Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufung, Haftungsquote, Fahrzeug, Rechtsfahrgebot, Gutachten, Seitenabstand, Betriebsgefahr, Verkehrsteilnehmer, PKW, Fahrbahnrand, Zeichen, Gegenfahrbahn, Klage, Kollision, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

 

Verfahrensgang

LG Augsburg (Urteil vom 08.09.2021; Aktenzeichen 093 O 2338/19)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 08.09.2021, Az. 093 O 2338/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um die Haftung aus einem Verkehrsunfall vom 28.09.2018, bei dem der Kläger schwer verletzt wurde und Sachschaden an seiner Schutzkleidung sowie Totalschaden an seinem Motorrad entstand.

Das Landgericht hat die beiden Unfallbeteiligten angehört, die Zeugin B. vernommen, ein unfallanalytisches Gutachten des Sachverständige B. H. vom 15.12.2020 (Bl. 84/125 d. A.) eingeholt und den Sachverständigen angehört. Sodann hat es die Klage abgewiesen.

Nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts überholte der Kläger auf der A. Straße in N. stadtauswärts den PKW des Beklagten zu 1), der bei der Beklagten zu 2) versichert ist, mit einem Seitenabstand von maximal 0,42 m, unter Beachtung des Außenspiegels von maximal 0,30 m. Als der Beklagte zu 1) mit dem PKW leicht nach links fuhr, da das vor ihm fahrende Fahrzeug nach rechts in die G.-F.-Straße abbog, kam es zu einer seitlichen Kollision des Motorrads mit dem PKW und zum Sturz des Klägers.

Ergänzend wird auf das angefochtene Urteil und das Sachverständigengutachten sowie hinsichtlich der Verletzungen auf Anlage K1 Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage aufgrund des groben Mitverschuldens des Klägers abgewiesen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag, der von einer Haftungsquote von 75% zugunsten des Klägers ausgeht, weiter.

II. Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.

1. Aufgrund der Unfallspuren und -beschädigungen hat der Sachverständige H. festgestellt, dass der PKW des Beklagten zu 1) unmittelbar - etwa 2 m vor dem Kollisionspunkt, der sich im Bereich der Leitlinie, kurz vor dem Beginn der durchgehenden Linie befindet (Gutachten S. 26 = Bl. 109 d. A., Abbildung 34) - nach links gezogen wurde (Gutachten S. 32 = Bl. 115 d. A.). Im Gegensatz zur Berufungsrüge des Klägers ist das Landgericht sehr wohl davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 1) leicht nach links gefahren ist. In Abschnitt I. 1. b) der Entscheidungsgründe ist ausgeführt, dass der Beklagte zu 1) "sich als Mitverursachungsbeitrag das leichte Ausrichten seines Fahrzeugs nach links ohne ausreichende Beachtung des nachfolgenden Verkehrs nach § 6 Satz 2 StVO entgegenhalten lassen" muss.

Richtigerweise ist diese Linksbewegung nicht nach § 6 Satz 2 StVO zu würdigen, der das Vorbeifahren an haltenden Fahrzeugen betrifft. In Betracht kommt jedoch ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 2 StVO.

a) Das Rechtsfahrgebot wird von der Rechtsprechung großzügig im Sinne eines verkehrsgerechten Fahrens ausgelegt; es ist nicht stets äußerst, sondern entsprechend der Verkehrssituation angemessen rechts zu fahren (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, StVO § 2 Rn. 32). Was "möglichst weit rechts" ist, hängt ab von der Örtlichkeit, der Fahrbahnart und -beschaffenheit, der Fahrgeschwindigkeit, den Sichtverhältnissen, dem Gegenverkehr und anderen Umständen. Dabei hat der Kraftfahrer einen gewissen Beurteilungsfreiraum, solange er sich so weit rechts hält, wie es im konkreten Fall im Straßenverkehr "vernünftig" ist (BGH, Urteil vom 09.07.1996 - VI ZR 299/95 -, NZV 1996, 444).

Ein eindeutiger Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot liegt daher nicht vor. Jedenfalls hat der Beklagte zu 1) beim leichten Ziehen seines Wagens nach links weder die Gegenfahrbahn noch die durchgehende Linie überfahren. Wenn er innerhalb seines Fahrstreifens leicht nach links gezogen ist, um einem anderen vor ihm nach rechts abbiegenden Fahrzeug auszuweichen, gab es einen vernünftigen verkehrsbedingten Grund, um vom rechten Fahrbahnrand abzuweichen.

b) Etwas anderes folgt aus den von der Berufung zitierten Entscheidungen nicht. Nach dem Urteil des OLG Naumburg vom 23. 11. 1999 - 9 U 319/98 -, DAR 2001, 223, muss sich der Überholende sich auf die Möglichkeit geringfügiger seitlicher Fahrbewegungen des zu Überholenden einstellen. Selbst eine für den Überholenden überraschende, nicht angekündigte geringfügige Seitwärtsbewegung seines Fahrzeugs bis hin (etwa) zur Mittell...

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