Rezension: Autobiografie von Thomas Sattelberger

Ab morgen ist es in den Regalen der Buchhändler verfügbar: Die Autobiografie "Ich halte nicht die Klappe" von Ex-Personalvorstand Thomas Sattelberger – mit der er sich selbst ein Denkmal setzen will. Eine kritische Würdigung.

Die Autobiografie ist in der Literatur ein Genre, bei dem gefährliche Klippen umschifft werden müssen. Blickt man in der Ich-Perspektive auf sein Leben zurück, ist die Gefahr groß, dass das „Ich“ zu sehr in den Vordergrund tritt, die sozialen und historischen Umstände zu wenig beleuchtet werden und die aktuellen Interessen die Rückschau bestimmen. Sattelberger hat sich an das Genre gewagt und sich dabei Mithilfe bei der SZ-Journalistin Dagmar Deckstein geholt.

Natürlich kann Sattelberger eine Heldengeschichte erzählen: Er hat es aus kleinen Verhältnissen und trotz seiner wilden Jahre in der Außerparlamentarischen Opposition (Apo) ganz nach oben in der Deutschland AG geschafft. Er ist längst nicht mehr nur der bekannteste Personalmanager der Republik, auch in Berliner Regierungskreisen geht er ein und aus. Über seine Heldentaten hat er in Interviews Auskunft gegeben, in seinem Buch erläutert er auf 288 Seiten viele Details dazu: Wie er bei Daimler den Ruf als „Papst der Personalentwicklung“ erwarb, wie ihm die Gründung der ersten Corporate University bei der Lufthansa gelang, wie er die Tarifpolitik der Telekom neu ausrichtete - was Timotheus Höttges, damals Finanzvorstand, mit „Thomas, Du bist mein Held“ goutierte – und wie er die Frauenquote erstmals bei einem Dax-Konzern einführte. Das Muster seiner Ich-Erzählung - veni, vidi, vici - wird nur bei Daimler unterbrochen, wo er das Unternehmen mit einer blutigen Nase verlassen musste.

Die spannendste Passage seiner Biografie handelt von seiner Kindheit und Jugend, die er unter das Motto „Ein schwäbischer Rebell“ stellt.  Der „kleine Thomas“, wie er sich selbst nennt, wurde als „Pfingstbub“ in Munderkingen, einem Dorf am Fuße der Schwäbischen Alb, geboren und wuchs in behüteten Verhältnissen in der Nachkriegszeit auf. Er hatte eine besonders enge Beziehung zu seiner Mutter. Der Vater, der die Woche über weg war und auch am Wochenende noch Akten büffelte, spielte in der Familie keine tragende Rolle. Zwar bewundert der kleine Thomas den Erfolg seines Vaters, der es vom kleinen Dorfbeamten zum Ministerialrat im Stuttgarter Landtag brachte, doch die menschliche Nähe fehlt.

Als Straßenkämpfer zu Daimler

Seine Kindheit verlief unaufgeregt, zum Rebell wurde er erst, als er sich 1967 als Gymnasiast in Stuttgart, wo die Familie mittlerweile lebte, der Schülerbewegung anschloss. Sattelberger tut das nicht als „Jugendsünde“ ab, sondern stellt sich seiner Vergangenheit und setzt sich damit intensiv auseinander. Kritik am Kapitalismus, Demokratisierung der Gesellschaft und sexuelle Befreiung waren die Themen, „die mich über Jahre hinweg mitrissen“.  Er beschreibt, wie er als Agitator wirkte, die Schülerzeitung „Rotkehlchen“ herausgab, Flugblätter verteilte und von Joschka Fischer, der nach Frankfurt weiterzog, die Leitung der „Unabhängigen sozialistischen Schülergemeinschaft“ übernahm.

Wie kam es aber dazu, dass der Kapitalismus-Kritiker die Fronten wechselte und eine Ausbildung bei Daimler begann? Im Unterschied zu Fischer, der sich im Umfeld der undogmatischen Linken bewegte und der Politik treu blieb, geriet Sattelberger im Stuttgarter Raum unter besonders schlimme Sektierer innerhalb der Apo: Beim Kommunistischen Arbeiterbund (KAB) ging es nicht mehr um Diskutieren oder Kameradschaft, sondern um Dogmatismus und Einordnung. Der Rebell litt darunter („Das war die Hölle“) und begann sich zu distanzieren, wofür er - im Rückblick - dem KAB dankbar ist. Der Marsch durch die Institutionen, den viele 68er in die Betriebe führten, sei für ihn schon damals kein Motiv gewesen, da er sich sein Leben nicht als Arbeiter vorstellen wollte. Laut Sattelberger war es die Frage des Broterwerbs, die ihn zu Daimler führte. 

Bei Daimler, einem zentralen Feindbild der Apo, wurde er mit offenen Armen empfangen. Ob er die Kleider der Kapitalismuskritik tatsächlich so schnell ablegen konnte, sei mal dahin gestellt. Als entscheidende Erfahrung beschreibt er aber, dass die Verhältnisse im Betrieb nicht so schlimm waren, wie er sich das als Apo-Aktivist vorgestellt hatte. Schon seine erste Stelle im Bildungswesen beschreibt er als „Traumstelle“. Die Grundlage für seine Karriere  war gelegt.

Was waren die Erfolgsfaktoren seiner grandiosen Karriere? Sattelberger stellt sich gerne als Innovator dar und gibt sich die Attitüde des Unangepasssten. Das Buch ist voll davon. Doch erfolgsentscheidend für seine Dax-Karriere war eine andere Seite von ihm: Er konnte sich schnell auf neue Verhältnisse einstellen, man kann das auch „anpassen“ nennen. Sein Wertesystem war flexibel. Ein gutes Beispiel dafür ist sein Wechsel auf den Vorstandssessel bei der Continental AG, damals die Burg der Shareholder-Value-Denke. Zuvor hatte er dieses Managementmodell abgelehnt, der Wechsel aber war für seine Karriere nützlich: Er konnte sich einen Ruf als harter Personaler aufbauen, ohne den er nicht Personalvorstand der Telekom geworden wäre.

Machtorientierte Karriereplanung

War Sattelberger auch einer der Karrieristen, die alles dem beruflichen Erfolg unterordnen? Sattelberger kommt dieser Gedanke selbst und er schiebt ihn beiseite, um ein anderes Erklärungsmuster anzubieten: Sein Faible für Transformationen. Motiv für seine Wechsel seien Umbruchsituationen gewesen, die hätten ihn gereizt. Doch überzeugt diese Erklärung? Wie wichtig die Karriere für ihn war, zeigt der Blick auf zwei Lebensentscheidungen: Über seine Apo-Vergangenheit redete er erst, als die Stuttgarter Nachrichten das aufdeckten - sein Aufstieg war schon vollzogen. Seine Homosexualität machte er erst öffentlich, als er kein Vorstandsamt mehr innehatte.

In der Biografie gibt er Einblick in die Machtspiele der Manager, schildert seine Kontakte zu Vorständen und Aufsichtsräten. Eines aber findet keinen Platz, das in seinem Leben einen großen Raum einnahm: sein Engagement für die Personalszene. Er hat eng mit Hochschullehrern zusammengearbeitet, viele Vorträge gehalten, ein eigenes Netzwerk aufgebaut und die Debatten in der Personalszene vorangetrieben. Er war mit Leidenschaft und Herzblut dabei, und viele Personaler haben sich an ihm orientiert. Das alles hat Sattelberger ausgeblendet. Das wird viele seiner Mitstreiter, beispielsweise aus der Selbst GmbH, bitter enttäuschen. Über den Grund kann man nur spekulieren: Ist seine Herkunft als Personaler für seine weitere Karriereplanung nicht mehr von Nutzen, weil er in die Politik oder Talkshows will? Oder hätte er sich selbstkritisch eingestehen müssen, dass er seine verbandspolitischen Ziele mit der Selbst GmbH nicht erreichen konnte?

Selbstkritik oder auch die Einordnung des Handels in die jeweilige Zeit gehört nicht zu den Stärken des Biografen. Die Frauenquote war sicherlich seine „historische“ Heldentat. Dass er aber  selbst zuvor jahrzehntelang die Führungskräfteentwicklung verantwortet hat und das Thema nicht vorangebracht hatte, darüber hat er nicht wirklich nachgedacht.

Die Klippen, die um das Genre Biografie liegen, konnte Thomas Sattelberger jedenfalls nicht souverän umschiffen.

Autor: Reiner Straub, Herausgeber Personalmagazin

Zum Buch: Thomas Sattelberger: Ich halte nicht die Klappe. Mein Leben als Überzeugungstäter in der Chefetage. 288 Seiten, Murmann Pub­lishers, Hamburg, 2015. 22 Euro. 

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