Stellungnahme Nr. 10/2024 des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Familienrecht unter Mitwirkung des Ausschusses Anwaltsnotariat zu den Eckpunkten des BMJ vom 16.1.2024

A. Zusammenfassung

Der DAV begrüßt die Reformbestrebungen des Gesetzgebers. Allerdings bleiben die in den Eckpunkten formulierten Änderungen weit hinter dem Bedarf an Reformen zurück: Weder hat die automatische Etablierung der gemeinsamen elterlichen Sorge bei Anerkennung oder gerichtlicher Feststellung der Vaterschaft Eingang in die Überlegungen gefunden, noch wird die Hierarchie zwischen elterlicher Sorge und Kontakten zwischen Eltern und Kind (Umgang) durch die Einbeziehung derselben in die elterliche Sorge behoben.

Auch verfahrensrechtlich erforderliche Änderungen finden sich nicht im gebotenen Maß, wenn die unterschiedliche Handhabung der Verfahrensgegenstände elterliche Sorge und Umgang nicht adressiert werden, die sich insbesondere in Eilverfahren auswirken, und auch die Installation eines Kinderverbundverfahrens nicht in Erwägung gezogen wird, das alle Belange von Kindern in einem Verfahren in den Blick nimmt.

B. Stellungnahme im Einzelnen

1. Sorgerecht der 2. Elternstelle

Anders als nach geltendem Recht soll eine 2. Elternstelle künftig entweder durch präkonzeptionelle Elternschaftsvereinbarung oder durch einseitige Erklärung bei bestehendem gemeinsamem Wohnsitz, nicht also bereits automatisch mit der Statuierung der Elternschaft, mitsorgeberechtigt werden. Der Mutter wird jedoch außerhalb von vorgeburtlichen notariell beurkundeten Vereinbarungen ein zeitlich befristetes Widerspruchsrecht eingeräumt, das, wenn ausgeübt, zu einer familiengerichtlichen Klärung führt. Damit wird erneut kein aus Sicht des DAV dringend notwendiger Gleichlauf von Elternschaft und Sorgerecht erreicht, denn die 2. Elternstelle benötigt (neben einem gemeinsamen Wohnsitz) die Mitwirkung der Mutter, bisher durch Zustimmung gem. § 1595 BGB, künftig durch die Nichtausübung ihres Widerspruchsrechts.

2. Sorgerechtliche Korrekturmöglichkeiten

Der DAV äußert ebenfalls Bedenken gegen die geplante Flexibilität, das Sorgerecht ohne verpflichtende Einbeziehung von Kindesinteressen vertraglich einrichten und korrigieren zu können. Eine nach Beratung durch das Jugendamt durch Verzicht oder Übertragung entstandene Alleinsorge soll durch Erklärung (und erneuter jugendamtlicher Beratung) wieder zu einer gemeinsamen elterlichen Sorge werden können. Zudem sollen sorgerechtliche Befugnisse, auch durch den allein sorgeberechtigten Elternteil, auf weitere Personen übertragen werden können. Damit würden die in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG verankerten Schutzprinzipien einschließlich des staatlichen Wächteramtes weitestgehend entleert. Unabhängig davon wird es an personellen und strukturellen Ressourcen der Jugendämter für einen derartigen Beratungsaufwand fehlen. Das Kindeswohl ist bei diesem Vorgehen nachrangig und weitestgehend einer staatlichen Kontrolle entzogen.

Das ist abzulehnen, was auch für die Idee gilt, auf Dritte präkonzeptionell Entscheidungskompetenzen in Angelegenheiten des täglichen Lebens des Kindes übertragen zu können. Da solche Vereinbarungen nach der Vorstellung der Eckpunkte überdies jederzeit (und beidseitig) durch (einseitige) schriftliche Erklärung aufgelöst werden können, erschließen sich weder Nutzen noch Bedarf. Stattdessen wird mit einer derartigen "Flexibilität" zugleich eine Rechtsunsicherheit generiert, die weder für Eltern noch Dritte akzeptabel ist.

3. Umgangsvereinbarungen

Eine Vereinbarung zum Umgang soll künftig zwischen den Eltern, aber auch erweitert auf Dritte, ohne gerichtliche Entscheidung oder protokollierten Vergleich allein durch notarielle Urkunde vollstreckbar werden. Das ist, mit Ausnahme der ohne jede Kindeswohlprüfung vorgesehenen Vollstreckungsklausel, durchaus zu begrüßen.

Allerdings darf auch die Möglichkeit der verbindlichen Vereinbarung der Betreuungszeiten außerhalb von gerichtlichen Verfahren nicht dazu führen, dass das Betreuen selbst ohne Einbindung des Kindes frei zur Disposition gestellt werden kann.

Eltern und Dritte sollen, ebenfalls durch notarielle Urkunde und nach Beratung durch das Jugendamt, verbindlich auf Umgänge verzichten können. Insofern ist nicht erklärt, warum ein solcher Verzicht – offenbar unumkehrbar – erklärt werden können soll. Eine Einbeziehung des Kindeswohls ist aufgrund gänzlich fehlender Beteiligungsrechte erneut nicht vorgesehen. Eine verpflichtende Beratung (nur) der Eltern von dazu nicht ausreichend ausgestatteten Jugendämtern kann das nicht ersetzen.

Die geplante Beibehaltung der kategorischen Trennung von Sorge- und Umgangsrecht entspricht nicht mehr den Anforderungen an ein modernes Elternschaftsrecht und nicht den Lebenswelten vieler Familien, in denen die Betreuung in paritätischen Modellen gelebt wird.

Für eigene gesetzliche Umgangsrechte des Kindes mit Großeltern, Geschwistern oder genetischem Vater besteht in Anbetracht der bestehenden Rechtslage kein Bedarf. Das gilt auch für die kaum umsetzbare Idee, den Begriff des Kindeswohls im Gesetz zu konkretisieren. Der Versuch einer Beschreibung wird den Handlungsspielraum eher verringern als verkla...

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