.11.1988 – 1 StR 262/88 = BGHSt 36, 1 (9) = NJW 1989, 781; BGH, Urt. v. 11.12.2001 – 5 StR 419/01 = NStZ 2002, 315 (316); BGH, Beschl. v. 23.4.2003 – 2 StR 52/03 = NStZ 2003, 603.
[8] BGH, Urt. v. 4.11.1988 – 1 StR 262/88 = BGHSt 36, 1 (9) = NJW 1989, 781; BGH NStZ 2002, 315 (316) und NStZ 2003, 603.

3. Vorsatzfeststellung bei Geschwindigkeitsverstößen

Für die Feststellung des Vorsatzes bei Geschwindigkeitsverstößen muss das Tatgericht also Tatsachen feststellen, aus denen zweifelsfrei entnommen werden kann, dass entweder dem Betroffenen klar war, dass er eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung begangen hat oder dass er dies jedenfalls billigend in Kauf genommen hat. Dabei wird für den Vorsatz keine positive Kenntnis von der exakten Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung verlangt.[9] Vielmehr genügt, dass sich der Vorsatz auf die Geschwindigkeitsüberschreitung als solche bezieht,[10] also eine ungefähre Vorstellung von der gefahrenen Geschwindigkeit besteht. Es genügt also das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren.[11]

Die Verurteilung wegen Vorsatzes bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung auf der Autobahn setzt zum einen Kenntnis von der bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkung und zum anderen Kenntnis von ihrer Überschreitung voraus.[12] Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass (ordnungsgemäß aufgestellte) Vorschriftszeichen, auch solche, durch die eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgt, i.d.R. wahrgenommen werden und ein fahrlässiges Übersehen die Ausnahme darstellt. Daher braucht die Möglichkeit, dass der Betroffene das Vorschriftszeichen übersehen hat, nur in Rechnung gestellt zu werden, wenn sich hierfür A...

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