Entscheidungen des BVerfG zu § 1671 BGB sind eher selten und schon allein deshalb relevant. Die Stattgabe der Kammer vom 17.11.2023[23] ist jedoch auch unabhängig davon von Bedeutung, weil sich die Kammer zum sog. "parental alienation syndrome" (PAS) und dem Konzept der "Eltern-Kind-Entfremdung" (EKE) äußert und sich der international insoweit schon seit langem ablehnenden Haltung hierzu anschließt.[24] Hintergrund der Entscheidung war ein jahrelanger Sorgerechtsstreit, aufgrund dessen die Kinder bereits zweimal unter Polizeieinsatz dem väterlichen Haushalt zugeführt worden waren und die dritte gewaltsame Herausnahme aus dem mütterlichen Haushalt – erneut gegen den Willen der 2016 und 2020 geborenen Kinder – drohte. Die Kammer wiederholt die Grundsätze des zurückgenommenen verfassungsrechtlichen Überprüfungsmaßstabs bei Entscheidungen der Instanzgerichte nach § 1671 BGB: Eine dem Elternrecht genügende Entscheidung könne nur aufgrund der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls getroffen werden, bei der allerdings auch zu berücksichtigen sei, dass die Abwägung nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren sei. Denn Maßstab und Ziel einer Sorgerechtsentscheidung seien nicht der Ausgleich persönlicher Defizite zwischen den Eltern, sondern allein das Kindeswohl. Den verfahrensrechtlichen Anforderungen würden die Gerichte nur gerecht, wenn sie sich mit den Besonderheiten des Einzelfalls auseinandersetzen, die Interessen der Eltern sowie deren Einstellung und Persönlichkeit würdigen und auf die Belange des Kindes eingehen.

Diesen Anforderungen genüge, so die Kammer weiter, der Beschluss des OLG aus mehreren Gründen nicht. Das OLG habe sich nicht mit dem Gutachten aus dem Vorverfahren und dessen Feststellungen zu den besseren Bindungen der Kinder zur Mutter auseinandergesetzt. Gleiches gelte für die Empfehlung des Verfahrensbeistands, das Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter zu übertragen. Hier bemängelte die Kammer zudem, dass noch nicht einmal dargestellt worden sei, was der Verfahrensbeistand berichtet hatte. Darüber hinaus habe das OLG dem Kindeswillen keine hinreichende Bedeutung beigemessen. Schließlich rügt das BVerfG, dass das Hauptargument, wonach die Mutter die Kinder dem Vater entfremde, auf eine bloße Sanktionierung elterlichen Fehlverhaltens hindeute. Zudem werde nicht hinreichend klar, welcher Zusammenhang zwischen der vom OLG angenommenen Entfremdung und dem Kindeswohl bestehe. Soweit das OLG mit der Eltern-Kind-Entfremdung letztlich auf das fachwissenschaftlich als widerlegt geltende Konzept des PAS zurückgreife, stelle dies keine hinreichend tragfähige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung dar.

Der 21. Familiensenat des OLG Dresden hat eine Beschwerde der Mutter gegen die Übertragung des Sorgerechts nach § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf den Vater zurückgewiesen, weil weder eine tragfähige soziale Beziehung noch eine Vertrauensbasis und gelingende Kommunikation zu erkennen seien.[25] Hintergrund war ein intensiver Sorgerechtsstreit zwischen den Eltern, den das Sachverständigengutachten dadurch empfahl aufzulösen, indem entweder paritätische Rahmenbedingungen hergestellt würden, um durch eine gute Augenhöhe eine Grundlage für eine systemische Beratung zu ermöglichen, oder indem das Sorgerecht entzogen würde. Der Senat ist beidem nicht gefolgt: er verneint das für ein gemeinsames Sorgerecht notwendige Mindestmaß an elterlicher Kommunikationsfähigkeit und für einen teilweisen Entzug des Sorgerechts die notwendige Kindeswohlgefährdung bei bestehender Erziehungsfähigkeit.[26]

Im Fall, der der Entscheidung des 16. Familiensenat des OLG Karlsruhe zugrunde lag,[27] war die Mutter mit dem Kind durch Aufnahme in ein Opferschutzprogramm aus Angst vor dem Vater heimlich verzogen. Der Senat bejahte ebenso wie zuvor das AG die Voraussetzungen für die einstweilige Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter. Die elterliche Beziehung zeichne sich durch erhebliche Konfliktlagen aus. Diese hätten sich nochmals verschlechtert, nachdem die Mutter den Vater aufgrund starker Belastungsreaktionen des Kindes nach zwei Umgangswochenenden (Würgen beim Zähneputzen, Einkoten) und des hieraus resultierenden Verdachts des sexuellen Missbrauchs angezeigt hatte und sie sich mit dem Kind in ein Opferschutzprogramm habe aufnehmen lasse. Die Übertragung der Sorge auf die Mutter sei trotz des zwischenzeitlichen Umzugs, der die tatsächliche Ausgangslage der Entscheidung darstelle, nicht zu beanstanden. Nichts sei dafür ersichtlich, dass die Mutter mit ihrer Anzeige und dem Umzug etwa auch den Zweck verfolgt habe, den Kontakt zwischen dem Vater und seinen Kindern zu vereiteln oder dass die Anzeige jeglicher Grundlage entbehre. Bedenken bzgl. der Erziehungseignung der Mutter beständen damit nicht.

Ob ein heimlicher Umzug der Mutter mit dem Kind an einen anderen Ort einen automatischen Rückführungsmechanismus in den Gang setzt, war auch vom 15. Familiensenat d...

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