Einbeziehung von Krankengeld in den Progressionsvorbehalt

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das gesetzliche Krankengeld - anders als das Krankentagegeld aus einer privaten Krankenversicherung - in den Progressionsvorbehalt einbezogen wird.

Hintergrund

Die Entscheidung betrifft die Frage, ob es verfassungsgemäß ist, dass das von einer gesetzlichen Krankenkasse bezogene Krankengeld - anders als Krankentagegeld aus einer privaten Krankenversicherung - dem Progressionsvorbehalt unterliegt.

A ist in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Sie bezog im Streitjahr 2009 Krankengeld in Höhe von rund 6.900 EUR, das vom FA als Lohnersatzleistung dem Progressionsvorbehalt unterworfen wurde (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG). 

Die dagegen erhobene Klage war im Streitpunkt ohne Erfolg. Das FG war der Ansicht, dadurch, dass nur das Krankengeld aus einer gesetzlichen, nicht aber das Krankentagegeld aus einer privaten Krankenversicherung dem Progressionsvorbehalt unterliege, werde weder der Gleichheitssatz noch das Sozialstaatsprinzip verletzt.

Entscheidung

Ebenso wie das FG verneint auch der BFH einen Verfassungsverstoß. Die Revision wurde daher zurückgewiesen.

Der besondere Steuersatz (Progressionssteuersatz) ist anzuwenden, wenn Lohnersatzleistungen der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung bezogen werden. Der BFH hat bereits für 1999 und 2002 entschieden, dass die Einbeziehung des Krankengelds der gesetzlichen Krankenkassen in den Progressionsvorbehalt verfassungsgemäß ist, obwohl das Krankentagegeld aus einer privaten Krankenversicherung nicht dem Progressionsvorbehalt unterliegt. Ausschlaggebend für diese Rechtsprechung war in erster Linie die unterschiedliche Ausgestaltung in öffentlich-rechtlicher bzw. privater Organisationsform und die dadurch bedingten unterschiedlichen Grundstrukturen sowie die unterschiedliche Ausrichtung durch das Solidarprinzip bei der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und das Äquivalenzprinzip bei der privaten Krankenversicherung andererseits.

An dieser Unterscheidung, die die unterschiedliche Behandlung rechtfertigt, hält der BFH auch für 2009 fest. Die ab 2009 geltende allgemeine Krankenversicherungspflicht und der in der privaten Krankenversicherung eingeführte Basistarif mit Kontrahierungszwang rechtfertigen keine andere Beurteilung. Auch nach Einführung der allgemeinen Krankenversicherungspflicht und des Basistarifs bestehen weiterhin grundsätzlich Unterschiede zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Es kam lediglich zu punktuellen Annäherungen. Die Einführung einer Einheitsversicherung wurde abgelehnt. Der Basistarif wurde nur von einem geringen Teil der privat Versicherten in Anspruch genommen (2009: 0,15 %; 2011: 0,29 %). Darüber hinaus konnte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass die im Basistarif Versicherten typischerweise kein Krankentagegeld erhalten. Die Möglichkeit der Versicherung im Basistarif besteht insbesondere für Selbständige und Beamte. Selbständige erhalten Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung nur im Ausnahmefall und der Anspruch von Beamten ruht regelmäßig, da die Besoldung auch während der Erkrankung gewährt wird. Die Nichteinbeziehung des privaten Krankentagegelds in den Progressionsvorbehalt bei einer Versicherung im Basistarif ist somit nur in Ausnahmefällen von praktischer Bedeutung.

Der BFH verneint auch einen Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip. Dieses gebietet im Steuerrecht lediglich, das Existenzminimum vor einem steuerlichen Zugriff zu verschonen. Dem Sozialstaatsprinzip ist kein Gebot zu entnehmen, Sozialleistungen in einer bestimmten Weise oder einem bestimmten Umfang zu gewähren bzw. Angehörige der gesetzlichen Sozialversicherung mit Angehörigen anderer Sicherungssysteme gleichzustellen.  

Hinweis

Die Frage ist damit für die Praxis im Sinne der Verwaltungsauffassung geklärt. Ausschlaggebend sind die nach wie vor bestehenden Unterschiede in den sozialen Sicherungssystemen. Je weiter sich allerdings in diesem Bereich Annäherungen ergeben, werden daraus auch die steuerlichen Konsequenzen zu beachten sein.

Urteil v. 13.11.2014, III R 36/13, veröffentlicht am 11.3.2015

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