Rz. 215
Als Ausnahmen vom Trennungsprinzip kommen folgende Konstellationen in Betracht:
- Haftungsdurchgriff,
- Zurechnungsdurchgriff.
Rz. 216
Der Haftungsdurchgriff ermöglicht in bestimmten Fällen die Inanspruchnahme der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der GmbH. Beim Zurechnungsdurchgriff kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Verhalten von Gesellschaftern der GmbH und umgekehrt zugerechnet werden. Die beiden Rechtsinstitute des Haftungs- und Zurechnungsdurchgriffs sind gesetzlich nicht geregelt, sondern wurden von der Rechtsprechung und der gesellschaftsrechtlichen Fachliteratur entwickelt. Es bestehen außerdem unterschiedliche Terminologien und Begründungsansätze.
Rz. 217
Eine unmittelbare Inanspruchnahme von Gesellschaftern unter Durchbrechung des Trennungsprinzips ist im Rahmen des Haftungsdurchgriffs nur möglich für den Ausgleich von Risiken Dritter, die nicht durch unternehmerische Fehlentscheidungen, sondern durch ein den Gesellschaftern zurechenbares Verhalten bedingt ist, das einen Missbrauch der Rechtsform der GmbH mit dem Ausschluss der Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft gemäß § 13 Abs. 2 GmbHG darstellt.
Rz. 218
Ob in folgenden Fällen die Voraussetzungen eines Haftungsdurchgriffs vorliegen, ist jedoch in Rechtsprechung und Fachliteratur umstritten.
Rz. 219
Vermögensvermischung
Wenn das Gesellschafts- und das Privatvermögen durch Veranlassung eines oder mehrerer einflussreicher Gesellschafter vermischt wird, zum Beispiel durch eine mangelhafte oder undurchsichtige Buchführung, kann ein Haftungsdurchgriff in Betracht kommen. Gesellschafter, die auf die Vermögensvermischung keinen Einfluss haben, erfüllen im Zweifel die Voraussetzungen der unmittelbaren Haftung nicht. Daneben ist auch eine Haftung wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) möglich.
Rz. 220
Sphärenvermischung
Fälle der Sphärenvermischung liegen vor, wenn Gesellschafter im Rechtsverkehr, also gegenüber Dritten, nicht deutlich zwischen den von ihnen vertretenen Rechtssubjekten trennen.
Rz. 221
Unterkapitalisierung
Für die Frage, ob eine Unterkapitalisierung zu einem Haftungsdurchgriff führt, ist zunächst zu differenzieren zwischen
- einer materiellen Unterkapitalisierung und
- einer nominellen Unterkapitalisierung.
Rz. 222
Eine materielle Unterkapitalisierung zeichnet sich dadurch aus, dass die Gesellschaft nicht über ein ausreichendes Eigenkapital verfügt, das für die Geschäftstätigkeit erforderlich ist. Dagegen wird in Fällen einer nominellen Unterkapitalisierung das notwendige Eigenkapital durch Gesellschafterdarlehen zur Verfügung gestellt. Auf die Fälle einer nominellen Unterkapitalisierung finden die Grundsätze der Durchgriffshaftung keine Anwendung. Außerdem hat der BGH schließlich eine Durchgriffshaftung wegen materieller Unterkapitalisierung abgelehnt und sich in solchen Fällen für eine Haftung wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung entschieden. Dafür spricht, dass das GmbH-Gesetz keine ausdrückliche Pflicht vorsieht, die Gesellschaft mit ausreichendem Eigenkapital auszustatten, und diese Rechtslage durch die Möglichkeit der Gründung der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) gemäß § 5a GmbHG, das heißt mit einem Stammkapital von weniger als 25.000 EUR, bekräftigt. Zudem wären für einen Fall des Haftungsdurchgriffs wegen materieller Unterkapitalisierung Kriterien für die Höhe einer notwendigen Eigenkapitalausstattung unabhängig vom gesetzlich ausreichenden Mindeststammkapital erforderlich.
Rz. 223
Qualifizierter faktischer GmbH-Konzern
Die Haftung zulasten des herrschenden Unternehmens bei Vermögensbeeinträchtigungen wurde in der Vergangenheit auch im Bereich sog. qualifizierter faktischer GmbH-Konzerne häufig als Fall des Haftungsdurchgriffs behandelt. Ein faktischer Konzern ist dadurch gekennzeichnet, dass weder ein Beherrschungsvertrag (§ 291 AktG) noch eine Eingliederung (§ 319 ff. AktG) vorliegt. Vielmehr besteht in solchen Fällen ein Abhängigkeitsverhältnis gemäß § 17 AktG. Nach dieser Vorschrift sind abhängige Unternehmen rechtlich selbstständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen (herrschendes Unternehmen) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (§ 17 Abs. 1 AktG). Das abhängige Unternehmen im qualifizierten faktischen Konzern ist eine Kapitalgesellschaft, zum Beispiel eine GmbH. Außerdem hat das herrschende Unternehmen die Möglichkeit, Einfluss auf das abhängige Unternehmen zu nehmen, insbesondere im Fall einer Mehrheitsbeteiligung. Von einem in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen wird vermutet, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist (§ 17 Abs. 2 AktG). Der BGH hat aber mittlerweile diese Rechtsprechung zugunsten einer umfassenderen Haftung aufgegeben.
Rz. 224
Existenzvernichtender Eingriff
Statt einer unmittelbaren Haftung der Gesellschafter im Wege des Haftungsdurchgriffs wegen existenzvernichtenden Eingriffs hat der BGH für solche Fälle nun eine Innenhaftung des Gesellschafters ge...