Racial Profiling: Personenkontrolle wegen Hautfarbe unzulässig

Das OVG Hamburg hat die Voraussetzungen für eine Feststellung der Identität einer Person durch die Polizei konkretisiert. Unrechtmäßiges „Racial Profiling“ ist gegeben, wenn die Hautfarbe ausschließliches Kriterium für die Personenkontrolle war.

Das OVG Hamburg hat die Klage eines aus Togo stammenden Bewohners des Hamburger Stadtteils St. Pauli auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Identitätsfeststellung abgewiesen. Nach dem Hamburger Urteil war die von dem Kläger angegriffene Personenkontrolle polizeilich gerechtfertigt.

Personenkontrolle an „gefährlichem Ort“

Der dunkelhäutige Kläger war wiederholt in dem Hamburger Stadtteil St. Pauli polizeilich kontrolliert worden. Der Bereich, in dem die Kontrollen stattfanden, wird von der Hamburger Polizei als Kriminalitätsschwerpunkt und als so genannter „gefährlicher Ort“ ausgewiesen.

Gegenstand der Klage waren 4 Kontrollen

Der Kläger war von diesen ständigen Kontrollen äußerst genervt, zumal er als Bewohner des Stadtteils St. Pauli den Kontrollen auf Dauer nicht auszuweichen vermochte. Gegenstand seiner Klage waren vier Einzelkontrollen. Erstinstanzlich nahm der Kläger nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts seine Klage in einem Fall zurück, in einem weiteren Fall erkannte die beklagte „Freie und Hansestadt Hamburg“ die Rechtswidrigkeit der Identitätsfeststellung an. Das VG gab daraufhin in einem der beiden noch verbliebenen Fälle dem Antrag des Klägers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit statt, in einem weiteren Fall wies es die Klage ab.

Präventive Maßnahmen gegen Betäubungsmittelverstöße

Gegenstand des vom Kläger beim OVG betriebenen Berufungsverfahrens war nur noch einer der ursprünglichen vier Fälle. In dem verbliebenen Fall war eine Funkstreife in St. Pauli mit dem Auftrag unterwegs, präventiv sich konspirativ verhaltende Personen hinsichtlich möglicher Verstöße gegen das BTMG zu kontrollieren.

Polizei beobachtete szenetypische Verhaltensmuster

Nach Aussage der Polizeibeamten beobachten diese den Kläger und eine weitere Person, die nach ihrer Darstellung besonders eng nebeneinanderliefen und sich dabei mehrfach umschauten. Nachdem sie die Beamten erblickten, hätten sie ihren Gang auffällig beschleunigt und dabei hektische Bewegungen an ihren Sporttaschen ausgeführt. Dies deuteten die Beamten als konspiratives Verhalten, wie es bei der Begehung von Rauschgiftdelikten typischerweise zu beobachten sei.

Identitätsfeststellung bei Gefahrenverdacht zulässig

Das OVG beurteilte die aufgrund dieser Beobachtungen durchgeführten Identitätsfeststellung des Klägers sowie seines Begleiters als rechtmäßig gemäß den Vorschriften des Hamburger Polizeigesetzes. Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 PolDVG dürfe die Polizei die Identität einer Person feststellen, soweit dies im Einzelfall zur Abwehr einer bevorstehenden Gefahr erforderlich ist. Das Merkmal der bevorstehenden Gefahr erfasst nach Auslegung des OVG auch den Gefahrenverdacht. Die Standardmaßnahme der Identitätsfeststellung sei nicht nur zur Abwehr einer konkreten Gefahr zulässig, sondern als Vorfeldmaßnahme zur Kenntniserlangung von der Identität einer Person sowie zur Erforschung und zur weiteren Aufklärung verdächtiger Umstände.

Konspiratives Verhalten begründet Gefahrenverdacht

Die Anerkennung des Gefahrenverdachts als Unterfall der klassischen polizeilichen Gefahrenabwehr ist nach Auffassung des Senats mit dem GG vereinbar. Dies gelte jedenfalls für die mit geringer Eingriffsintensität verbundene allgemeine Identitätsfeststellung. Die Maßnahme müsse allerdings durch konkrete objektive Umstände bzw. Beobachtungen veranlasst sein. Die konkret von der Polizei beobachteten, aus ihrer Sicht konspirativen Verhaltensweisen waren hierfür nach Auffassung des OVG ein hinreichender Anlass.

Bewertung des Verhaltens nachvollziehbar

Mit dieser Bewertung verband das OVG den Schluss, dass die Identitätsfeststellung im konkreten Fall nicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstieß. Anlass für die Identitätsfeststellung war nach Überzeugung des Gerichts nicht die Hautfarbe des Klägers, sondern die Beobachtung der konspirativen Verhaltensweisen. Die Schlussfolgerung konspirativen Verhaltens sei aufgrund der Beobachtungen nachvollziehbar und vertretbar.

Keine Kausalität zwischen Hautfarbe und Kontrolle

Das OVG stellte klar, dass die Identitätsfeststellung unzulässig gewesen wäre, wenn die dunkle Hautfarbe des Klägers der entscheidende Auslöser für diese polizeiliche Maßnahme gewesen wäre. Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG schütze vor irrationalen und haltlosen Vorurteilen und insgesamt vor rassistischer Diskriminierung (BVerfG, Beschluss v. 2.11.2020, 1 BvR 2727/19). Ein Kausalzusammenhang zwischen Hautfarbe des Klägers und der durchgeführten Personenkontrolle war nach Auffassung des OVG aber nicht festzustellen.

Polizei darf Erscheinungsbild einbeziehen

Ergänzend stellte das OVG fest, dass das in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG enthaltene Verbot der Diskriminierung aus religiösen, politischen oder rassistischen Gründen kein Totalverbot für die gefahrenabwehrrechtliche Arbeit der Polizei bedeute. Für die Arbeit der Polizei sei es vielmehr sachgerecht und üblich, in bestimmten Situationen das äußere Erscheinungsbild von Personen mit zu berücksichtigen. Entscheidend sei, dass die Maßnahmen sich nicht als diskriminierende Differenzierung nach Rasse oder Herkunft darstellt, sondern anlässlich einer bestimmten Situation und anlässlich charakteristischer Verhaltensweisen an einem gefährlichen Ort die Beamten sich zu der Identitätsfeststellung veranlasst sahen.

Hautfarbe als Teilkriterium erlaubt?

Das OVG ließ es ausdrücklich dahingestellt, ob an dem gefährlichen Ort St. Pauli die Täter von Betäubungsmittelstraftaten statistisch signifikant erhöht eine dunkle Hautfarbe aufweisen und inwieweit in diesem Fall die Hautfarbe innerhalb eines „Motivbündels“ für eine Identitätsfeststellung durch die Polizei eine Rolle spielen darf. Im konkreten Fall habe die Hautfarbe jedenfalls keine kausale Rolle gespielt.

Berufung zurückgewiesen, Kosten geteilt

Mit diesen Argumenten hat das OVG die Klage in dem im Rahmen der Berufung noch verbliebenen Fall abgewiesen. Im Hinblick darauf, dass das Verfahren insgesamt in zwei Fällen zu Gunsten des Klägers ausgegangen ist, in den beiden anderen Fällen gegen ihn hat das Gericht den Parteien die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte auferlegt.


(OVG Hamburg, Urteil v. 20.1.2022, 4 Bf 10/21)


Hintergrund

Menschen dunkler Hautfarbe berichten immer wieder über eine herabwürdigende oder diskriminierende Behandlung durch deutsche Behörden. Einige Untersuchungen belegen, dass sie häufiger ohne besonderen Anlass durch Polizeibeamte kontrolliert werden. Diese erhöhte Kontrollbereitschaft wird allgemein als „Racial Profiling“ bezeichnet.

Identitätsfeststellung an gefährlichen Orten

Die Polizeigesetze der Länder normieren wortgleich oder ähnlich wie die für die Bundespolizei geltende Vorschrift des § 23 Abs. 2 Nr. 1a BPolG, dass die Polizei die Identität einer Person feststellen darf, wenn sie an einem Ort angetroffen wird, von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder begehen (gefährliche Orte). Diese Vorschrift wird von Verfassungsrechtlern teilweise kritisiert, weil sie zu unbestimmt sei und die Polizei zu Vorfeldmaßnahmen mit erheblicher Streubreite ermächtige und damit einem „Racial Profiling“ Tür und Tor öffne.

Hautfarbe wird teilweise als Anlass anerkannt

Immer häufiger landen Fälle des wirklichen oder vermeintlichen „Racial Profiling“ vor den Verwaltungsgerichten. In ihren Entscheidungen setzen die Gerichte unterschiedliche Akzente. Einigkeit besteht darin, dass die Hautfarbe nicht das alleinige Kriterium für eine Personenkontrolle sein darf. Existieren allerdings konkrete Anhaltspunkte, dass Personen mit dunkler Hautfarbe an bestimmten Örtlichkeiten, insbesondere an gefährlichen Orten, überproportional häufig strafrechtlich in Erscheinung treten, so darf die Polizei die dunkle Hautfarbe nach Auffassung einiger Gerichte zum Anlass für eine Personenkontrolle nehmen (OVG Münster, Urteil v. 7.8.2018, 5 A 294/16).

Rassistische Vorurteile der Polizei?

In der zitierten Entscheidung des OVG Münster hat das Gericht der Klage eines Nordafrikaners auf Feststellung der Unrechtmäßigkeit einer durchgeführten Personenkontrolle allerdings stattgegeben. Die zuständige Polizeibehörde hatte die im Bereich des Hauptbahnhofs Bochum durchgeführte Identitätsfeststellung des Nordafrikaners mit der wachsenden Zahl von Eigentumsdelikten in diesem Bereich begründet. Diese würden überwiegend von aus Nordafrika stammenden Personen begangen, die sich in diesem Bereich in großer Zahl aufhielten.

Nach Überprüfung der entsprechenden Kriminalstatistik musste das OVG allerdings feststellen, dass der Großteil der Eigentumsdelikte im Bereich des Bochumer Hauptbahnhofs von Deutschen verübt wird. Das OVG kam daher zu dem Ergebnis, dass die gegenteilige Behauptung der kontrollierenden Polizeibeamten eher auf rassistischen Vorurteilen als beweisbaren Tatsachen beruhte.

Eine ganze Familie dunkler Hautfarbe im Regionalzug kontrolliert

Auch das OVG Rheinland-Pfalz hat der Klage einer dunkelhäutigen Familie wegen einer diskriminierenden Personenkontrolle stattgegeben. Die Familie wurde in einem Zug der Deutschen Bundesbahn zwischen Mainz und Koblenz von der Bundespolizei kontrolliert. Die übrigen in dem gleichen Waggon befindlichen hellhäutigen Personen wurden keiner Identitätsfeststellung unterzogen. Die Begründung der Beamten, es sei bei der Kontrolle um die Verhinderung einer möglicherweise unerlaubten Einreise in das Bundesgebiet gegangen, entlarvte das Gericht als vorgeschoben. Die Möglichkeit einer illegalen Einreise liege schon deshalb fern, weil die Kontrolle in einem Regionalzug ohne jeglichen Grenzkontakt erfolgt sei (OVG Koblenz, Urteil v. 21.5.2016, 7 A 11108/14).