Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Beitragsnachforderung. Unzulässigkeit des Erlasses eines Summenbescheides nach § 28f Abs 2 SGB 4, wenn Verwaltungsaufwand für personenbezogene Feststellung nicht unverhältnismäßig ist

 

Leitsatz (amtlich)

Der Erlass eines Summenbescheides nach Durchführung einer Arbeitgeberprüfung (§ 28p SGB IV) ist nicht zulässig, obwohl der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflichten nach § 28f SGB IV verletzt hat, wenn zahlreiche Arbeitnehmer namentlich bekannt sind und ihre Einsatzzeiten für den geprüften Arbeitgeber aus den bei Erlass des Beitragsbescheides bereits vorhandenen Unterlagen des Hauptzollamtes oder der Staatsanwaltschaft teilweise taggenau festgestellt werden können.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 01.09.2021 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 2,5 Millionen € festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig sind nachgeforderte Sozialversicherungsbeiträge, Umlagen und Säumnisgebühren in Höhe von 5.249.376,04 €.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter der U-GmbH, N (Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das Amtsgericht [AG] Heilbronn am 01.03.2018 - 4 IN 626/17). Das Unternehmen wurde von dem Geschäftsführer U1 (geboren 1956) und dem Buchhalter bzw Prokuristen A (geboren 1960) geführt. Im Juni 2013 leitete das Hauptzollamt H gegen die U-GmbH nach dem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit (SchwarzArbG) ein Ermittlungsverfahren ein (Schlussbericht vom 15.07.2014). Als Resümee der Ermittlungen ergab sich aus Sicht des Hauptzollamtes, dass von der U-GmbH mindestens seit 2006 in großem Stil Arbeiter eingesetzt worden seien, die - um bei Kontrollen nicht aufzufallen - offiziell bei sogenannten Servicefirmen angestellt gewesen seien. Von den Servicefirmen seien die Arbeiter nur mit sehr geringen Löhnen zur Sozialversicherung angemeldet worden, zum Teil seien Sozialabgaben auch gar nicht abgeführt worden. Faktisch seien die Arbeiter aber in den tatsächlichen Betrieb der U-GmbH integriert gewesen, es habe sich also quasi um festangestelltes Personal gehandelt. Denn die Arbeiter hätten dem vollständigen Weisungsrecht der U-GmbH unterlegen. Somit wäre es Sache der U-GmbH gewesen, für diese Personen Sozialabgaben abzuführen. Dieser Verpflichtung sei die U-GmbH nicht nachgekommen. Stattdessen habe die U-GmbH Rechnungen der Servicefirmen in die eigene Buchhaltung eingebucht und die Rechnungsbeträge sodann auf die Geschäftskonten der Servicefirmen überwiesen. Die Servicefirmen hätten über die eingegangenen Gelder umgehend in bar verfügt oder die eingegangenen Gelder über die Konten weiterer Servicefirmen gewaschen. Mit den betreffenden Geldern hätten die Kolonnenführer der Servicefirmen in konspirativer Weise den Schwarzlohn an das Servicepersonal, also die Beschäftigten der U-GmbH ausgezahlt. Von den bei den Servicefirmen eingegangenen Geldern - seit 2006 rund 60 Millionen € - stammten alleine 11.187.543,33 € von den Firmen des Beschuldigten U1 (neben der U-GmbH noch die G GmbH & Co. KG i. L, G1 GmbH & Co. KG sowie die U2 GmbH). Bei der Schadensberechnung sei im Rahmen einer Schätzung ein Lohnanteil von mindestens 70% vom Nettoumsatz der Servicefirmen angenommen worden. Die entsprechenden Beträge seien dann in Anwendung von § 14 Abs 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) in einen monatlichen Bruttolohn hochgerechnet worden. Auf dieser Basis seien dann die vorenthaltenen Sozialversicherungsabgaben berechnet worden. Für die Zeit von März 2006 bis einschließlich Dezember 2013 ergebe sich somit zu Lasten der U-GmbH folgender Schaden: Beitragsschaden Sozialversicherung 3.758.561,95 €, Säumniszuschläge 1.263.956,50 €, Umlagen 29.619,10 €.

Mit Schreiben vom 30.10.2015 hörte die Beklagte die U-GmbH zur für die Zeit vom 01.11.2006 bis zum 31.12.2013 beabsichtigten Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von 5.052.297,93 € an (darin enthalten Säumniszuschläge iHv 1.264.033,00 €) und machte sich die Ergebnisse des Hauptzollamtes zu eigen. Um Sozialversicherungsbeiträge einzusparen, habe die U-GmbH in der Zeit von März 2006 bis Dezember 2013 den zuständigen Sozialversicherungsbehörden verheimlicht, dass für eine Vielzahl von an sich sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmern die Löhne zum Teil schwarz ausgezahlt worden seien. Das hierfür erforderliche Schwarzgeld sei über sogenannte Scheinrechnungen/Abdeckrechnungen, die in die Buchhaltung der U-GmbH eingestellt worden seien, generiert worden. Die entsprechenden Rechnungsbeträge seien auf die Geschäftskonten der rechnungstellenden Servicefirmen überwiesen worden. Von diesen Geldern habe die U-GmbH dann einen prozentualen Anteil zurückerhalten („Kick-Back-Zahlungen“) und zur Auszahlung der Schwarzlöhne verwendet. Zum anderen habe die U-GmbH über lange Jahre hinweg Gerüstbauarbeiter beschäftigt, die bei einer Vielzahl von Servicefirmen zum Schein zur Sozialversicherung angemelde...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen