Motivation: Mit Viktor E. Frankl nachhaltig managen

Sinnerleben ist der Motivator für Menschen, sagte der Neurologe und Psychiater Viktor E. Frankl (1905-1997). Führung muss Menschen ermöglichen, ihr Tun als sinnvoll zu verstehen und eine wirksame Leistung zu erbringen – auch für die nachhaltige Entwicklung von Unternehmen und Gesellschaften.

Orientierung auf Andere

Niemand muss ein Genie sein, um die Welt zu verbessern. Viktor E. Frankl verwies auf Umfragen zur Frage, vor wem Menschen am meisten Respekt haben und die größte Achtung empfinden. Immer wieder bestätigte sich, dass es keine Prominenten waren, keine Medienstars, Sportler, Politikerinnen oder Künstlerinnen, sondern einfach Menschen, die sich in selbstloser Weise für Andere(s) einsetzten oder solche, die ein schweres Schicksal mit Würde meisterten.

Da wir es nach Ansicht des Managementdenkers Fredmund Malik in der Wirtschaft nur selten mit Genies und echten Berufenen (die nur bewundert, aber nicht nachgeahmt werden können) zu tun haben, sollten wir uns ebenfalls an gewöhnlichen Menschen orientieren, schreibt er in seinem Buch „Führen – Leisten – Leben“. Frankls Sinnlehre bezeichnete der Managementvordenker schon vor Jahrzehnten als wichtigste Motivationslehre: Dass Motivation wichtig ist, wissen wohl alle. Fragt man aber, was Menschen motiviert, wird die Luft schon erheblich dünner. Die Kenntnisse sind lückenhaft.

Sinn motiviert

Frankl sagt, dass der Mensch durch Sinn motiviert wird. Dieser kann allerdings von niemandem „gegeben“ werden – jeder und jede muss Sinn selber finden. Deshalb ist es zentrale Aufgabe von Führung, Möglichkeiten zu schaffen, dass jeder Sinn finden kann. Die Wege, auf denen Menschen Sinn finden, sind bodenständig und praktisch.

Frankl nannte seine Lehre und die darauf aufbauende Therapie „Logotherapie“. Das zentrale Postulat lautet: Unser Wille ist frei und wir Menschen können unsere innere Einstellung zu äußeren Bedingungen des Lebens immer frei wählen. Dabei geht es nicht ums Dulden von schwierigen Situationen, sondern um die aktive Umgestaltung. Das ermögliche uns laut Frankl, die „Trotzmacht des Geistes“ zu aktivieren.

Was gibt Sinn?

Menschen finden Sinn auf verschiedene Weisen:

  • Im Dienst an einer Sache (wenn sie Aufgabe erfüllen, eine Leistung erbringen, ein Werk schaffen und in dem, was sie erleben)
  • Im Dienst an einer Person oder an mehreren Personen (Hingabe an die Familie, an Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind)
  • Wenn sie Leiden in eine Leistung verwandeln (ein schweres Schicksal meistern, eine ausweglose Situation, an der nichts geändert werden kann, wie Krankheit oder Gefangenschaft in Würde ertragen)

Frankl brachte das Nietzsche-Zitat „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“ seinen Patienten näher. Ihr Warum und Wofür wurde gemeinsam mit ihnen erarbeitet und in ihre Zukunft „eingeschweißt“.

Der Geist des Trotzes

Im Oktober 1944, nach mehr als zwei Jahren in Theresienstadt, verlor Frankl selbst alles, was ihm etwas bedeutete: Seine Ehefrau Tilly war unmittelbar nach ihrer Befreiung aus dem Lager Bergen-Belsen gestorben. Seine Mutter wurde mit einem der letzten Todestransporte nach Auschwitz gebracht und in der Gaskammer ermordet, auch seine Schwiegermutter. Sein Bruder Walter und dessen Frau kamen im KZ ums Leben. Sein bester Freund Hubert Gsur wurde als Widerstandskämpfer im Wiener Landesgericht enthauptet.

Nur seine wertvollste geistige Schöpfung, das Originalmanuskript seines ersten Buches „Ärztliche Seelsorge“, konnte er retten. Er hatte es in das Mantelfutter eingenäht. Dort fand sich folgender Satz: „Das Leiden, die Not gehört zum Leben dazu, wie das Schicksal und der Tod. Sie alle lassen sich vom Leben nicht abtrennen, ohne dessen Sinn nachgerade zu zerstören. Not und Tod, das Schicksal und das Leiden vom Leben abzulösen, hieße dem Leben die Gestalt, die Form nehmen. Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt.“ Dank der in Wien verbliebenen Abschrift konnte die Passage später veröffentlicht werden. Nach seiner Befreiung publizierte Frankl das Büchlein "Trotzdem ja zum Leben sagen – ein Arzt erlebt das KZ" – eines der erschütterndsten, aber auch optimistischsten Dokumente menschlicher Leidens- und Leistungsfähigkeit.

Selbstoptimierung, aber anders

Frankls Lehre tritt in diametralem Gegensatz zu den weit verbreiteten Selbstverwirklichungslehren, die zu Egozentrismus führen, bei denen sich der Mensch selbst in den Mittelpunkt seines eigenen Interesses stellt. Das Finden von Sinn im Franklschen Sinne ist zwar die höchste Form der Selbstverwirklichung, doch der Weg dazu ist bei ihm ein anderer, wie auch Malik betont: Der Mensch vergisst sich selbst auf seiner Suche nach Sinn und ist ganz seiner Aufgabe oder seinem Werk hingegeben.

Wenn der Mensch Sinn gefunden hat, ist er zu Höchstleistungen bereit und fähig. Wer aber keinen Sinn mehr in seinem Leben zu sehen vermag, ist auch nicht mehr leistungsbereit und leistungsfähig – er gibt sich auf und beendet nicht selten sein Leben selbst. Es geht vor allem darum, mit jedem Denken und Tun die eigene Persönlichkeit zu formen und zu gestalten, um „wirkmächtig“ zu werden – auch über das eigene Leben hinaus.

Was bleibt von uns?

Im Sinne der Nachhaltigkeit geht es um das, was von uns bleibt, was uns überdauern kann, das über uns hinaus und über uns hinweg Nachwirkende. Eine nachhaltige Gesellschaft braucht Menschen, die selbst Verantwortung übernehmen, eine Vision haben und mithelfen, an einer besseren Welt zu bauen. Diese Menschen denken voraus im Bewusstsein, dass es immer noch etwas Größeres gibt als die eigene Person.

Bei einer wirksamen Führungskraft kommt es nicht allein auf Eigenschaften an: Wesentlich ist nicht ihr Sein, sondern ihr Handeln, „das richtiges und gutes Management ist“ (Malik). Die Muster, die sich daraus ergeben, führen zu Professionalität. Der Weg zur Wirksamkeit führt über die Grundsätze (Regeln), Aufgaben (Was) und Werkzeuge der Führungskräfte.

Daneben gibt es für Malik noch ein viertes Element, das nicht erlernbar, weil es viel bescheidener und schlichter ist: Verantwortung zu übernehmen für sich und andere.

Verantwortung für sich und andere

Ein verwandter Geist Frankls ist auch der 2005 verstorbene Managementtheoretiker Peter Drucker, der das Konzept des „purpose-driven business“ etabliert hat. Demnach brauchen Unternehmen einen Daseinszweck, ein höheres Ziel, um im Wettbewerb bestehen zu können. Heute wird von der gesellschaftlichen Akzeptanz von Unternehmen (Licence to operate) gesprochen. Wo sie fehlt, manifestiert sich dies in einem schleichenden Verlust der unternehmerischen Kooperationsfähigkeit, was in der Folge die unternehmerische Wertschöpfung erschwert.

Die gesellschaftliche Akzptanz kann damit auch als die Basis der unternehmerischen Wertschöpfung bezeichnet werden. Ihr Management ist Bestandteil von Corporate Social Responsibility (CSR). Drucker prägte den Begriff des sinngeleiteten Business.

Purpose grundiert gesellschaftliche Akzeptanz

Frankl führt uns vor Augen, dass wir unsere limitierte Lebenszeit sorgsam und engagiert nutzen sollten. Wäre das Leben endlos, würden wir fast alles aufschieben. Nichts wäre dringlich.

Krisen, Kriege, Umweltkatastrophen, persönliche und kollektive Erschöpfung zeigen, wie verwundbar diese Welt und das Leben des Einzelnen ist. Hier kann ein Blick auf Viktor Frankl helfen. Er verwies darauf, dass viele Menschen sich zwischen Selbstaufgabe oder Hingabe an eine Aufgabe entscheiden. Wer in die Enge geraten ist, findet keine sinnvolle Aufgabe und gibt sich selbst auf. Frankls Vermächtnis an uns lautet: „Seid achtsam auf den Brettern, die die Welt bedeuten! Ihr spielt vor offenem Vorhang!“

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