So nicht bereits erstinstanzlich vor dem Amtsgericht ein Rechtsanwalt mit der Vertretung der übrigen beklagten Wohnungseigentümer bzw. der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer beauftragt war, wird auch der nunmehr für das Berufungsverfahren zu beauftragende Rechtsanwalt vor Einlegung der Berufung prüfen müssen, ob die zur Einlegung der Berufung erforderliche Beschwer erreicht ist. Da die Berufung vom Amtsgericht nur in seltenen Fällen zugelassen wird, kommt es maßgeblich darauf an, dass die erforderliche Beschwer des rechtsmittelführenden Wohnungseigentümers den Schwellenwert von 600 EUR übersteigt. Ansonsten nämlich ist die Berufung unzulässig. Das Berufungsgericht darf die Berufung aber nicht allein deshalb als unzulässig verwerfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstands nicht glaubhaft gemacht worden ist. Vielmehr hat es den Wert bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung aufgrund eigener Lebenserfahrung und Sachkenntnis nach freiem Ermessen zu schätzen und muss dabei den Akteninhalt von Amts wegen auswerten.[1]

Der Streitwert eines wohnungseigentumsrechtlichen Verfahrens und die Beschwer, die im Rahmen der Rechtsmittelinstanzen erreicht sein muss, stimmen nicht immer überein.

 
Praxis-Beispiel

Auf Grundlage der bis zum 30.11.2020 geltenden Rechtslage: Beschluss über die Genehmigung der Jahresabrechnung

Der Streitwert bemisst sich für den klagenden Wohnungseigentümer zunächst nach dem hälftigen Nennbetrag der Jahresabrechnung bzw. des Wirtschaftsplans, wobei die weiteren Grenzen des § 49a GKG a. F. zu beachten sind. Gewinnt der klagende Wohnungseigentümer und legen die übrigen beklagten Wohnungseigentümer Berufung ein, bemisst sich ihre Beschwer nach dem Nennbetrag der Jahresabrechnung bzw. des Wirtschaftsplans ohne den auf den klagenden Wohnungseigentümer entfallenden Anteil.

Die Wohnanlage besteht aus 75 Appartements. Nach Saldierung der Einnahmen und Ausgaben ergibt sich ein Nennbetrag der Jahresabrechnung in Höhe von 90.000 EUR. Der klagende Eigentümer ist Eigentümer von 7 Appartements. Auf diese entfallen anteilig insgesamt 8.400 EUR.

Ausgangspunkt für die Streitwertfestsetzung ist zunächst das Gesamtinteresse aller Wohnungseigentümer. Dieses beläuft sich auf 90.000 EUR. Nach der maßgeblichen Bestimmung des § 49a Abs. 1 GKG darf der Streitwert allerdings maximal auf 50 % dieses Betrags festgesetzt werden. Dies wären hier 45.000 EUR. Für den Fall, dass das 5-fache klägerische Interesse diesen Betrag unterschreiten würde, wäre dieses maßgeblich. Auf den klagenden Wohnungseigentümer entfallen anteilige Kosten in Höhe von 8.400 EUR. Das 5-fache dieses Betrags beläuft sich auf 43.200 EUR. Der Streitwert ist also auf 43.200 EUR festzusetzen.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass der Verkehrswert der Appartements lediglich jeweils 5.000 EUR betragen und sich somit ein Gesamtverkehrswert von 35.000 EUR errechnen würde, wäre letztgenannter Betrag als Streitwert festzusetzen. Obsiegt nun der Eigentümer und wollen die übrigen Wohnungseigentümer Berufung einlegen, bemisst sich ihre Beschwer nach dem Nennbetrag der Jahresabrechnung ohne den auf den klagenden Wohnungseigentümer entfallenden Anteil und beläuft sich demnach auf 81.600 EUR.[2]

 
Praxis-Beispiel

Auf Grundlage der seit dem 1.12.2020 geltenden Rechtslage: Beschluss über eine Erhaltungsmaßnahme des Gemeinschaftseigentums

Die Wohnungseigentümer beschließen eine Erhaltungsmaßnahme des Gemeinschaftseigentums. Der Streitwert bemisst sich für den klagenden Wohnungseigentümer zunächst nach dem Interesse sämtlicher Wohnungseigentümer, wobei das siebeneinhalbfache des klägerischen Interesses maßgeblich ist, so dieses – wie in aller Regel – unterhalb des Gesamtinteresses liegen sollte.

Die Wohnanlage besteht aus 75 Appartements. Es wurde eine Erhaltungsmaßnahme zu Kosten von 20.000 EUR beschlossen. Einer der Wohnungseigentümer hat Anfechtungsklage erhoben. Der Streitwert für die Anfechtungsklage beträgt 2.000 EUR, da das siebeneinhalbfache klägerische Interesse maßgeblich ist. Unterliegt der klagende Wohnungseigentümer allerdings erstinstanzlich, ist die für die Berufung erforderliche Beschwer nicht erreicht, da ihn tatsächlich nur eine Kostenlast in Höhe von 266,67 EUR trifft.

Weitere Beispiele

  • Bauliche Veränderung: Das für die Rechtsmittelbeschwer maßgebliche wirtschaftliche Interesse eines Wohnungseigentümers, dessen Klage auf Beseitigung einer baulichen Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums abgewiesen worden ist, bemisst sich grundsätzlich nach dem Wertverlust, den sein Wohnungseigentum durch die bauliche Veränderung erleidet.[3]

    Wird ein Wohnungseigentümer zur Beseitigung einer baulichen Veränderung verurteilt, bemisst sich seine Beschwer grundsätzlich zwar nach den Kosten einer Ersatzvornahme des Abrisses, die ihm im Falle des Unterliegens drohen. Etwas anderes gilt aber dann, wenn das Interesse des beklagten Wohnungseigentümers am Erhalt des zu beseitigenden Bauwerks die Kosten einer Ersatzvornahme des Abrisses, die ihm im Falle des Unterliegens droh...

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