Neue Narrative für Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeitskommunikation muss raus aus der Schublade, fordert Maximilian Mauracher. Am Beispiel der - zugegeben meist wenig nachhaltigen - Modebranche zeigt er, wie spannende Narrative funktionieren und was Nachhaltigkeitsmanager sich davon abschauen können.

Neben der Tech- und Automobilbranche gibt es eine dritte Branche, die ohne aggressives Marketing und Dauerbeschallung auf allen Kanälen nicht überleben könnte: die Modebranche. Damit Marken und Designer:innen jede Saison aufs Neue – und Fast Fashion Brands weitaus öfter als nur zwei Mal im Jahr – ihre Kollektionen unter die Menschen bringen, hat sich die Modekommunikation vor allem auf Social Media mittlerweile in ein Perpetuum Mobile verwandelt, das seinesgleichen sucht. Kein Wunder also, dass es meist Modemarken sind, die mit 24/7-Content neue Trends auf Social Media setzen (müssen). Egal ob mit Echt-, Mikro- und CGI-Influencer:innen oder Fake-Out-Of-Home-Advertising, wo Produkte über- und dreidimensional in echte Videos gesetzt wird – ohne erfinderisches Marketing wäre das Interesse der Konsument:innen an den immer gleichen Looks vermutlich nicht mehr besonders groß. Was allerdings außerordentlich groß ist, ist der Fußabdruck der Textilbranche: Geschätzt liegt der Anteil der Industrie an den weltweiten CO2-Emissionen bei 10 Prozent – mehr als die durch Luft- und Schifffahrt verursachten Emissionen zusammen.

Vor Nachhaltigkeitsverantwortlichen in der Modewelt und darüber hinaus liegt deshalb eine besondere Herausforderung: Wie lässt sich der Spagat zwischen schnelllebiger Kommunikation und entschleunigtem Nachhaltigkeitsthema finden? Wie lässt sich ein nur auf Absatz ausgerichtetes Marketing mit Klimaschutzzielen vereinbaren? Wie lässt sich eine per se nicht nachhaltige Branche überhaupt irgendwie als nachhaltig labeln? Einige Marken verzichten aus diesem Grund bereits völlig auf Produktmarketing, Rabattaktionen oder andere offensichtlich verkaufsfördernde Maßnahmen und investieren die Budgets stattdessen in R&D oder sinnvolle Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Bekannte Beispiele wie die “Don’t buy this jacket”-Anzeige von Patagonia haben aber nicht (oder etwa doch?) zum gewünschten Effekt geführt und die Verkäufe stattdessen in die Höhe getrieben. 

Nachhaltigkeitsverantwortliche können vom Marketing lernen

Dabei könnten sich Nachhaltigkeitsmanager einiges von ihren Marketingkolleg:innen abschauen: Die Modebranche schafft es wie keine andere – Autowerbung und ihr gebetsmühlenartiges Freiheitsgefasel mal ausgenommen –  Bedürfnisse und Begehrlichkeiten zu wecken. Als kleiner Junge, der auf dem Land aufgewachsen ist und nach der Schule mit den Modezeitschriften seiner Schwester der Realität entflohen ist, spreche ich aus Erfahrung. Jede Kollektion eine neue Welt – während die echte um uns herum langsam zerstört wird. Das Storytelling der Modebranche würde der Nachhaltigkeit aber gut tun: Beneidenswerte Vorbilder und erstrebenswerte Zukünfte könnten völlig neue Zielgruppen aktivieren und für die notwendige Transformation begeistern. 

Nachhaltigkeit aus der Schublade holen

Neben dem Hype-Faktor ist es vor allem die Kraft der Kreativität – von Kunst und Ästhetik –, die der Modewelt so viele Anhänger:innen beschert. Während klassische, corporate Nachhaltigkeitskommunikation emotionslos im Öko-Einheitsbrei vor sich hin dümpelt, braucht es neue, aufregende Narrative für alternative Konsumformen wie Reparieren, Teilen und Secondhand – neben denen der Neukauf plötzlich alt aussieht. Für letzteres hat die Modewelt mit “pre-loved” bereits einen positiven Begriff gefunden, der Secondhand für eine ganzen Generation wieder zum Top-Trend macht. Statt die gängigen visuellen Nachhaltigkeits-Codes – Grün, Handschrift, braunes Papier – zu nutzen, geht es genau andersherum darum, sich die Bildsprache klassischer Werbung anzueignen. So gesehen zum Beispiel in einer Kampagne für den A-GAIN GUIDE, eine Plattform für lebensverlängernde Textilservices. Das ist, was auffällt und hängen bleibt – und erst auf den zweiten Blick in die Nachhaltigkeitsschublade gesteckt wird. 

Klar ist auch: Die Modebranche ist äußerst Greenwashing-anfällig, bewegt sie sich mit ihren Bildern und Geschichten doch meist fernab der Realität. Und wer in der schnelllebigen Werbewelt um jeden Preis auffallen will, lässt dafür mal schnell  harte Fakten hinten runter fallen. Wenn jetzt aber Nachhaltigkeitsverantwortliche und Unternehmen – auch fernab der Modewelt – die Stilmittel der Modekommunikation mit faktenbasierter Nachhaltigkeit kombinieren, brechen sie in neue Welten auf. Und das birgt großes Erfolgspotential.

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Noch ausführlicher beleuchtet wird das Thema in der Podiumsdiskussion "Wie Modekommunikation unsere Konsumkultur beeinflusst" beim Sustainable Economy Summit.