1 Leitsätze

  1. Wenn gegen ein Aufsichtsratsmitglied (hier: einer Aktiengesellschaft in der Insolvenz) ein Schadensersatzprozess geführt wird, trifft den Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gesellschaft ein Schaden entstanden ist, der durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds in dessen Pflichtenkreis entstanden ist.

    Dagegen hat das Aufsichtsratsmitglied darzulegen und ggf. zu beweisen, dass es seine Sorgfaltspflichten erfüllt hat oder es kein Verschulden trifft oder der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre.

  2. Vom Aufsichtsrat ist grundsätzlich nicht die laufende Überwachung des Vorstands in allen Einzelheiten zu erwarten. Es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Überwachungsorgans, einzelne Geschäftsvorfälle, Zahlungseingänge und Buchhaltungsunterlagen zu überprüfen.

    Eine intensivere Überwachungstätigkeit ist aber in Krisenzeiten sowie dann, wenn Anhaltspunkte für eine Verletzung der Geschäftsführungspflichten und insbesondere Hinweise auf existenzgefährdende Geschäftsführungsmaßnahmen vorliegen, erforderlich.

    Höhere Anforderungen an die Überwachungspflichten des Aufsichtsrats können auch bei einer neu gegründeten Gesellschaft bestehen.

2 Sachverhalt

Der Antragsteller im vorliegenden Rechtsstreit war der Insolvenzverwalter eines Bauunternehmens in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft (AG), die Antragsgegner waren ehemalige Aufsichtsratsmitglieder der Gesellschaft. Der Antragsteller wandte sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Tübingen, mit dem sein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegner wegen Verletzung ihrer Pflichten als Aufsichtsratsmitglieder zurückgewiesen worden war.

Der Antragsteller war der Auffassung, dass die Antragsgegner in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsratsmitglieder pflichtwidrig weder die Schadenszufügung durch den Vorstand der AG verhinderten noch die bereits entstandenen Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand verfolgten.

Der Antragsteller wirft den Antragsgegnern vor, sie hätten gegen ihre Überwachungspflicht verstoßen. Bereits ein Verdacht auf die existenzgefährdenden Praktiken des Vorstands begründe die Pflicht des Aufsichtsrats, diesem nachzugehen und einzugreifen. Angesichts der finanziellen Situation der AG hätten die Aufsichtsratsmitglieder die Pflicht zur intensiven Überwachung des Vorstands gehabt. Die unterlassene Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand begründe eine weitere Pflichtverletzung.

Die Antragsgegner waren der Auffassung, dass sie ihre Pflichten nicht verletzt hätten. Für das Vorliegen von Schadensersatzansprüchen der AG gegenüber ihrem Vorstand hätten sich für den Aufsichtsrat keine Anhaltpunkte ergeben. Jedenfalls hätte ein Handeln des Aufsichtsrats einen Schaden nicht verhindern können. Sie hätten u.a. keine Kenntnis von offenen Forderungen oder pflichtwidrigen Geschäftspraktiken des Vorstands gehabt. Sie seien auch nicht verpflichtet gewesen, sämtliche Buchungsvorgänge zu überprüfen.

3 Entscheidung

Das OLG Stuttgart hat die Beschwerde des Insolvenzverwalters gegen den Beschluss der Vorinstanz zurückgewiesen. In seiner Begründung hat das OLG zunächst darauf hingewiesen, dass die Aufsichtsratsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds zu wahren haben (§§ 116 i. V. m. 93 Abs. 1 Satz 1 AktG). Verletzen sie diese Pflicht, sind sie nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Eine Pflichtverletzung liege aber nicht vor, wenn das Aufsichtsratsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG).

Nach den weiteren Ausführungen des Gerichts gelten für die Haftung des Aufsichtsrats – wie für die Vorstandshaftung – spezifische Darlegungs- und Beweislastregelungen:

Im vorliegenden Fall trifft den Antragsteller die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass und inwieweit dem Antragsgegner durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds in dessen Pflichtenkreis ein Schaden entstanden ist.

Demgegenüber habe das Aufsichtsratsmitglied darzulegen und ggf. zu beweisen, dass es seinen Sorgfaltspflichten genügt hat oder es kein Verschulden trifft oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre. Dies gelte auch dann, wenn dem Aufsichtsratsmitglied das pflichtwidrige Unterlassen einer bestimmten Maßnahme vorgeworfen wird.

Das Gericht hat in seiner Begründung weiter ausgeführt, dass der Umfang der Überwachungspflichten des Aufsichtsrats von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist. Grundsätzlich ist danach die laufende Überwachung des Vorstands in allen Einzelheiten weder zu erwarten noch zulässig; vielmehr genügt es, dass sich der Aufsichtsrat ein Bild über die wesentlichen Grundlagen der Geschäftsführung und die wichtigsten Geschäftsvorfälle mach...

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