Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 5101. schwere Hauterkrankung. Wegfall des Unterlassungszwangs zum 1.1.2021. Auslegung eines Bescheides gem § 9 Abs 4 SGB 7 idF vom 7.8.1996. Eintritt des Versicherungsfalls zum 1.1.2021. Übergangsregelung des § 12 BKV idF vom 12.6.2020

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sinn und Zweck eines Bescheides nach § 9 Abs 4 SGB VII aF war es, Versicherten die Sicherheit zu geben, dass bis auf die tatsächliche Aufgabe der schädigenden Tätigkeit alle Voraussetzungen für eine Anerkennung ihrer Erkrankung als Berufskrankheit gegeben waren. Ergibt die Auslegung das Vorliegen eines Bescheides nach § 9 Abs 4 SGB VII aF ist nach Wegfall des Unterlassungszwangs zum 1.1.2021 eine erneute Prüfung der medizinischen Voraussetzungen der BK 5101 ausgeschlossen.

2. Auch bei Anwendung des § 12 BKV sind die im Bescheid nach § 9 Abs 4 SGB VII (alt) getroffenen Entscheidungen zu respektieren, eine erneute Überprüfung der seinerzeit getroffenen Feststellungen ist daher nicht zulässig.

 

Orientierungssatz

1. Die Übergangsregelung des § 12 BKV idF vom 12.6.2020 erfasst nur bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Fälle. Diese Vorschrift soll sicher stellen, dass ab dem 1.1.2021 für diese Fälle Leistungen ohne Antrag geprüft werden sollen (BT-Drs 19/17586, 133). Für laufende Verfahren bedarf es dieses Schutzes nicht. Dass der Versicherungsfall im Laufe des Gerichtsverfahrens eingetreten ist (nämlich mit Wegfall des Unterlassungszwangs zum 1.1.2021), ist unerheblich.

2. Der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls ist auf den 1.1.2021 festzulegen. Der Zeitpunkt des Versicherungsfalles wird definiert durch den Beginn der Berufskrankheit. Dies ist der Tag, an dem erstmals alle Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufskrankheit vorliegen. Dies war hier erst mit Wegfall des Unterlassungszwangs der Fall.

 

Tenor

Unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Meiningen vom 31. März 2021 und Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 23. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2016 wird die Beklagte verurteilt, eine Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung einer Berufskrankheit der Nr. 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, im Folgenden als BK 5101 bezeichnet).

Die 1987 geborene Klägerin war ab dem 1. Juli 2011 als Praktikantin bzw. Auszubildende im Bereich der Fahrzeuglackiererei tätig. Am 18. September 2014 erstattete ihre behandelnde Hautärztin P eine Verdachtsanzeige hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der BK 5101 und begründete dies mit dem Verdacht auf das Vorliegen einer berufsbedingten Dermatose, insbesondere eines Handekzems. Der Betriebsarzt und Facharzt für Arbeitsmedizin T äußerte in einem Bericht vom 5. Dezember 2014 ebenfalls den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufsdermatose. Zum 30. November 2014 beendete die Klägerin ihre Tätigkeit als Lackiererin. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD) führte in seiner Stellungnahme vom 26. Februar 2015 aus, dass die Klägerin vom 1. Juli 2011 bis 31. Juli 2014 zunächst als Praktikantin und später im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses als Fahrzeuglackiererin tätig gewesen sei. Vom 16. August 2014 bis 30. November 2014 habe sich eine reguläre Tätigkeit als Lackiererin angeschlossen. Ausweislich des Berichts beklagte die Klägerin bereits Mitte 2013 Hautreaktionen insbesondere an den Fingergrundgelenken.

Die Beklagte veranlasste ein dermatologisches Gutachten durch C vom 20. April 2015. Dieser stellte auf seinem Fachgebiet die Diagnose einer berufsbedingten Irritationsdermatose und eines berufsbedingten Asthma bronchiale. Der tägliche Kontakt zu den Farben und Lackkomponenten sei als ursächlich für die Hauterscheinungen anzusehen. Von einem haftungsbegründenden Kausalzusammenhang sei zweifelsfrei auszugehen. Die Erkrankung habe für 18 Monate in klinisch leichter bis mittelschwerer Form mit mehrfacher Arbeitsunfähigkeit bestanden. Die Anforderungen zur Anerkennung als BK 5101 seien erfüllt. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) im rentenberechtigenden Ausmaß sei nicht festzustellen. Mit Schreiben vom 2. Mai 2015 teilte die Klägerin schriftlich mit, dass sie ihre berufliche Tätigkeit als Fahrzeuglackiererin am 1. Dezember 2014 endgültig und nicht nur vorübergehend aufgegeben habe. Vorgelegt wurde insoweit auch eine schriftliche Kündigung durch ihren Arbeitgeber vom 20. Oktober 2014 mit Wirkung zum 30. November 2014. Die Gewerbeärztin W empfahl in ihrer Stellungnahme vom 8. Juli 2015, die BK 5101 nicht anzuerkennen. Durch die kurzfristige Aufhebung des Arbeitsverhältnisses hätten keine Maßnahmen nach § 3 BKV am Arbeitsplatz mehr ergriffen werden können. Daher sei davon auszugehen, da...

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