Leitsatz (amtlich)

Die Regelung des DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 8 (Fassung: 1974-04-11) - Kürzung des Vergleichseinkommens auf 75 % mit Vollendung des 65. Lebensjahres - gilt auch in den Fällen, in denen der Beamte kraft Gesetzes erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres in den Ruhestand tritt (hier: Lehrer und Schulleiter).

 

Normenkette

BVG§30Abs3u4DV § 8 Fassung: 1974-04-11

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16. September 1975 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der am 14. November 1909 geborene Kläger ist von Beruf Lehrer; er war zuletzt Rektor einer Volksschule. Wegen der anerkannten Schädigungsfolgen (u. a. Lungentuberkulose) wurde er vorzeitig zum 31. Juli 1972 in den Ruhestand versetzt.

Der Kläger bezog Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v. H. (Bescheid vom 23. November 1961). Auf seinen Antrag vom 8. Dezember 1972 wurde die MdE auf 90 v. H. erhöht; darin ist ein besonderes berufliches Betroffensein mit 10 v. H. berücksichtigt.

Mit Bescheid vom 24. Juli 1974 wurde dem Kläger ab Dezember 1972 (Antragsmonat) ein Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 14 gewährt. Durch einen weiteren Bescheid vom 15. November 1974 wurden bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs gemäß § 8 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 Abs. 3 und Abs. 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) von Dezember 1974 an (Vollendung des 65. Lebensjahres) als Vergleichseinkommen nur noch 75 v. H. der bisherigen Beträge angesetzt. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 1975).

Mit der Klage machte der Kläger geltend, gemäß § 44 Abs. 2 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen träten Leiter und Lehrer an öffentlichen Schulen erst mit Ablauf des letzten Monats des Schuljahres, in dem sie die Altersgrenze erreichten, in den Ruhestand. Daher müsse ihm der ungekürzte Berufsschadensausgleich bis zum 31. Juli 1975 gewährt werden.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 16. September 1975 abgewiesen. In den Gründen wird ausgeführt, die Kürzungsvorschrift des § 8 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG gelte generell für alle Kriegsbeschädigten. Weder aus dem Inhalt noch dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift sei zu erkennen, daß sie ausnahmsweise für Lehrer nicht zur Anwendung kommen solle.

Das SG hat die Berufung und die Revision zugelassen.

Der Kläger hat mit Zustimmung des Beklagten Sprungrevision eingelegt.

Er beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 15. November 1974 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 1975 sowie das Urteil des SG Gelsenkirchen vom 16. September 1975 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 1. Dezember 1974 bis zum 31. Juli 1975 den vollen Berufsschadensausgleich ohne Anwendung des § 8 der DVO zu § 30 Abs. 3 ff BVG zu gewähren,

sowie dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

In seiner Revisionsbegründung rügt der Kläger die Verletzung des § 30 Abs. 3 ff BVG i. V. m. § 8 DVO (i. d. F. vom 11.4.1974) und i. V. m. § 44 Abs. 2 Landesbeamtengesetz Nordrhein-Westfalen (LBG-NRW). Zur Begründung trägt er vor, die Reduzierung des Vergleichseinkommens auf 75 v. H. sei jedenfalls in den Fällen nicht gerechtfertigt, in denen der Berechtigte über sein 65. Lebensjahr hinaus seine bisherige Tätigkeit weiter ausgeübt hätte. Es bestehe kein Erfahrungssatz des Inhalts, daß Arbeiter, Angestellte oder Beamte "in aller Regel" mit der Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem aktiven Berufsleben ausscheiden. So sei für Bundesrichter (§ 48 des Deutschen Richtergesetzes) und für einzelne Beamtengruppen (§ 41 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes - BBG -) gesetzlich eine andere Altersgrenze bestimmt worden. Eine vergleichbare Regelung enthalte auch § 44 LBG - NRW. Konkret auf den hier strittigen Fall bezogen schreibe § 44 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 dieses Gesetzes vor, daß " ... Leiter und Lehrer an öffentlichen Schulen ... erst mit Ablauf des letzten Monats des Schuljahres, in dem sie die Altersgrenze erreichen, in den Ruhestand treten". Daraus folge zwangsläufig, daß der Kläger kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung auch über die Vollendung seines 65. Lebensjahres am 14. November 1974 hinaus bis zum Ende des Schuljahres, nämlich bis zum 31. Juli 1975, als Volksschulrektor weiter im aktiven Schuldienst gestanden hätte, wenn er nicht wegen seiner anerkannten Schädigungsfolgen vorzeitig zum 31. Juli 1972 hätte pensioniert werden müssen. Entsprechend habe auch sein daraus resultierender wirtschaftlicher Schaden bis zum 31. Juli 1975 ungeschmälert fortbestanden. Auch der im Recht des Berufsschadensausgleichs herrschende Grundsatz der Pauschalierung und Generalisierung könne zu keinem anderen Ergebnis führen. § 8 der DVO sei auslegungsfähig und auch auslegungsbedürftig. In Zweifelsfällen seien Gesetze derart auszulegen, daß sie zur Rechtsverwirklichung in einem sozialen Staat dienen könnten.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er führt aus, der Gesetzestext des § 8 DVO sei eindeutig. Vorschriften mit eindeutigem Wortlaut seien in der Regel wortgetreu anzuwenden. Es sei auch nicht anzunehmen, daß der Verordnungsgeber bei Schaffung des § 8 DVO 1974 bzw. der diesem vorausgehenden Regelungen in den §§ 3 bis 7 DVO aF die Fälle der vorliegenden Art übersehen und deshalb oder aus anderem Grunde unterlassen habe, diese Fälle abweichend zu regeln.

 

Entscheidungsgründe

Die vom SG zugelassene Sprungrevision des Klägers ist zulässig (§§ 161, 164, 166, 169 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist jedoch unbegründet.

Gemäß § 8 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (i. d. F. vom 11.4.1974, BGBl I 927 - DVO 1974 -) sind vom Ersten des Monats, der auf den Monat folgt, in dem der Beschädigte das 65. Lebensjahr vollendet, als Vergleichseinkommen 75 v. H. der nach den §§ 3 bis 7 ermittelten Beträge anzusetzen. Diese Regelung war früher - nahezu gleichlautend - in § 3 DVO als Absatz 5 (DVO 1964) bzw. Absatz 6 (DVO 1968) enthalten. Der Senat hat bereits entschieden, daß die genannte Regelung durch die in § 30 Abs. 7 (jetzt Abs. 8) BVG enthaltene Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlaß einer Rechtsverordnung gedeckt ist (vgl. Urteil vom 16. Februar 1967, SozR DVO 1964 § 4 Nr. 1). Der Kläger hat insoweit auch keine Einwendungen erhoben.

Die Regelung des § 8 DVO ist ihrem Wortlaut nach eindeutig. Sie ist aber auch sinnvoll und insoweit weder auslegungsbedürftig noch auslegungsfähig. Die Erwägungen des Klägers, daß in seinem Fall die Herabsetzung des Berufsschadensausgleichs bis zur Beendigung des Schuljahres 1974/75 (31. Juli 1975) hinausgeschoben werden müsse, weil nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 LBG - NRW (i. d. F. vom 6. Mai 1970, GVBl NRW 1970 S. 344) Leiter und Lehrer an öffentlichen Schulen erst mit Ablauf des letzten Monats des Schuljahres, in dem sie die Altersgrenze (von 65 Jahren) erreichen, in den Ruhestand treten, greifen nicht durch. Der Kläger verkennt insoweit, daß beim Berufsschadensausgleich der Gesichtspunkt einer individuellen Entschädigung zugunsten eines generalisierten und pauschalierten Maßstabes zurücktreten muß (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -; BSGE 27, 69; 38, 160, 166; siehe auch BVerfGE 26, 16). Die Regelung des § 8 DVO 1974 ist als Ausdruck eines allgemeinen Prinzips anzusehen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 16. Oktober 1974, BSGE 38, 160, 165). Gleichermaßen ist auch die Gewährung des Alterszuschlags für Schwerbeschädigte an die Vollendung des 65. Lebensjahres geknüpft (vgl. § 31 Abs. 1 Satz 2 BVG). Der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber hat sich den allgemeinen Regelungen über die Altersgrenzen und den Eintritt in den Ruhestand im Beamtenrecht (vgl. § 41 BBG) und im Rentenrecht (vgl. § 1248 Abs. 1 RVO, § 25 Abs. 1 AVG, beide i. d. F. vor dem Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972, BGBl I 1965 - RRG -) angepaßt. Darauf deutet auch die frühere Bezugnahme in §§ 4, 5, 6 und 7 DVO auf § 3 Abs. 6 DVO hin. Der vom Kläger angesprochene "Verzichtszuschlag" gemäß §§ 1248 Abs. 6, 1254 Abs. 1 a RVO - bei Inanspruchnahme des Altersruhegeldes nach Vollendung des 65. Lebensjahres - beruht auf anderen rechtlichen und wirtschaftlichen Erwägungen. Er berührt nicht die in § 8 DVO getroffene Regelung.

Dem Verordnungsgeber war durchaus bekannt, daß es einzelne Beamtengruppen gibt, die - wie z. B. die Lehrer - kraft Gesetzes erst einige Monate nach Vollendung des 65. Lebensjahres in den Ruhestand treten (vgl. auch § 41 Abs. 2 BBG), während dies umgekehrt bei anderen Gruppen von Beamten und öffentlich Bediensteten mehrere Jahre vor diesem Zeitpunkt geschieht (z. B. Polizeibeamte, Bundesgrenzschutz, Bundeswehr). Dem Verordnungsgeber war weiter bekannt, daß durch das RRG die Altersgrenze im Rentenrecht für Arbeiter und Angestellte auf die Vollendung des 63. Lebensjahres vorverlegt worden ist (vgl. § 1248 Abs. 1 RVO, § 25 Abs. 1 AVG, jeweils i. d. F. des RRG). Wenn der Verordnungsgeber es bei Erlaß der DVO 1974 gleichwohl bei der Vollendung des 65. Lebensjahres belassen und wenn er diese Regelung nunmehr als besonderen Paragraphen in die DVO eingefügt hat, so bestätigt das nur die bisherige Rechtsprechung, daß die Vollendung des 65. Lebensjahres für alle Schwerbeschädigten gleichermaßen maßgebend ist, ohne Rücksicht darauf, ob sie im Einzelfall oder aufgrund besonderer gesetzlicher Regelung vor oder nach diesem Zeitpunkt aus dem Erwerbs- bzw. Berufsleben ausscheiden (vgl. auch Urteile BSG vom 25. Juli 1967 - 9 RV 892/65 - und vom 26. November 1968 - 9 RV 908/66 -).

Die angefochtenen Bescheide sind daher rechtmäßig; das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen; die Sprungrevision des Klägers ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648765

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