Höhere Gewalt?: BGH stellt klar -  bei Streik sind die Passagiere

Die Lufthansa atmet auf. Mit seinen Entscheidungen vom 21.8. hat der BGH dem Luftverkehrsunternehmen viel Geld gespart. In seinen mit Spannung erwarteten Urteilen hat er den Streik bzw. die Ankündigung eines solchen als höhere Gewalt qualifiziert, die das Unternehmen von der Verpflichtung zur Leistung einer Ausgleichszahlung befreit.

Zwei Kläger hatten die Deutsche Lufthansa auf Erbringung einer Ausgleichzahlung wegen der Annullierung von Rückflügen von Miami nach Köln bzw. nach Frankfurt a.M. im Februar 2010 verklagt. Die Flugannullierung erfolgte wegen eines zuvor ergangenen Aufrufs der Vereinigung Cockpit zum Pilotenstreik. Die Kläger kamen durch die anschließende Umbuchung 3 bzw. 6 Tage später in Deutschland an. Sie machten gegen die Lufthansa eine Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils pauschal 600,-€ geltend.

Recht auf Zahlung der Ausgleichspauschale

Nach Art 7, 5 der europäischen Fluggastrechteverordnung Nr. 261/2004 hat das Luftfahrtunternehmen bei der Annullierung von Flügen an jeden Fluggast eine pauschale Ausgleichssumme in Höhe von 600,- € zu leisten. Nach Art 5 Abs. 3 der Verordnung entfällt diese Verpflichtung, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die „Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären“. Solche außergewöhnlichen Ereignisse sind insbesondere Naturgewalten (Vulkanausbrüche, extreme Wetterbedingungen) oder politische Unruhen.

Pilotenstreik durch Verhandlungen beherrschbar?

Gemeinsam war den in dieser Weise anerkannten außergewöhnlichen Ereignissen bisher, dass sie von außen auf das Unternehmen einwirkten, ohne dass das Unternehmen darauf Einfluss nehmen könnte. Deshalb war es auch bisher die herrschende Meinung unter Juristen, dass der von außen organisierte Streik von Fluglotsen ebenfalls ein solches außergewöhnliches Ereignis ist, das die Ausgleichspflicht entfallen lässt. Spannend war in den anhängigen Fällen, wie der BGH einen im Inneren des Luftfahrtunternehmens entstehenden Streik der Piloten bewerten würde. Hier hätte das Luftfahrtunternehmen ja zumindest die Möglichkeit, durch geschickte Verhandlungsführung oder auch durch Nachgeben Einfluss auf den möglichen Eintritt eines Streiks zu nehmen.

Streik ist wie eine Naturgewalt

Der BGH ordnete die Androhung eines Streiks als ein vom Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbares Ereignis ein. Die Androhung durch die Gewerkschaft erfolge auch von außen und komme in der Regel nicht aus dem Innern des Unternehmens. Ein Streik stehe außerhalb des Rahmens der normalen Betriebstätigkeit des Unternehmens. Arbeitskämpfe seien in ihrem Ablauf unberechenbar und lägen damit außerhalb der durch das Luftfahrtunternehmen kontrollierbaren Regelungszusammenhänge.

Streikaufruf darf nicht übergangen werden

Ein konkreter Streikaufruf verpflichtet das Luftfahrtunternehmen nach Auffassung der Richter geradezu, seinen Flugplan auf die zu erwartenden Gegebenheiten einzustellen, ein Ignorieren des Aufrufs wäre dagegen unverantwortlich. Deshalb sei der Streik im Erwägungsgrund 14 zur Fluggastrechteverordnung auch ausdrücklich als außergewöhnlicher Umstand benannt, so dass nach dem Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck der Verordnung eine andere Qualifizierung nicht in Einklang mit europäischem Recht stünde.

Sachgerechtes Ermessen überprüfbar

Der BGH stellte allerdings auch klar, dass das Luftfahrtunternehmen bei Erstellung des Sonderflugplans, sämtliche ihm zur Verfügung stehende geeignete Maßnahmen zu ergreifen habe, um Nachteile für die Passagiere möglichst weitgehend auszuschließen. Welche Flüge das Unternehmen annulliere liege allerdings in dessen Ermessen. Allein die Tatsache, dass auch ein anderer Flug als der gewählte hätte annulliert werden können, führe jedenfalls nicht zur Rechtsfehlerhaftigkeit der Entscheidung. Während im einen Fall das LG Frankfurt hierzu ausreichend Feststellungen getroffen hatte, hatte dies das LG Köln im anderen Fall unterlassen. Die Klage des Passagiers im „Frankfurter Fall“ wurde daher endgültig rechtskräftig abgewiesen, während die Kölner Richter noch prüfen müssen, ob Lufthansa sämtliche zumutbaren Maßnahmen zur Abwendung von Nachteilen ergriffen hat.

(BGH, Urteile v 21.08.2012, X ZR 138/11 u. X ZR 146/11)

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