Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmerüberlassung. Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen wegen Unwirksamkeit des CGZP-Tarifvertrags. Beitragsvorenthaltung. bedingter Vorsatz. Verletzung der Aufzeichnungspflicht seitens des Arbeitgebers. Schätzungsberechtigung des Rentenversicherungsträgers hinsichtlich des Arbeitsentgelts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist vom Arbeitgeber an die Einzugsstelle der Sozialversicherung zu zahlen. Den Arbeitnehmeranteil des Beitrags kann der Arbeitgeber gleichzeitig bei seinem Arbeitnehmer vom Lohn abziehen. Dieses Recht besteht nach § 28g S 3 SGB 4 nur innerhalb von drei Monaten. Wird die Frist versäumt, muss der Arbeitgeber die gesamte Nachzahlung allein tragen.

2. Hat der Arbeitgeber den Beitrag vorsätzlich vorenthalten, so gilt nach § 25 Abs 1 SGB 4 die 30-jährige Verjährungsfrist.

3. Die Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes sind erfüllt, wenn der Arbeitgeber zwar noch nicht sicher weiß, dass eine Beitragspflicht besteht, er aber eine solche Beitragspflicht für möglich hält und sich damit abfindet.

4. Hat der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nicht erfüllt und kann dadurch die Beitragshöhe nicht festgestellt werden, so ist der Versicherungsträger nach § 28f Abs 2 SGB 4 berechtigt, die Höhe der Arbeitsentgelte zu schätzen, soweit er deren Höhe nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann.

 

Orientierungssatz

1. Die Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes unterscheiden sich im Sozialrecht nicht von den allgemeinen Voraussetzungen, die für das Zivilrecht entwickelt worden sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt ein Mensch auch dann mit bedingtem Vorsatz, wenn das Ergebnis seines Handelns für ihn eigentlich unerwünscht ist. Es genügt, wenn er dieses Ergebnis “nur als möglich voraussieht„. Der Handelnde nimmt dieses Ergebnis aber deshalb in Kauf, weil er sein eigentliches Ziel nicht anders erreichen kann (vgl BGH vom 15.7.2008 - VI ZR 212/07).

2. Nach der Regel des BGB gilt: Wenn einer der Vertragspartner geschäftsunfähig ist, dann sind die Verträge, die er - für sich oder als Vertreter für andere - geschlossen hat, von Anfang an nichtig und nicht etwa erst ab dem Zeitpunkt, in dem ein Arzt seine Geschäftsunfähigkeit feststellt (§ 105 BGB). Ein guter Glaube des Geschäftspartners an die Geschäftsfähigkeit des Kranken wird genauso wenig geschützt wie der gute Glaube von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern an die Wirksamkeit eines Tarifvertrags (vgl BAG vom 20.11.2013 - 5 AZR 776/12).

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 24.703,35 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin überlässt so genannte Zeitarbeiter an andere Unternehmen. Im vorliegenden Verfahren ist streitig, ob die Klägerin einen Teil der Sozialversicherungsbeiträge für ihre Mitarbeiter vorsätzlich vorenthalten hat. Die Deutsche Rentenversicherung Bund fordert 24.703,35 EUR für die Zeit von Dezember 2005 bis Dezember 2009.

Im streitigen Zeitraum galt für Zeitarbeits-Firmen bereits ein gesetzlicher Mindestlohn nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Die Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen hatten (und haben) einen Anspruch darauf, den gleichen Lohn zu erhalten wie die Arbeitnehmer in den Unternehmen, wo sie eingesetzt waren (Grundsatz des “equal pay„). Geringere Löhne durften (und dürfen) nur gezahlt werden, wenn das in einem gültigen Tarifvertrag vereinbart worden ist. Die Klägerin hat im streitigen Zeitraum an ihre Mitarbeiter geringere Löhne ausgezahlt. Sie bezog sich dabei auf Tarifverträge, die ihr Arbeitgeberverband mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) geschlossen hatte.

Das Arbeitsgericht Berlin stellte mit Beschluss vom 1. April 2009 fest, dass die CGZP “nicht tariffähig ist„ (Aktenzeichen 35 BV 17008/08). Diese Entscheidung wurde in zwei weiteren Gerichtsinstanzen im Wesentlichen bestätigt: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Dezember 2009 (Aktenzeichen 23 TaBV 1016/09) und Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14. Dezember 2010 (Aktenzeichen 1 ABR 19/10).

Die Deutsche Rentenversicherung Bund erhob mit dem hier streitigen Bescheid vom 8. Februar 2012 eine Nachforderung zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 24.703,35 EUR. Einen Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2012 zurück.

Die Klägerin hält diese Entscheidung für rechtswidrig und hat dagegen Klage vor dem Sozialgericht erhoben.

Zu Begründung führt die Klägerin unter anderem aus: Die Klägerin habe, wie auch die anderen Zeitarbeits-Unternehmen, auf die Anwendbarkeit des Tarifvertrages vertraut. Sie sei in diesem Vertrauen geschützt. Sofern die Deutsche Rentenversicherung ihre Nachforderungen bei allen betroffenen Zeitarbeit-Unternehmen realisiere, dürfte mehr als die Hälfte aller Unternehmen insolvent werden. Einige Unternehmen hätten bereits jetzt Insolvenz angemeldet. Unternehmer und Arbeitnehmer...

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