Umgangsboykott der Mutter rechtfertigt keinen Entzug des Sorgerechts
Ehe gescheitert - der Streit um die Kinder beginnt
Der Mutter wurde vom Familiengericht im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und dem Vater übertragen. Des Weiteren wurde die Herausgabe der Kinder an das Jugendamt angeordnet und die beiden Töchter sollten mit Zustimmung des Vaters in geeigneten Pflegefamilien untergebracht werden.
Grund für die Entscheidung war der Boykott der Mutter gegen das vom Gericht angeordnete Umgangsrecht. Die Eltern hatten sich 2006 getrennt, die beiden aus der Ehe stammenden Töchter lebten seither bei ihrer Mutter. Im Jahr 2007 wurde im Einverständnis des Vaters das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Mutter übertragen. Durch einen knapp zwei Jahre später ergangenen Beschluss wurde der Umgang der Töchter mit ihrem Vater geregelt. Die Beschwerde der Mutter gegen diese Entscheidung wurde vom OLG Koblenz zurückgewiesen.
Trotz Anordnung des Umgangs: Besuche beim Vater von der Mutter abgesagt
In der Folgezeit wurden Besuchstermine bei dem Vater wegen Krankheit der Kinder abgesagt und die Mutter beantragte die vorläufige Aussetzung des Umgangs. Vor Gericht gaben die Kinder an, dass sie den Vater nicht mehr besuchen wollten. Das Gericht ordnete daraufhin ein Sachverständigengutachten an zur Frage, welche Ausgestaltung des Umgangs mit dem Vater dem Wohl der Kinder am meisten diene. Der Sachverständige empfahl in seinem Gutachten, die Kinder nicht in der Obhut der Mutter zu belassen. Die Mutter übertrage ihre übersteigerten Ängste gegenüber ihrem Ex-Mann auf ihre Kinder, so die Gutachterin.
OLG: Akute, massive Beeinträchtigung des Kindeswohl
Durch die Aussetzung der Umgangskontakte mit dem Vater käme es zu einer Beeinträchtigung der Bindungsbereitschaft, zur Verfestigung eines negativen Vaterbildes mit der Folge einer nicht gelingenden Persönlichkeits- und Autonomieentwicklung der beiden Töchter. Ein Umgangspfleger oder weitere Zwangsmittel wären aufgrund der fehlenden mütterlichen Mitwirkung nicht erfolgversprechend.
Daraufhin wurde der Mutter ohne vorherige Anhörung die elterliche Sorge entzogen. Die Beschwerde gegen die Entscheidung wurde vom OLG zurückgewiesen, da die hartnäckigen Boykotte der Mutter das Kindeswohl massiv gefährden.
Erziehung der Kinder grundrechtlich verankertes Recht der Eltern
Dies sah das Bundesverfassungsgericht jedoch anders: Nach dessen Ansicht wird die Mutter durch die Gerichtsentscheidung in ihrem Recht zur Erziehung und Pflege der Kinder gem. Art. 6 Abs. 2 S.1 GG verletzt. Die Erziehung der Kinder sei primär in die Verantwortung der Eltern gelegt. Daher könnten die Eltern grundsätzlich frei entscheiden, wie sie ihre Kinder erziehen und damit ihrer elterlichen Verantwortung gerecht werden wollen. Hierbei müsse aber das Kindeswohl stets berücksichtigt werden. Die Trennung des Kindes von seinen Eltern als stärkster Eingriff nach Art. 6 Abs. 3 GG ist daher nur zulässig, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Verwahrlosung der Kinder aus anderen Gründen drohe. Hierfür genüge jedoch nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit, so die obersten Richter.
Vielmehr müsse das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht haben, dass durch das Verbleiben des Kindes in der Familie dieses in seiner geistigen, körperlichen und seelischen Entwicklung erheblich gefährdet ist. Dabei müsse der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz strikt beachtet werden (BVerfG, Beschluss v. 17.02.1982, 1 BvR 188/80). In erster Linie müsse der Staat versuchen, durch helfende und unterstützende Maßnahmen ein verantwortungsbewusstes Verhalten der Eltern wieder herzustellen.
Folgen der Fremdunterbringung für die Kinder nicht genügend hinterfragt
Im vorliegenden Fall belegen die Feststellungen der Gerichte nicht hinreichend, dass eine die Grundrechtseingriffe rechtfertigende Beeinträchtigung des Kindeswohls zu befürchten sei. Ebenfalls bemängelte das BVerfG, dass sich die Gerichte nicht ausreichend mit den für das Kindeswohl gegenteiligen Folgen der Maßnahme befasst hätten.
Das OLG beispielsweise habe keine Feststellungen darüber getroffen, dass die Fremdunterbringung für die Kinder nicht gravierender sein dürften als die Folgen bei einem weiteren Verbleiben bei der Mutter. Das Gericht setze sich nicht damit auseinander, was es für die Kinder bedeute, aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen zu werden, wobei ihnen auch die bisherige Bezugsperson genommen werde.
Aus Kindessicht verschärfe sich die Situation dadurch, dass auch der Vater nicht als Betreuungsperson in Betracht komme, sondern die Kinder in einer Pflegestelle untergebracht werden sollen. Zudem hatten sich die Entscheidungen nicht genügend mit den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes befasst.
(BVerfG, Urteil v. 28.02.2012, 1 BvR 3116/11).
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