Tübinger Eiskartell - keine Bagatellgrenze für Preisabsprachen

Schock an der Eistheke. Die drei goßen Tübinger Eisdielen haben zeitgleich den Preis für eine Kugel Eis um 25% erhöht. Statt 1.20 Euro jetzt 1.50 Euro pro Kugel – das ist selbst dem grünen Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer ein Dorn im Auge. Die Kunden der Uni-Stadt brachten den Fall vor die Kartellbehörden.

Der Kartellverstoß ist in der Mitte des Volkes angekommen. Nun gibt es schon Kartellsünder, denen jeder böse Wille zu fehlen scheint, die quasi arg- und wehrlos in ein Preiskartell stolpern.

"Herr vergib uns, denn wir wussten nicht was wir taten."

Dies könnte ein Satz des Tübinger Eisdielenbesitzers Pino Ciliberti sein. Gegenüber der Südwest Presse erzählte der Eisdielenbesitzer freimütig, wegen der gestiegenen Kosten hätten sich die Besitzer der drei großen Eisdielen in Tübingen zusammengesetzt und besprochen, dass der bisherige Preis nicht zu halten sein. Gegenüber der Südwest Presse äußerte der Eisdielenbesitzer ganz offen: Wir haben „alle zusammen am Tisch gehockt und gesprochen“. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Preiserhöhung als Folge erheblicher Kostensteigerungen

Cilibreti beklagte sich vor der Presse über den exorbitanten Anstieg der Rohstoffkosten für die Eisherstellung. Nicht nur die Grundstoffe, sondern auch die Zutaten und Früchte sein teurer geworden, nicht zu vergessen, der die Eisdielenbesitzer schwer belastende Anstieg des Mindestlohns. Deshalb sei klar gewesen, dass die Preise angehoben werden müssten.

Es fehlte wohl jegliches (Un)Rechtsbewusstsein

Die einzig denkbare Erklärung für die sehr offenherzige Darstellung des Eisdielenbesitzers in der Öffentlichkeit ist eine offensichtlich völlige Unkenntnis der Rechtslage. Dem klagenden Eisdielenbesitzer fehlte bei seinen Erklärungen mit hoher Wahrscheinlichkeit jegliches rechtliches Bewusstsein dafür, dass die Absprache der Eisdielenbesitzer gegen kartellrechtliche Bestimmungen verstoßen könnte.

Bußgelder von bis zu 1 Million Euro möglich

Nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie einschlägigen europarechtlichen Bestimmungen sind jegliche Preisabsprachen zwischen Konkurrenten verboten, da diese den freien Wettbewerb verfälschen und Verbraucher benachteiligen.

  • Das Verbot des § 1 GWB umfasst u.a. jegliche Preisabsprachen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen (= horizontale Wettbewerbsbeschränkungen).
  • Wer diesem Verbot zuwider handelt, begeht eine Ordnungswidrigkeit und riskiert gemäß § 81 GWB ein Bußgeld bis zu 1 Million Euro, teilweise auch darüber hinaus.

Kartellbehörde hat Anhörungsverfahren eingeleitet

Die plötzliche und gleichzeitige Preiserhöhung der Eisdielen im überschaubaren Tübingen hatte zunächst zu einer anonymen Anzeige beim Berliner Kartellamt geführt.

Dieses hat das Landeswirtschaftsministerium als die in Baden-Württemberg zuständige Kartellbehörde eingeschaltet. Ein Sprecher des Ministeriums hat bereits eine schriftliche Anhörung der betroffenen Eisdieleninhaber angekündigt. Nach der Anhörung werde man prüfen, ob ein kartellrechtswidriges Verhalten vorliegt und gegebenenfalls kartellrechtliche Maßnahmen einzuleiten sind.

Der Sprecher führte aus, dass

„Hinweise auf mögliche Preisabsprachen – auch im Bereich der Gastronomie, wo Verbraucher sehr preissensibel sind – die Landeskartellbehörden immer wieder erreichen, entweder direkt oder über das anonyme Hinweisgebersystems des Bundeskartellamts“.

Besprochen ist nicht abgesprochen

Angesichts des drohenden Kartellverfahrens ist der gesprächsfreudige Eisdielenbesitzer Ciliberti inzwischen zurück gerudert. Man habe bei dem Treffen der drei Eisdielenbesitzer keine Preise abgesprochen, beteuert er, man habe lediglich die Probleme infolge der höheren Rohstoffpreise diskutiert und besprochen. Auch das Problem der vielen Baustellen in der Stadt, die teilweise zu erheblichen Umsatzeinbußen geführt hätten, sei Gesprächsthema gewesen. Unter den Eisdielenbesitzern habe daher Einigkeit geherrscht, dass die Preise erhöht werden müssten.

Abgesprochen habe man sich aber nicht. Einer der Eisdielenbesitzer soll allerdings darauf hingewiesen haben, dass es unfair wäre, wenn die Eisdielen die Preise in der Stadt unterschiedlich erhöht würden.

Preisabsprachen benachteiligen immer die Verbraucher

Der Sprecher der Verbraucherzentralen Baden-Württemberg  Niklaas Haskamp wies darauf hin, dass die diesjährige Preiserhöhung von einer 1.20 Euro auf 1.50 Euro äußerst drastisch und daher für die Verbraucher sehr ärgerlich sei. Auch die von den Eisdielenbesitzern für die Preiserhöhung geltend gemachten Begründungen rechtfertigten keine Preiserhöhung in dieser Höhe. Haskamp warb um Transparenz und legte den Eisdielenbesitzern nahe, die Gründe für die drastische Erhöhung in einem Aushang zu erläutern.

Beschwerden zweier Schulklassen

Auf Beschwerden zweier Schulklassen wandte sich Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer direkt an die Eisdielenbesitzer und schreibt auf seiner Facebook-Seite:

„Liebe Eisdielenbesitzer, es ist nicht nur unfair, die Kunden zu schröpfen durch Preisabsprachen. Nein, es ist verboten.“

Fazit: Der Fall ist ein Paradebeispiel dafür, wie mangelnde Compliance und fehlendes Bewusstsein für Regeltreue selbst in kleinen Betrieben zu unverhofften, äußerst nachteiligen Folgen führen kann.

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Praxishinweis:

Es wird ersichtlich, dass sich anonyme Anzeigen häufen – das entsprechende Internet-Angebot dazu wird immer stärker genutzt.

Die Kartellbehörde bestätigte auch, dass es keine Bagatell-Untergrenze gibt, ab der das Landeskartellamt erst tätig wird.

Das ist ein Hinweis dahingehend, dass alle Geschäftsführer kleinerer Unternehmen gut beraten sind, sich in der Öffentlichkeit, aber auch intern, zu Preis- und Konditionenpolitik grundsätzlich nur sehr zurückhaltend äußern. Das ist interne Angelegenheit, Vertrauenssache und schützenswertes Geschäftsgeheimnis – auch für alle Mitarbeiter.

Schlagworte zum Thema:  Kartellrecht